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Gesetz aus Kolonialzeit
Indien: Oberstes Gericht macht Hoffnung auf Aufhebung des Homo-Verbots
In einem Grundsatzurteil zum Recht auf Privatleben nahm der Supreme Court auch zum berüchtigten Paragrafen 377 Stellung.

Indische LGBTI protestieren – und klagen – seit Jahren für die Aufhebung des Paragrafen 377, der "unnatürlichen" Sex unter Strafe stellt
- 24. August 2017, 16:43h 3 Min.
In Indien steht das 2013 wieder eingeführte Verbot homosexueller Handlungen auf der Kippe: Der Supreme Court entschied am Donnerstag, dass es ein verfassungerechtliches Grundrecht auf Privatsphäre gibt. Eine mit neun Richtern besetze Kammer überstimmte damit frühere Entscheidungen aus den Jahren 1954 und 1961.
In dem konkreten Fall ging es um das Biometrieprojekt Aadhaar, das Daten von Bürgern sammelt, letztlich aber allgemein um den Schutz der Privatsphäre. Für die Herleitung des Grundrechts beschäftigten sich die Richter – unverbindlich – auch mit weiteren Urteilen, darunter mit einem des Supreme Court aus dem Jahr 2013: Damals hatte eine Kammer mit zwei Richtern entschieden, dass die vier Jahre zuvor durch ein untergeordnetes Gericht erfolgte Aufhebung des Strafrechtsparagrafen gegen Homosexualität nicht rechtens war und nur durch das Parlament hätte erfolgen können (queer.de berichtete).
In dem nun veröffentlichten Urteil wird diese Entscheidung in Wortlaut und Inhalt gerüffelt: "Die Rechte der lesbischen, schwulen, bisexuellen und transgender Bevölkerung können nicht als 'sogenannte Rechte' angesehen werden", schrieben vier Richter. "Ihre Rechte sind nicht 'sogenannt', sondern tatsächliche Rechte, die auf vernünftigen verfassungsrechtlichen Lehren beruhen. Sie sind im Recht auf Leben inbegriffen. Sie wohnen im Recht auf Privatleben und Würde inne. Sie bilden die Essenz von Freiheit. Sexuelle Orientierung ist eine unabdingbare Komponente der Identität. Gleicher Schutz verlangt den Schutz der Identität jedes Einzelnen ohne Diskriminierung."
Unverbindliche, aber deutliche Aussagen
Die vier Richter stellten weiter fest, dass sexuelle Orientierung ein wesentlicher Bestandteil der Privatsphäre ist und dass Diskriminierung gegenüber einer Person aufgrund der sexuellen Orientierung zutiefst beleidigend für die Würde und das Selbstbewusstsein der Person ist.
Diese Feststellungen fielen obiter dicta, also nebenbei und unverbindlich – die Richter verweisen auch darauf, dass eine Kammer des Supreme Court bald einen Einspruch zum Urteil aus dem Jahr 2013 hören wird. Hierbei wäre nun das entwickelte Grundrecht auf Privatsphäre zu berücksichtigen. Die Anmerkungen der Richter zum Urteil bieten zudem eine klare Grundlage zur Anfechtung des Homo-Verbots.
Zuletzt Anstieg der Verfolgungen
Dieses basiert auf britischem Kolonialrecht, verbietet "geschlechtliche Aktivitäten gegen die Natur" und war hauptsächlich gegen Schwule eingesetzt worden – zwischen 1860 und 2009 allerdings insgesamt nur rund 200 Mal. Nach der Wiedereinführung 2013 gab es allerdings einen krassen Anstieg der Fälle: Allein 2015 wurden 1347 Menschen, darunter 14 Frauen und 14 Prozent Minderjährige, nach dem Paragrafen festgenommen. Die Polizei nutzte ihn offenbar zu Einschüchterung und Erpressung (queer.de berichtete).
Im gleichen Jahr hatte das Parlament einen Gesetzentwurf zur Abschaffung des Verbots mit 71 zu 24 Stimmen abgelehnt (queer.de berichtete). Der Abgeordnete Shashi Tharoor hat es in diesem Frühjahr erneut eingebracht. (nb)















Es wäre sehr erfreulich, wenn endlich auch in Indien die Strafbarkeit homosexueller Handlungen beendet wird.