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Video- und Podcast-Format
Neues 1Live-Format verharmlost Homophobie und Homo-"Heilung"
"Lesbe trifft Homo-Ehe-Gegnerin", heißt die erste Folge von "Ausgepackt". Sie will "Zwei Menschen, zwei Meinungen!" präsentieren.

"Christin Julia" hält Homosexualität für eine Sünde und betont ernsthaft, sie habe nichts gegen Homosexuelle. Dass der 1LIVE-Reporter sie wegen der Teilnahme an einer "Demo für alle" aussuchte, erfährt man nur im begleitenden Podcast zum viralen Video.
- Von Norbert Blech
28. August 2017, 19:28h 7 Min.
1Live, die Jugendwelle des WDR, verbreitet derzeit die Aussage einer jungen Christin, Homosexualität sei eine "Störung" und Krankheit, und weitere Abwertungen ohne eigene Bewertung in sozialen Netzwerken. Anlass ist die erste Folge eines neuen Video- und Podcast-Formats, "Ausgepackt", bei dem "Zwei Menschen, zwei Meinungen" aufeinandertreffen treffen sollen.
"Was passiert, wenn zwei Menschen mit komplett konträrer Meinung aufeinander treffen?", ist laut der 1Live-Webseite der Gedanke des Formats, bei dem in späteren Folgen im Rahmen der fiktiven Einrichtung einer WG auch ein Atheist auf einen Priester, "der Schalke-Fan auf den BVB-Fan, die Veganerin auf einen Grill-Meister und die Feministin auf eine Anti-Feministin" treffen sollen.

Und zum Einstieg trifft halt eine "Lesbe auf eine Homo-Ehe-Gegnerin", wie die Folge betitelt ist. Stehen Menschen, die homosexuell sind, auf der gleichen Stufe, wie Menschen, die Homosexuelle ablehnen? Ist lesbisch sein eine "Meinung"? Ist es eine "Meinung", Lesben aufgrund der eigenen Interpretation eines Glaubens abzulehnen? Wertet diese Gegenüberstellung nicht Homophobie auf?
Das sind dringende, sich aufdrängende Fragen und grundsätzliche Bedenken zu dem Format, die man beim WDR offenbar völlig ignoriert hat. Und so sagt "Christin Julia" unkommentiert in ihrer Vorstellung: "Ich bin gegen Homosexualität. Aus dem einfachen Grund, dass Gott uns geschaffen hat als Mann und Frau". Weiter betont sie: "Ich würde das Verlangen zum gleichen Geschlecht nicht als Sünde bezeichnen, aber das Ausleben dessen." Während "Lesbe Izzy" in ihrer Vorstellung von Gewalt- und Diskriminierungserfahren spricht, betont Julia, sie würde Homosexualität wie eine psychische Krankheit, eine "Störung in der Wahrnehmung" auffassen.
"Lesbe Izzy" muss sich selbst verteidigen
Als Reaktion auf einige grottige Talkshows mit unwidersprochenen menschenfeindlichen Äußerungen hatte der Waldschlösschen-Appell vor einigen Jahren gefordert, Argumentationsmuster, die der Diffamierung der Identität Homosexueller dienen, nicht weiter als "Debattenbeiträge" oder "Meinungsäußerungen" zu verharmlosen. Entsprechenden Vertretern dürfe keine Plattform geboten werden, es sei denn, die Redaktion distanziere sich von ihnen und ordne sie ein. Auch dürften Homosexuelle nicht länger in die Situation gebracht werden, "sich für ihre sexuelle Orientierung rechtfertigen zu müssen".
Der achtminütige Video-Zusammenschnitt des "Experiments", den 1Live auf seiner Webseite – und zur viralen Verbreitung bei Youtube – ohne größere textliche Ergänzungen veröffentlicht hat, wird dem nicht gerecht. Im späteren Teil des Videos sehen sich die beiden jungen Frauen zunächst die allein vor der Kamera vorgetragenen Statements an, um darauf in einem gemeinsamen Gespräch ohne Moderator zu reagieren.
"Lesbe Izzy" kontert dabei selbstbewusst und angemessen, auch als sich Abgründe auftun. Sie fragt: "Für mich klingt das so, als ob ich mich ändern könnte? Dass Du sagst, wenn ich zum Glauben finde, dass ich sozusagen hetero werden könnte." Ihr Gegenüber kontert: "Ja, so ungefähr wahrscheinlich schon." Julia meint, sie kenne Erfahrungsberichte von Homosexuellen, die "sich dazu entschieden haben: Ich werde es nicht ausleben. Genauso wie ein Alkoholiker."
Nach ein paar weiteren Ausführungen zu dieser "Meinung" endet dann auch schon das Video, wie es auf Youtube veröffentlicht wurde – auf Facebook verbreitet 1Live eine noch kürzere 2-Minuten-Fassung, die an der Stelle abbricht, als Julia das "Ja" zur Änderung der sexuellen Orientierung betont. Das Video wurde inzwischen hundertfach auf Facebook geteilt, auch von der "Aktuellen Stunde" des WDR. Ohne nähere Einordnung des Senders, ohne eigene Kommentierung.
Zwar ist der überwiegende Teil der jungen 1Live-Fans in den Kommentaren auf Facebook klar auf der Seite von Izzy. Aber 1Live, der Jugendkanal des WDR, enthält sich einer Meinung. Genauer gesagt verbreitet er die Auffassung, sich einer Meinung enthalten zu können, wenn eine Lesbe auf eine Christin trifft, die sie ablehnt und abwertet.
Der begleitende Podcast macht es nicht besser
Allerdings bietet der WDR noch eine Art Ersatz für eine redaktionelle Einordnung, und das in Form eines 35-minütigen (!) zusätzlichen Podcasts (MP3, 32,7MB) des verantwortlichen Reporters Jörn Behr, zu dem man sich von Facebook oder Youtube aus durchklicken muss. Man darf annehmen, das nicht allzuviele Menschen, die das kurze Video sahen, die Zeit finden, sich das anzuhören – so entgeht ihnen etwa die Einordnung, dass Behr die jugendliche "Christin Julia" direkt von einer homofeindlichen "Demo für alle" in Wiesbaden geholt hat.
Bevor man das irgendwann in dem Podcast erfährt, gibt es zunächst eine längliche Einleitung Behrs, mit dem neuen Format suche man gezielt "zwei möglichst starke Gegenpositionen". In der Folge gehe es um Homosexualität: "Wie man die auslebt, aber auch wie man etwas dagegen haben kann" (!) Oder, hoffentlich ironisch: "Auf der einen Seite der Regenbogen, auf der anderen einfach nur der Himmel." Und Behr lobt sich: "Unser Experiment hat funktioniert."
Nach einer sensationell unpassenden persönlichen Einleitung über einen übergriffigen schwulen Frisör in der Jugend des Moderators wird in Folge alles zumindest formal gegenüber gestellt und verglichen: Die "Demo für alle" mit dem Kölner CSD, später auch der Halt in der queeren Community mit dem im christlichen Freundeskreis von Julia.
Der Podcast ist teilweise eine recht klassische Radioreportage, in der Izzy und Julia einfühlsam vorgestellt werden. Behr zeigt dabei durchaus ein wohlwollendes Verständnis für Schwule und Lesben, auch wenn er später mal von Homosexualität als einer "Lebensweise" sprechen wird oder betont, dass er den Begriff "bekennen" besser fände als "(sich) outen".

Reporter Jörn Behr hätte es besser bei Schalke- und BVB-Fans belassen, dem Thema Homosexualität ist er nicht gewachsen
Würde er die beiden vermeintlichen Gegensätze nicht gleichzeitig gegenüberstellen, sondern in einzelnen Sendungen vorstellen, könnten das fast akzeptable Personenportraits sein, egal ob mit Kommentierung oder ohne. Im vorliegenden Fall geschieht so jedoch eine Verharmlosung von Julia, ihrem Umfeld und ihrer Haltung.
Behr misslingt auch journalistisch eine Einordnung der "Demo für alle": Er spielt O-Töne von dem homofeindlichen Protest in Wiesbaden ein (unsere Reportage zur ersten von inzwischen zwei) und spricht von "selbsternannten Familienorganisationen", geht aber nicht näher auf die beteiligten christlich-fundamentalistischen Akteure ein, nicht auf die politische Stimmungsmache, nicht auf die Nähe zur AfD. Er bringt O-Töne über "den Gender-Staat" und die Schulaufklärung in Hessen, erklärt aber auch das wenig. Er hat ja Izzy als vermeintliche Gegenposition.
Lockeres Gespräch über "Behandlung" Homosexueller
Stattdessen lässt Behr vor allem Menschen selbst zu Wort kommen. Auch das kann entlarvend sein, funktioniert aber in diesem Format nicht. Auf der "Demo für alle" lernt er Julia kennen, die direkt die Bibel zitiert: Levitikus, Homosexualität als "Gräuel". Behr stellt Julia als "bibeltreu" vor und stellt Nachfragen – beide ignorieren jedoch, dass direkt auf die Levitikus-Stelle die Todesstrafe als Konsequenz folgt, dass die Passage als Grund für jahrhundertelange Verfolgung diente (queer.de berichtete).
Julia bleibt in einem verkürzt wiedergegeben Telefongespräch mit dem 1Live-Reporter dabei, dass Homosexualität "nicht richtig und abscheulich" sei. Sie wolle "die anderen damit konfrontieren und sagen: Ihr geht in die Irre." Behr betont, dass sie aus einer freien evangelischen Kirche kommt, und dass er sich etwas an Gruppen erinnert fühlt, "die Homosexualität als behandelbar ansehen". Er benennt diese, ohne sich konkret von ihnen zu distanzieren, ihre "Wissenschaft" in Abrede zu stellen.

Die Demo in Wiesbaden (oder eine frühere), auf der sich Behr umschaute
Julia vergleicht Homosexuelle mit Menschen, die Katzen oder Kinder lieben. Behr betont, Pädophilie sei behandelbar. Er fragt sie, "ob das bei Homosexuellen auch funktionieren könnte." Ihre Antwort: "Ich denke ja." Seelsorge oder Gespräche könnten Menschen "zurück zum Ursprung holen".
Der Podcast lässt das an dieser Stelle ernsthaft so stehen und geht direkt in Julias Aufeinandertreffen mit Izzy über, bringt später wieder ihre Frage, ob Julia denke, dass Izzy sich "ändern" könne. Die Christin: "'Heilung' klingt jetzt… Ich will ein anderes Wort. Ob man sich da ändern kann, weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass man sich dagegen entscheiden kann, das nicht auszuleben." Vielleicht hat sie das bei einer früheren "Demo für alle" gelernt, als der von Homo-"Heilern" "behandelte" Marcel redete (queer.de berichtete). Vielleicht hat auch Izzy das weit verbreitete Video der Rede im Kopf, als sie antwortet: "Das ist doch kein Leben!"
Das verharmlosende Fazit: Mal miteinander reden
Behr hingegen lässt darauf schlicht sein Fazit der Sendung folgen: Nach Abschalten der Kamera hätten die beiden weitergeredet. "Und genau das wollten wir ja, dass zwei Menschen mit gegensätzlicher Meinung mal miteinander reden."
"Ich glaube, dass es viele Leute gibt, die Julias Ablehnung teilen", meint Behr. "Auch völlig unabhängig vom Glauben. Das habe ich gesehen an den ganzen Kommentarspalten im Netz." Izzys Position werde in den nächsten Jahren dennoch stärker und präsenter werden. "Beide haben mir gesagt, hier steht Meinung gegen Meinung, Ansicht gegen Ansicht, und das wird sich auch nicht ändern. Trotzdem sind beide im gleichen Auto zum Bahnhof gefahren und haben sich dabei nicht in die Haare bekommen."
Und so endet der Podcast mit der gleichen Indifferenz gegenüber gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, gegenüber Ablehnung von Menschen aufgrund eines Persönlichkeitsmerkmals und gar gegenüber Homo-"Heilung", wie sie das ganze Format an den Tag legt. Dass Homosexualität nach allgemeiner wissenschaftlicher Auffassung nicht behandelbar ist, wurde übrigens nicht mehr aufgeklärt.
Schwule und Lesben zur Behandlung oder zum Nicht-Ausleben ihrer sexuellen Orientierung aufzufordern scheint wohl eine akzeptable Meinung zu sein.
Links zum Thema:
» Die Webseite der Folge samt Video und Podcast














