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Bundestagswahl
"Ohne SPD hätte es die Ehe für alle nicht gegeben"
Im Interview spricht Kanzlerkandidat Martin Schulz über die LGBT-Bilanz der Sozialdemokraten in der Großen Koalition und die nächsten Schritte nach der Wahl.

Martin Schulz, ehemaliger Präsident des Europaparlaments, wurde im März einstimmig zum SPD-Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl gewählt (Bild: Foto-AG Gymnasium Melle / wikipedia)
- Von Dietrich Dettmann
2. September 2017, 11:22h 4 Min.
Herr Schulz, Sie waren bei der Abstimmung im Bundestag über die Ehe für alle nicht dabei. Haben Sie die Abstimmung live verfolgt? Hat Frau Merkel den Weg frei gemacht, um das Thema im Wahlkampf loszuwerden?
Natürlich habe ich die Abstimmung verfolgt. Frau Merkel hat versucht, einem Thema im Wahlkampf auszuweichen. Dass es ihr dabei um reine Taktik ging, konnte man daran sehen, dass sie selbst dagegen gestimmt hat – und auch vor dem Deutschen Bundestag nicht dazu gesprochen hat. Mit der Ehe für alle setzen wir eine gesellschaftliche Realität endlich in Gesetzesform um. Die SPD will das seit Jahren, das haben CDU/CSU stets blockiert. Als Frau Merkel nun ankündigte, das könnte Gegenstand einer Gewissensentscheidung nach der Wahl werden, war es genug. Das Gewissen der Bundestagsabgeordneten kennt keine Frist.
Warum hat sich die SPD bei der Ehe für alle nicht viel früher durchsetzen können? Das hat bei der Community einen fahlen Beigeschmack erzeugt, die SPD stehe nicht voll hinter dieser Forderung. Wie wichtig ist der SPD in Zukunft die Gleichberechtigung von LGBT?
Die SPD stand immer für die volle Gleichstellung, und ohne die SPD hätte es die Ehe für alle nicht gegeben. CDU und CSU haben das bei jeder Gelegenheit abgelehnt. Ich habe das Thema gleich in den ersten Wochen meiner Amtszeit im SPD-Vorsitz im Koalitionsausschuss angesprochen – brüske Ablehnung der CDU-Vorsitzenden Merkel.

Das Interview mit Martin Schulz führte "Fresh"-Chefredakteur Dietrich Dettmann am Rande einer SPD-Wahlveranstaltung in Düsseldorf (Bild: Fresh)
Waren Sie schon mal Gast auf einer gleichgeschlechtlichen Hochzeit? Fällt Ihnen als Politiker, dessen Partei die Ehe für alle mit möglicht gemacht, eine besondere Geschenkidee ein?
Das Recht auf die Ehe für alle ist kein Geschenk, sondern vielfache Realität in Deutschland, die wir nun endlich auch rechtlich ermöglichen. Ich finde deshalb eigentlich auch: Ein gleichgeschlechtliches Hochzeitspaar würde von mir keine anderen Geschenke bekommen als jedes andere – etwas mit persönlichem Bezug zum Ehepaar.
Präsident Trump hat gerade durchgesetzt, dass Transsexuelle in den USA nicht zur Armee dürfen. Wie sehen Sie diese Frage bezüglich der Bundeswehr? Wie wichtig ist die zügige Novellierung des Transsexuellengesetzes?
Diese Entscheidung ist ja nur ein weiteres Zeichen der erratischen und oft auch offen diskriminierenden Politik von Donald Trump. Für mich ist klar: Alle Menschen sollen unabhängig von ihrer sexuellen Identität frei und sicher leben können – mit gleichen Rechten und Pflichten. Das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein und gilt natürlich auch für die Bundeswehr. In diesem Kontext ist auch eine baldige Reform des Transsexuellengesetzes dringend nötig. Wir wollen die Lage von trans- und intergeschlechtlichen Menschen verbessern und gewährleisten, dass sie selbst über ihr Leben bestimmen können, inklusive der medizinischen, gesundheitlichen, sozialen und rechtlichen Aspekte.
Die Menschenrechtssituation in der Türkei ist besorgniserregend. Würden Sie mir empfehlen, als schwuler Journalist in die Türkei zu reisen?
Die Situation in der Türkei ist mehr als besorgniserregend. Deshalb hat Sigmar Gabriel als unser Außenminister völlig zu Recht die Reisehinweise deutlich verschärft. Herr Erdogan baut die Türkei zu einem autokratischen Staat um und schleift den Rechtsstaat, wenn er ohne Anklage Menschenrechtler, Journalisten oder tausende Lehrer und Beamte inhaftieren lässt. Unsere Antwort darauf sollte sein, die Verhandlungen zur Zollunion abzubrechen und auch die EU-Gelder für die Beitrittshilfen zu stoppen. Und wenn Herr Erdogan ernsthaft die Todesstrafe einführt, dann ist das auch der Schlussstrich unter die Verhandlungen zum EU-Beitritt.

SPD-Plakat mit Martin Schulz: Umfragen deuten bislang nicht auf einen Wahlsieg hin (Bild: Markus Spiske / flickr)
Kommt die Rehabilitierung der betroffenen Verurteilten nach Paragraf 175 nicht viel zu spät? Warum hat das Thema die SPD unter Brandt, Schmidt und Schröder nicht interessiert?
Das Gesetz bedeutet einen Meilenstein in zweierlei Hinsicht. Es wird ein Stigma beseitigt, unter dem homosexuelle Männer jahrzehntelang leiden mussten. Und es besteht ein finanzieller Entschädigungsanspruch für die Betroffenen, die der Staat diskreditiert und stigmatisiert hat. Damit lässt sich Unrecht nicht beseitigen, aber klar als solches benennen.
Dass das Thema unter Brandt, Schmidt und Schröder nicht interessiert hat, ist falsch. 1973 führte das Kabinett Brandt II eine umfassende Reform des Sexualstrafrechts durch. Der Paragraf 175 wurde in seiner nationalsozialistischen Ausprägung entschärft. Im Jahr 2002 wurden unter Bundeskanzler Gerhard Schröder die Verurteilungen wegen homosexueller Handlungen bis 1945 für nichtig erklärt. Trotzdem muss man feststellen, die Rehabilitierung der betroffenen Verurteilten kommt viel zu spät. In der SPD war die Rehabilitierung bereits seit 2011 Beschlusslage. Wir sind die Partei, die den Weg geebnet hat, um sowohl die Rehabilitierung der nach Paragraf 175 Verurteilten als auch die längst überfällige Ehe für alle zu ermöglichen.
Mit Rot-Rot-Grün würde einiges mehr als bisher an Verbesserungen für LGBT umgesetzt werden können, wie z.B. ein bundesweiter Aktionsplan, wie es ihn schon in einigen Bundesländern gibt. Warum werben Sie nicht mehr für ein solches Bündnis nach der Wahl?
Ich werbe für gar kein Bündnis, sondern für meine Partei und für unser gutes Programm. Wer nach der Wahl mit uns koalieren will, der kann gerne auf uns zukommen.













