Während andere die Öffnung der Ehe als Ende von Diskriminierung und wichtigen Schritt feierten, ist für Merkel "Befriedung" das höchste der Gefühle
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat am Sonntag im TV-Duell mit ihrem Herausforderer Martin Schulz (SPD) erneut indirekt betont, dass sie gegen die gleichgeschlechtliche Ehe ist. In einer Kurzfragerunde wurden die Kanzlerkandidaten von Sandra Maischberger gefragt: "Die Ehe ist für mich immer noch zuerst eine Verbindung aus Mann und Frau – Ja oder Nein?"
Während Schulz kurz und knapp mit einem "Nein" antwortete, wollte Merkel schwulen und lesbischen Paaren die Gleichstellung persönlich weiter nicht zugestehen: "Die Ehe ist jetzt für gleichgeschlechtliche Paare eingeführt. Aber im Grundgesetz ist sie so definiert, nach meiner Auffassung, dass es die Verbindung aus Mann und Frau ist. Ich glaube, die Entscheidung, die wir getroffen haben im Bundestag, ist eine befriedende Entscheidung."
Das Grundgesetz kennt keine entsprechende Definition der Ehe. Allerdings hatten Rechtsexperten vor allem auf Seiten der Union jahrelang betont, dass die Rechtsprechung bis zum Bundesverfassungsgericht die Ehe bislang als Verbindung aus Mann und Frau definiert habe, und deswegen eine Verfassungsänderung für notwendig gehalten. Eine Mehrheit von Experten meinte hingegen bei einer Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestags, dass hier der einfache Wille des Gesetzgebers über der Rechtsprechung stehe. Auch habe das Bundesverfassungsgericht beim grundgesetzlichen Schutz von Ehe und Familie von sich aus bereits Regenbogenfamilien in die Definition von Familie aufgenommen und damit gesellschaftlichen Wandel anerkannt.
Ihre eigene Argumentation bot der Union den Vorteil, dass für eine Verfassungsänderung eine Zwei-Drittelmehrheit in Bundestag und -rat nötig gewesen wäre und sich so eine lange Blockademöglichkeit bot. Die Argumentation bot auch die Möglichkeit, Homophobie oder das Eingehen auf homophobe Wähler hinter vermeintlichen Rechtsgründen zu verstecken – so wie jetzt auch Merkel auf eine allgemeine und auch gesellschaftliche Frage mit einer vermeintlichen Rechtsansicht reagierte.
Die Union ist noch nicht zum Frieden bereit
Merkel hatte in den letzten Wochen mehrfach in Interviews beide Gedanken betont: Den der Befriedung und den des vermeintlichen Eheverbots für gleichgeschlechtliche Paare in der Verfassung (queer.de berichtete). Damit wirkt sie letztlich der Befriedung weiter entgegen – zumal die groß angekündigte Prüfung der CSU, ob Bayern wegen dieser vermeintlichen Grundrechts-Frage noch eine Klage in Karlsruhe anstrebt, noch nicht öffentlich abgeschlossen wurde.
Bereits nach der Abstimmung im Bundestag zur Ehe-Öffnung, bei der Merkel Ende Juni mit Nein stimmte, hatte die Kanzlerin vor der Presse betont, dass sie inzwischen zwar anders als früher ein gemeinschaftliches Adoptionsrecht unterstütze, für sie aber "die Ehe im Grundgesetz die Ehe von Mann und Frau" sei (queer.de berichtete). Erst wenige Tage zuvor hatte sie überraschend betont, dass sie sich in der Frage eine Gewissensentscheidung der Abgeordneten vorstellen könne – unter Druck von SPD, Grünen und FDP, die die Ehe für alle zuvor als Koalitionsbedingung genannt hatten.
Martin Schulz brauchte nach seiner Ernennung im Frühjahr etwas Zeit, um LGBTI-Rechte für sich zu entdecken – dann nutzte er die Chance
Die Gewissensentscheidung war wohl für die Zeit nach der Wahl gedacht, die SPD mit Martin Schulz griff die Sache aber am nächsten Morgen in einer Pressekonferenz auf und forderte eine Abstimmung in der letzten Sitzungswoche ein – gegen den Willen des Koalitionspartners, der noch gegen die Ansetzung auf die Tagesordnung stimmte. Dann stimmte der Bundestag mit Stimmen von SPD, Teilen der Union und der geschlossenen Opposition und in Folge der Bundesrat für einen vorliegenden Gesetzentwurf aus der Länderkammer: Am 1. Oktober tritt die Ehe-Öffnung in Kraft.
Viele dringende Fragen in der LGBTI-Politik bleiben aber noch offen. In den aktuellen Wahlprüfsteinen des LSVD schneidet die CDU weiter nicht gut ab (queer.de berichtete) – was wegen des drohenden Einzugs der AfD mit einem noch schlechteren Profil etwas untergeht. Bei der SPD ist das Profil erheblich besser, allerdings befürchten viele LGBTI-Aktivisten einen überwiegenden Stillstand, sollte es erneut zu einer Großen Koalition kommen.
Dem queeren NRW-Magazin "fresh" sagte Schulz zur Ehe-Öffnung: "Mit der Ehe für alle setzen wir eine gesellschaftliche Realität endlich in Gesetzesform um. Die SPD will das seit Jahren, das haben CDU/CSU stets blockiert" (queer.de berichtete). Nun sei u.a. eine "baldige Reform des Transsexuellengesetzes dringend nötig". (cw)
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