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Hetz-Wahlkampf 2017
AfD empört sich über hohe (und falsche) Kosten der Ehe für alle
Die Berliner AfD beklagt, der Senat gebe angeblich kein Geld für Lehrer aus, aber "1,35 Millionen Euro" für "Homo-Ehen-Standesbeamte".

Homo-Themen gehören zu den beliebtesten Aufregerthemen der AfD
- Von Norbert Blech
7. September 2017, 17:42h 3 Min.
"Buntes Berlin: Kein Geld für Bildung, aber wenn es um die Homo-Ehe geht, sitzt das Budget reichlich locker" – so beklagt der Berliner Landesverband der "Alternative für Deutschland" seit Mittwoch auf Facebook vermeintlich "seltsame Prioritäten" der Landespolitik.
Die rechte Partei spielt mit dem Hetz-Kommentar genüsslich Schulkinder gegen Schwule und Lesben aus, als würde das irgendeinen Sinn ergeben, als gebe es sonst keine Posten im Landeshaushalt – und als hätten schwule und lesbische Paare keinen berechtigten Anspruch, verheiratet zu werden. "Wo Homo-Hochzeiten wichtiger werden, als Bildung für unsere Kinder, ist ein neuer Tiefpunkt erreicht", beklagt die AfD. "Das bunte Berlin verliert sich in Beliebigkeit, statt dort zu investieren, wo es dringend nötig wäre: bei unseren Kindern, in die Zukunft unseres Landes."
Anlass der Hetze ist ein von der Partei verlinkter Artikel des "Berliner Kuriers", wonach der Senat in einem Kurs 30 Verwaltungsangestellte zu Standesbeamten umschulen lassen will, um die bisherigen 120 Standesbeamten zu unterstützen: Die Politik rechnet allein wegen der Umschreibungen von Lebenspartnerschaften in Ehen mit einem größeren Ansturm auf den Standesämtern. Die AfD beklagt, "dass jetzt 1,35 Mio. Euro im Haushalt locker gemacht werden, um neue Standesbeamte für Homo-Ehen zu schulen".
Gesamtkosten mal 30 gerechnet
Wie kommt die AfD auf die 1,35 Millionen Euro? "Die Kosten für den Kurs – 45.000 Euro – trägt das Land", schreibt der "Kurier". Die AfD hat diesen Betrag für das Umschulungsseminar bei 30 Teilnehmern schlicht mal 30 gerechnet.
Hätte die AfD auch nur etwas gegoogelt, hätte sie freilich etwa in der "Berliner Zeitung", der "Welt" oder der "Morgenpost" schnell herausfinden können, dass die 45.000 Euro in Wahrheit die Gesamtkosten für die Umschulungen per zweiwöchigem Schnellkurs sind: "Die 30 Kursteilnehmer seien von den Bezirken gemeldet worden. Die Kosten von insgesamt 45.000 Euro für den Lehrgang trage das Land Berlin", schreibt die "Morgenpost". Das wären 1.500 Euro pro Teilnehmer. Die Akademie für Personenstandswesen berechnet für ein zweiwöchiges Grundseminar für angehende Standesbeamte mit Prüfung 700 Euro und für die einfachste Unterkunft 867 Euro.
Die AfD hätte durch die Zeitungsberichte auch erfahren können, dass die früheren Stellen der Beamten neu ausgeschrieben werden – weil sie dauerhaft die konstant unterbesetzten Standesämter unterstützen sollen, bei Hetero- und Homo-Ehen ebenso wie bei den deutlich häufigeren Geburtseintragungen und Sterbefällen.
Auch ansonsten hat es die AfD nicht so sehr mit der Wahrheit: Im neuen Doppelhaushalt Berlins sind u.a. 1.600 neue Lehrerinnen und Lehrer vorgesehen, der Erlass von Schulbuchkosten oder zusätzliche Gelder zur Förderung der Inklusion behinderter Kinder. 2018 sollen 504 Millionen Euro in die Sanierung und den Neubau von Schulen fließen, 2019 rund 570 Millionen Euro.
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Grund zur Hetze verzweifelt gesucht
Offenbar hatte die Berliner AfD (neben einer absurden Überhöhung eines Streits um Unisex-Toiletten) schon länger nach einem Anlass gesucht, sich darüber zu empören, wie LGBTI dem Steuerzahler vermeintlich auf der Tasche liegen – als seien diese nicht auch Teil der Gesellschaft und nicht auch Steuerzahler. So wollte der Abgeordnete Frank-Christian Hansel im August in einer Kleinen Anfrage (PDF) im Abgeordnetenhaus wissen, ob das Land in irgendeiner Form den Berliner CSD unterstütze (der Senat gab kein Geld, die Lotto-Stiftung zweckgebundene Mittel für eine Umfrage).
Im Brandenburger Landtag hatte die AfD im Sommer einen Antrag eingebracht, der "Landeskoordinierungsstelle für LesBiSchwul und Trans" jegliche "finanzielle wie ideelle Unterstützung" zu streichen, da die staatliche Förderung eine "Verschiebung zugunsten einer kleinen Gruppe" und eine "tendenzielle Benachteiligung der heterosexuellen Mehrheit in der Gesellschaft" darstelle (queer.de berichtete). Im Mainzer Landtag beklagte erst vor zwei Wochen eine AfD-Abgeordnete vermeintlich hohe Kosten für Antidiskriminierungspolitik und verglich dabei LGBTI-Aktivisten mit der Tabak-Lobby (queer.de berichtete).















Im übrigen:
Da die vorigen Stellen alle neu besetzt werden, kommen mehr Menschen in Arbeit, so dass die Kosten schnell wieder reinkommen und danach verdient der Staat dann sogar daran.
Es lohnt sich also sogar finanziell für die Volkswirtschaft.