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Hass-Bus in Berlin
"Demo für alle" feiert sich für 220.000 ausgrenzende Unterschriften
Zum Abschluss ihrer Tour präsentierte Hedwig von Beverfoerde ihre Petition an Bundeskanzlerin Angela Merkel gegen die Ehe für alle – die Szene der Hauptstadt hielt dagegen.

Eduard Pröls (l.) und Hedwig von Beverfoerde (r.) am Freitag in Berlin mit der Petition "Ehe bleibt Ehe": "Keine Lobbygruppe" oder Regierung habe das Recht, die "vorstaatliche" Ehe zu verändern und das "natürliche Recht des Kindes auf Vater und Mutter" abzuschaffen, heißt es darin. (Bild: Markus Kowalski)
- Von Markus Kowalski
15. September 2017, 18:52h 6 Min.
"Geht zurück in die Sechziger, da wo ihr hingehört", fordert Sebastian Walter, grünes Mitglied des Berliner Abgeordnetenhaus. Der Parlamentarier steht an diesem Freitag mit rund 100 weiteren Demonstrierenden in Berlin vor dem Paul-Löbe-Haus des Bundestages, gegenüber dem Bundeskanzleramt. Er protestiert gegen den Hass-Bus der "Demo für alle".
Um ihn herum steht eine Community, die gut vorbereitet ist: Die Gegendemonstranten haben bunte Plakate, Banner und Regenbogenfahnen mitgebracht. Bereits eine Stunde vor der geplanten Ankunft des orangenen Busses sind sie an dem Freitagnachmittag aufgestellt.
Seit über einer Woche war der "Bus der Meinungsfreiheit" mit Botschaften gegen die Ehe-Öffnung, gegen Regenbogenfamilien und gegen die Selbstbestimmung von Transsexuellen und Transgendern durch acht Städte gereist, organisiert von Hedwig von Beverfoerde, die zuvor größere Demonstrationen gegen Schulaufklärung über sexuelle Vielfalt und weitere Fragen von LGBTI-Rechten und Emanzipation veranstaltet hatte, und Eduard Pröls vom europaweiten Fundi-Petitionsportal CitizenGo (mehr zu den Hintergründen in diesem Vorabbericht).

Wie in allen anderen Städten versammelten sich auch in Berlin mehr Gegendemonstranten als Besucher der Bustour. Bild: Markus Kowalski
Gegen 14:45, ein bisschen früher als geplant, kommt der Hass-Bus an seiner letzten Station vor dem Kanzleramt an und parkt in 200 Metern Entfernung zur Gegendemo. Die ersten Menschen mit hellblauen T-Shirts steigen aus, machen das Mikrofon startklar, da kommt bereits Anja Kofbinger von den Grünen: "Ich bitte sie, dahin zurückzugehen, wo sie hergekommen sind", sagt sie und hält energisch ihren Parlamentarier-Ausweis hoch. "Im Namen des Abgeordnetenhauses darf ich ihnen ausrichten: Berlin braucht diese Hinterwäldler nicht. Willkommen und Tschüss!" Die Bus-Insassen sind kurz irritiert, grinsen dann aber und scheinen sich davon nicht beeindrucken zu lassen.
Wilde Wortgefechte liefert sich auch der Aktivist Alfonso Pantisano, früher Sprecher von "Enough is Enough": "Das ist Hass, den sie verbreiten!", ruft er zu Alexander Tschugguel, der die Bus-Kundgebung angemeldet hat. "Wir stehen für die Liebe", antwortet dieser. Pantisano: "Wenn sie für die Liebe sind, dann müssten sie ja auf meiner Seite stehen!"

Zu dem von der Polizei auf Abstand gehaltenen Gegenprotest hatten diverse Szeneverbände eingeladen. Bild: LSVD Berlin-Brandenburg
Die übrigen Bus-Fahrenden lassen sich davon nicht beeindrucken. Sie bauen einen Infotisch und Lautsprecher auf und eine kleine Menge von nicht mehr als 50 Personen versammelt sich mit Luftballons in rosa und blau vor dem Bus. Hedwig von Beverfoerde stellt sich etwas erhöht auf einen Stein und beginnt ihre Rede: "Wir bekommen Unterstützung von Eltern aus ganz Deutschland", behauptet sie. Aus der Menge ruft man "genau" und "richtig", es wird geklatscht. Am Rande haben sich einzelne LGBT-AktivistInnen versammelt und rufen hingegen "Schwachsinn" und "Lüge" und zeigen den Daumen nach unten.
Widerstand von Paris und Madrid nach Berlin
Alexander Tschugguel, nach eigener Aussage Manager dieser Bus-Unternehmung und von den Gegendemonstranten in Köln "Kevin" getauft, ist seit Jahren bei der "Demo für alle" aktiv – der Österreicher versuchte sich in der Heimat mit einer Christen-Partei und ist in Bonn in einer katholischen Burschenschaft aktiv. "Es wird gesagt, dass wir Hass versprühen", ruft er durch das Mikrofon. "Ich verstehe das nicht." Er fühle sich nicht als Hasser. Zugleich beklagt er "widerwärtige Hasstiraden" gegen von Beverfoerde auf der Bus-Tour.
Gegenüber dem freien Reporter von queer.de sagt Tschugguel kurze Zeit später, dass auf der Strecke durchweg "acht bis zehn Leute Standardbesetzung" dabei seien, vor Ort wären dann weitere Unterstützer dazu gekommen. Man habe keine öffentlichen Aufrufe zu diesen Veranstaltungen gemacht, sondern nur interessierte Freunde eingeladen. Die Idee zu seinem Engagement habe er aus Frankreich, wo während der Debatte um die Ehe-Öffnung bis zu einer Million Menschen zu Gegenprotesten auf der Straße waren. Tschugguel war damals in Paris und "so begeistert davon", dass er dies auch in Deutschland haben wollte.

"Vielfalt nimmt dir nichts weg" – Gegenproteste am Freitag in Berlin. Bild: Markus Kowalski
Vor dem Bus, der auf eine transfeindliche Bustour von CitizenGo in Spanien und später weiteren Ländern zurückgeht, werden einige Ansprachen gehalten, es sind die üblichen Reden dieser Tour: Kinder bräuchten Vater und Mutter und würden auch durch "Früsexualisierung" gefährdet, die Ehe-Öffnung verstoße gegen die Verfassung, die Tradition aus Jahrhunderten und die Bibel. Die angekündigte Rednerin Birgit Kelle ist nicht gekommen. Nach Berlin angereist, wohl auch als Gast des am Samstag in Berlin folgenden "Marsch für das Leben", ist dafür Manfred Spieker, Professor für Christliche Sozialwissenschaften im Ruhestand, der auf einer "Demo für alle" einst behauptete, die meisten schwulen Jugendlichen würden wieder heterosexuell (queer.de berichtete), und der die Diskriminierung Homosexueller als "konstruiert" bezeichnet hatte (queer.de berichtete).
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Druck auf Merkel und Seehofer
Nach den Reden macht die Bus-Gesellschaft noch ein Gruppenfoto, lässt die Ballons in den Himmel steigen und grinst in die Kameras. Von Beverfoerde hatte angekündigt, angeblich 220.000 Unterschriften gegen die Ehe-Öffnung ans Kanzleramt zu übergeben, die offline mit Listen und online via CitizenGo gesammelt wurden – was dann doch nicht passiert. Vor Ort sind fünf volle Aktenordner mit handschriftlichen Petitions-Formularen sichtbar. Ob eine Übergabe noch geschehen soll, weiß Hedwig von Beverfoerde im Gespräch mit queer.de noch nicht. Stattdessen beklagt sie sich über "Falschinformation", wenn man ihr Begriffe wie "Nazis", "Hassreden" oder "braunes Pack" zurufe.

Kein Hass, nirgendwo
Mit ihrer Initiative, die Ehe für alle zu revidieren, hofft von Beverfoerde immer noch auf die CSU und den bayrischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer als Unterstützer. Das Land solle auch Wochen nach der beschlossenen Ehe-Öffnung vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, fordert eine weitere Petition auf CitizenGo – die bayrische Staatsregierung hatte kürzlich angekündigt, dazu Gutachten in Auftrag gegeben zu haben (queer.de berichtete). Vor etwas einem Jahr hatten Beverfoerde, damals noch CDU-Mitglied, und Mitstreiterinnen beim Kampf gegen Schulaufklärung über sexuelle Vielfalt noch Gehör bei der Landesregierung gefunden, neue Richtlinien wurden in Folge abgeschwächt (queer.de berichtete).
In München hatte der Hass-Bus seine Tour begonnen. In Berlin sagt Beverfoerde, sie hoffe auf die Bundestagswahl und für sie "günstige politische Konstellationen". Ob sie auf Seehofer und seine Unterstützung noch zählen könne, fragt sie der Reporter. Sie überlegt einen Moment, antwortet dann: "Das weiß ich im Moment noch nicht."
Letzte Rückzugsgefechte?
Unterdessen gehen die Gespräche am Rand der Demonstration weiter. Über das Absperrgitter der Polizei diskutierten Unterstützer des Busses mit LGBT-VertreterInnen. Einzelne Gegendemontrierende versuchen mit Zwischenrufen und Pfiffen die Redebeiträge zu übertönen. So auch Alfonso Pantisano, der dann von der Polizei zurecht gewiesen wird. Insgesamt bleibt das Zusammentreffen beider Gruppen aber friedlich.
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Der Abgeordnete Walter, der die ganze Zeit auf der Seite der queeren Gegendemo bleibt, zeigt sich trotz der Hass-Bus-Tour optimistisch: "Die Homo-Hasser sind allgemein auf dem Rückzug." Zwar würden die Konservativen gegen die Bildungspläne an Schulen hetzen. "Aber Ihr werdet euch noch ärgern", sagt er in Richtung des Hass-Busses. "Sexualaufklärung an Schulen ist das, was wir jetzt in Berlin voranbringen werden."
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