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Angebliche "Benachteiligung der heterosexuellen Mehrheit"
Brandenburg: Landtag tritt homophobem Antrag der AfD resolut entgegen
Die AfD wollte queeren Projekten die Mittel komplett streichen – Politiker der übrigen Parteien von CDU bis Linke reagierten mit einem klaren und einhelligen "jetzt erst recht".

Birgit Bessin, 1978 in Worm geboren, ist parlamentarische Geschäftsführerin der AfD im Potsdamer Landtag – und eine weitere Vertreterin der Partei, die auf Homo- und Transphobie setzt
- Von Norbert Blech
27. September 2017, 19:27h 6 Min.
Der Brandenburger Landtag hat am Mittwoch mit den Stimmen aller anderen Parteien einen Antrag der AfD (PDF) abgelehnt, mit dem die Regierung aufgefordert wird, die "finanzielle und ideelle Unterstützung der Landeskoordinierungsstelle für LesBiSchwule & Trans" und aller damit verbundener Gruppen einzustellen.
Die Stelle ist ein eingetragener Verein unter Verantwortung des Landesverbands "Andersartig" und leistet unter anderem Beratung für LGBTI aus Brandenburg, Aufklärungsveranstaltungen für Fachkräfte aus den Bereichen Bildung, Verwaltung und Unternehmen, Vernetzungsarbeit für die queeren Gruppen des Landes und eine politische Interessenvertretung. Die AfD sieht in der Förderung dieser Arbeit in dem im Juni eingebrachten Antrag hingegen eine "überflüssige Privilegierung dieser Gruppen" und eine "tendenzielle Benachteiligung der heterosexuellen Mehrheit" (queer.de berichtete).
Die stellvertretende Landesvorsitzende der AfD, Birgit Bessin, zitierte zu Beginn ihrer Landtagsrede zunächst ihre lesbische Kollegin Alice Weidel, wonach man die einzige politische Kraft sei, "die sich traut, die Bedrohungen, Diskriminierungen und Angriffe auf homosexuelle Menschen in Deutschland durch vornehmlich muslimische Migranten zu thematisieren. Alle anderen fürchten sich davor."
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In eigenen Worten betonte Bessin weiter, man sei "aber auch Partei der Familie, und die definieren wir klassisch (…) aus Mutter, Vater und Kindern" – die wie früher die "Homosexuellen in der AfD" als Alibi genutzte Weidel zieht mit ihrer Partnerin zwei Kinder auf. "Alle anderen Lebensgemeinschaften achten wir, aber wir sehen die staatliche Förderung wie bei der der Landeskoordinierungsstelle als überflüssig an und als eine Parteinahme für eine Minderheit". Diese "Bevorzugung einer Gruppe" führe zu einer Diskriminierung einer anderen. Der Begriff "Diskriminierung" sei zudem ein "Selbstläufer geworden, der schon fast zivilreligiöse Züge trägt", und ein "Versuch, unsere Gesellschaft zu spalten".
Die Abgeordnete beklagte auch in "sogenannten Aufklärungsprogrammen" eine vermeintliche "Indoktrination von Kindern" im Unterricht. Letztlich gebe es eine "Überbetonung von angeblicher Diskriminierung und Anderssein – es wirkt doch schon fast so, als wollten die Organisatoren dieser Antidiskriminierungsworkshops Kindern und Jugendlichen einreden, dass sie überhaupt diskriminiert werden". Die Arbeit von Gruppen wie "Andersartig" habe "bedauerlicherweise (…) Folgen" wie die kürzlich im Bundestag beschlossene Ehe für alle, so Bessin. "Wir lehnen diese ab."
Der Abgeordnete Volkmar Schöneburg von der Linken bezeichnete den AfD-Antrag auch im Namen der SPD-Fraktion als "perfide" und "schamlos". Er erinnerte daran, dass Brandenburg 1992 als erstes Bundesland den Schutz vor Diskriminierung aufgrund des Merkmals "sexuelle Identität" in seine Verfassung aufgenommen hatte. Das sei eine Grundrechtsnorm. "Von der Landesverfassung haben Sie überhaupt nichts begriffen", warf er der rechten Partei vor.

Volkmar Schöneburg (Linke)
Der Schutz habe auch seine Berechtigung: Noch immer gebe es weit verbreitete und tief verwurzelte homo- und transfeindliche Einstellungen in der Gesellschaft – an die die AfD mit Anträgen wie diesem anknüpfen wolle. Und diese Haltungen, auch ein Anstieg von Kriminalität, führten zu Mobbing von Schülern, von Sportlern, Polizisten oder Soldaten. Das Augenmerk dürfe nicht nur auf Repression liegen, sondern müsse sich auch um die Betroffenen kümmern, gerade auch in den ländlichen Regionen Brandenburgs.
Die demokratische und soziale Verfassheit eines Staates mache sich fest in dessen Umgang mit seinen Minderheiten, so Schöneburg, diese seien gerade in ihrer Menschenwürde am ehesten gefährdet. "Deswegen brauchen wir die Koordinierungsstelle, deswegen brauchen wir zivilgesellschaftliche Projekte, deswegen brauchen wir die Unterstützung von vielfältigen Lebensentwürfen und von Respekt füreinander. Was wir nicht brauchen, ist ihr Antrag!"
In einer Kurzintervention meinte Birgit Bessin scheinheilig, ihr gehe es nur um die staatliche Unterstützung für die Koordinierungsstelle, deren Arbeit ja mit Spendengeldern weiter unterstützt werden könne. Die Rede Schöneburgs sei folglich "Fake News und Lügen". Ihr Fraktionskollege Andreas Galau meinte, man brauche "keine Belehrungen", sondern Schöneburg solle besser darüber aufklären, "aus welchen Gruppen", aus "welcher Nationalität" heraus die angesprochene Kriminalität hervorgehe – "diese Sachen können wir alle in der polizeilichen Kriminalstatistik nachlesen".

Andreas Galau (AfD)
Die von der AfD verbreitete These von Muslimen als Haupttäter von homo- und transfeindlicher Kriminalität und Grund ihres Anstiegs wird von der im Landtag angesprochenen (lückenhaften) Statistik auf Bundesebene allerdings ebenso nicht unterstützt wie von mehreren Landesstatistiken etwa aus Berlin (gleicher Text) oder Sachsen-Anhalt. Die These steht auch nicht dem Gedanken entgegen, Prävention in allen Gruppen der Gesellschaft zu betreiben.
Dass sich in fast allen Gruppen der Gesellschaft inzwischen Positives tut, machte die Rede der CDU-Abgeordneten Krysty Augustin deutlich: Sie betonte unter Applaus des Saales, dass sie dem Vorredner der Linken "in allen seinen Ausführungen uneingeschränkt meine Zustimmung geben" könne. Der AfD-Antrag löse hingegen nur "Kopfschütteln und Irritationen" aus.

Krysty Augustin (CDU)
Augustin fragte besorgt, welche Beratungsstellen für weitere Minderheiten wohl auf diesen Antrag folgen könnten, der bereits die Wahrnehmung der Existenz von LGBTI angreife. "Zum vorliegenden Antrag auf Gelderstreichung kann ich nur sagen, dass wir gerade erst einen Aktionsplan für mehr Vielfalt und Akzeptanz gemeinsam verabschiedet haben. Und dass der Bedarf zur Beratung, zur Aufklärung für mehr Toleranz, aber vor allem auch Akzeptanz – gerade im schulischen Bereich – dringend notwendig ist."
Die für CDU-Verhältnisse noch immer starken Worte wurden gefolgt von einer kämpferischen Ansprache der Grünen-Abgeordneten Ursula Nonnenmacher: Der AfD-Antrag sei wohl der Brandenburger Auftakt zum Bundestagswahlkampf gewesen, beklagte sie; er sei "banal" und "durchschaubar", der Gedanke einer "tendenziellen Benachteiligung der heterosexuellen Mehrheit" wäre eine "pathologische Wahrnehmungsstörung".

Ursula Nonnenmacher (Grüne)
"Den abstrusen Forderungen dieses Antrags erteilen wir Bündnisgrünen natürlich eine klare Absage", so Nonnenmacher. "Und glücklicherweise gibt es in diesem Parlament eine robuste Mehrheit, die sich dem entschlossen entgegen stellen wird". Unter zunehmenden Applaus betonte sie: "Die Programme bleiben am Netz. Finanziert mit Steuermitteln. In immer mehr Kommunen und auch im ländlichen Brandenburg wird die Regenbogenfahne gehisst." Die lesbisch-schwule Bus-Tour sei auch 2017 erfolgreich durch Regionen gezogen und auch der von den Grünen eingeforderte Aktionsplan sei auf gutem Wege.
"Aber damit nicht genug: Während Sie die Zeit und den gesellschaftlichen Fortschritt zurückdrehen wollen, weil Leute wie Herr Gauland Sehnsucht nach dem Deutschland seiner Väter hat und sich im Hier und Jetzt nicht mehr zurecht findet, zieht die Karawane weiter in die entgegengesetzte Richtung." Das zeige auch die in wenigen Tagen in Kraft tretende Ehe für alle. "Lassen Sie uns diesen Antrag dahinschicken, wo er hingehört: In die Ablage für ewiggestrige und überflüssige Symbolanträge."

Almuth Hartwig-Tiedt (Landesregierung)
Almuth Hartwig-Tiedt, linke Staatssekretärin im Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie, betonte für die Regierung, es sei noch ein langer Weg "hin zu einer Gesellschaft ohne Diskriminierung", das zeige auch die Debatte. "Ich möchte Ihnen an dieser Stelle versichern, dass wir entschieden jeder Form von Diskriminierung und Ausgrenzung entgegentreten werden, und zwar mit allen erforderlichen Mitteln auf der Grundlage unserer Verfassung. Wir werden weder die ideelle noch die finanzielle Unterstützung einstellen, sondern sie weiterführen."
Die Ministerin sagte das auch in Richtung von Vertretern von LGBTI-Gruppen auf der Besuchertribüne des Landtages, weitere waren einer Einladung des CSD Potsdam gefolgt und hatten den ganzen Tag über an einer Aufklärungsaktion vor dem Landtag teilgenommen.















Von der CDU bis zu den Linken haben sich alle Abgeordneten zusammengetan und der AfD gezeigt, was Sache ist: Ihr sitzt hier in einem demokratisch gewählten Parlament und dürft wie alle anderen Abgeordneten eure Meinung zum Besten geben. Ihr müsst aber auch damit leben, dass einige oder in diesem Fall alle eurer Mit-Abgeordneten diese Meinung nicht teilen.