Es ist soweit. Ab heute können ich und mein Mann unsere Lebenspartnerschaft rückwirkend in eine Ehe umwandeln. Jahrzehnte voller Engagement und Auseinandersetzung haben diesen Moment möglich gemacht. Es ist ein enormer Erfolg der LSBTIQ*-Bewegung und ein Grund zu feiern. Neben den Pflichten, die eine Lebenspartnerschaft von Beginn beinhaltete, haben wir mit einem Schlag komplett die gleichen Rechte. Wir haben jetzt u.a. auch das Recht, gemeinsam Kinder zu adoptieren. Vieles wird einfacher. Die Ehe ist mit Privilegien verbunden.
Und was kommt jetzt? Ziehen wir uns ins Private zurück, genießen es, Teil des Establishments zu sein, und freuen uns, nicht mehr für gleiche Rechte kämpfen zu müssen? Nein. In unserer Gesellschaft gibt es noch so viel zu tun, dass es mir bei dem Gedanken, dass wir uns jetzt befrieden lassen, kalt den Rücken runter läuft.
Wir könnnen jetzt heiraten. Das ist wichtig. Wenn wir als LSBTIQ*-Bewegung jetzt aber durch die Ehe für alle berauscht die Augen davor verschließen, dass unsere Gesellschaft auch weiterhin extrem heteronormativ ist, und aufhören, energisch für tatsächliche Gleichberechtigung zu streiten, gehen wir einen Schritt vor und zwei Schritte zurück.
Diskriminierung und Ausgrenzung gibt es weiterhin
Unser Gastautor Jens Christoph Parker lebt in Osnabrück und Bern. Der Finanzbetriebswirt ist Sprecher der BAG Schwulenpolitik bei Bündnis 90/Die Grünen. Er zwitschert unter @JensParker (Bild: privat)
Durch die Ehe für alle ändert sich nichts für die Schüler*innen, die von ihren Klassenkamerad*innen aufgrund ihrer sexuellen Identität ausgegrenzt werden. Durch die Ehe für alle ändert sich auch nichts für Menschen, die verzweifelt darüber nachdenken, wie sie ihrem Umfeld erklären sollen, dass sie sich mit dem ihnen zugewiesenen Geschlecht nicht weiterleben können. Durch die Ehe für alle verschwinden ebenfalls nicht die politischen Kräfte, die mit all ihrer Leidenschaft daran arbeiten, alle von uns hart erkämpften Rechte wieder abzuschaffen.
Auch wäre es bitter, wenn sich frisch verheiratete Teile der LSBTIQ*-Bewegung dazu hinreißen lassen, ebenfalls die Ehe als gesellschaftliches Ideal zu überhöhen. Konservative verheiratete Menschen haben in den letzten Jahrzehnten nicht mit uns die Ehe für alle erstritten. Promisk oder polyamourös lebende LSBTIQ* hingegen schon. Diese Tatsache sollte man auch in den Flitterwochen und darüber hinaus nicht vergessen. Es gilt gerade jetzt zu beweisen, dass Solidarität innerhalb der LSBTIQ*-Bewegung mehr ist als ein Lippenbekenntnis.
Viele politische Baustellen bleiben
Wir müssen alle gemeinsam mit dem gleichen Elan weiter streiten, damit das pathologisierende Transsexuellengesetz final im Papierkorb unserer Gesetzgebung landet. Es muss durch ein lebensnahes und wertschätzendes sexuelles Identitätsgesetz abgelöst werden. Geschlechtzuweisende und -anpassende Operationen im Kindesalter gehören grundsätzlich verboten. Bis die Sichtbarkeit von Bisexuellen, trans und inter Menschen im Alltag selbstverständlich ist, sollte sie für uns alle eine permanente Querschnittsaufgabe sein.
Heutzutage übernehmen meistens mehr als zwei erwachsene Bezugspersonen Verantwortung für ein Kind. Diese sozialen Eltern werden rechtlich auch mit der Ehe für alle wie Fremde behandelt. Für sie muss ein gesetzlicher Rahmen geschaffen werden, in dem sie ihre Verantwortung absichern können.
Wir müssen über die gesundheitliche Situation von LSBTIQ* reden. Es zeigt sich, dass gesellschaftliche Diskriminierung negative Auswirkungen auf die individuelle Gesundheit und Lebenserwartung hat. Um diese Gesundheitsrisiken abzuwehren, braucht es eine gezielte und holistische Gesundheitspolitik.
Ich glaube fest daran, dass die Ehe für alle uns dabei helfen wird, die gesellschaftliche Akzeptanz auszubauen. Nichtsdestotrotz werden die noch bestehenden Vorurteile und Alltagsdiskriminierungen nicht von allein verschwinden.
Der Bund muss endlich auch einen kraftvollen Aktionsplan für Akzeptanz und Vielfalt auflegen, der die Landesaktionspläne sinnvoll vernetzt und in Rahmen der Bundesprogramme kraftvolle Akzente realisiert. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz muss durch ein Verbandsklagerecht, längere Fristen und die Beweislastumkehr gestärkt werden. Erst wenn wir alle in der Schule, am Arbeitsplatz, im Alters- oder Pflegeheim und jeder anderen Lebenssituation diskriminierungsfrei wir selbst sein können, sind wir tatsächlich am Ziel.
Solidarität mit anderen Minderheiten
Wir müssen uns der Auseinandersetzung mit den Kräften stellen, die uns unsere Rechte wieder wegnehmen wollen. Angela Merkel behauptet mit dem Blick auf den rechten Flügel ihrer Partei weiterhin, dass die Ehe für alle ihrer Meinung nach gegen das Grundgesetz verstößt. Sie hält sich damit alle Optionen offen. Es zeigt, dass auch in der CDU und CSU noch relevante Kräfte daran arbeiten, diese Abstimmung rückgängig zu machen. Ansonsten würde eine Kanzlerin sich wohl nicht freiwillig in die Situation manövrieren, zuzugeben, dass unter ihr ein Gesetz verabschiedet wurde, welches ihrer Meinung nach gegen das Grundgesetz verstößt. Die schlichtweg menschenfeindliche Agenda der AfD ist allgemein bekannt. Diese Auseinandersetzung ist anstrengend, aber nur so können wir sicher stellen, ihnen nicht die Debattenhoheit zu überlassen.
Dabei gilt es nicht erst aktiv zu werden, wenn wir als LSBTIQ* selbst betroffen sind, sondern auch, wenn die Menschen, die sich nur dann wohl fühlen, wenn sie auf andere herabgucken können, gegen beispielsweise Asylsuchende, Muslime oder Sinti und Roma Stimmung machen. Das ist im Kern eine Frage der Solidarität. Es ist aber auch im ureigenen Interesse der LSBTIQ*-Bewegungen. Je mehr es zur Normalität wird, eine Gruppe herabzuwürdigen, desto unsicherer leben alle Menschen in einer Gesellschaft.
In Gesprächen über all das, was noch vor uns liegt, werde ich manchmal darauf hingewiesen, wie viel LSBTIQ* in unserer Gesellschaft im globalen Maßstab bereits erreicht haben. Ist es nicht langsam mal genug? Ich stimme der Analyse komplett zu, aber komme zu einer vollkommen anderen Schlussfolgerung. Gerade deshalb muss meiner Meinung nach das weltweite kämpfen für LSBTIQ* Rechte ein fester Pfeiler unserer Außenpolitik werden! Es braucht Fortschritt bei der europäischen Antidiskiminierungsrichtlinie. Deutschland darf nicht weiter bremsen. In globalen Organisationen muss die Europäische Union ebenfalls die laute Stimme für LSBTIQ* weltweit werden.
Ich finde es nur schwer auszuhalten, wenn meine Regierung mit Akteur*innen Wirtschaftsverträge schließt, die mich an einer Straßenlaterne aufhängen würden. Ich will einen verdammten Konrad-Adenauer-Flieger in Regenbogenfarben, der in solchen Staaten landet, nach Einhörnern duftet und beim Aussteigen der Delegation anstatt der deutschen Nationalhyme erstmal laut "Freedom!" von George Michael spielt.
Nur weil man Teil des Establishments ist, muss man sich nicht so verhalten.
Und auch aus dem schönsten Herrenzimmer kann unsereiner ganz schnell vom faschistischen Pöbel, der von einer Pseudo-Elite gelenkt wird, vertrieben werden. Das war schon bei den Pringsheims so.
www.herrenzimmer.de/2013/04/20/hans-thoma-der-pringsheim-fri
es/
In Gestalten wie Beatrix von Storch (Organisatorin der Demo für alle) und Enkelin von Hitlers Finanz- und Raubminister wird diese hochkriminelle und faschistische Tradition fortgesetzt.