Drei Wochen nach der Rüge des Deutschen Presserates wegen "diskriminierender Berichterstattung" zeigt sich die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ) weiter uneinsichtig. In ihrer Samstagsausgabe veröffentlichte sie ganz unten auf Seite sechs in der Rubrik "Wichtiges in Kürze", neben Todesanzeigen, erstmals eine öffentliche Stellungnahme zu dem Vorgang.
In dem Text, der keine Entschuldigung enthält, heißt es: "Soweit sich Leser durch diesen Diskussionsbeitrag angegriffen oder herabgewürdigt fühlen, bedauern wir dies. Von der Freiheit, auch kontroversen Meinungen in unserer Zeitung Raum zu geben, werden wir jedoch weiterhin Gebrauch machen" (Dokumentation der kompletten Stellungnahme im folgenden Kasten).
Rüge des Presserats
In der Ausgabe vom 30. Juni 2017 haben wir auf Seite 10 in der Rubrik "Fremde Federn" einen Gastkommentar mit der Überschrift "Wir verraten alles, was wir sind" veröffentlicht. Darin wird unter anderem folgende Frage gestellt: "Und ist es wirklich so abwegig, was manche Gegner der Homo-Ehe behaupten, dass adoptierte Kinder ungleich stärker der Gefahr sexuellen Missbrauchs ausgeliefert sind, weil die Inzest-Hemmung wegfällt und diese Gefahr bei homosexuellen Paaren besonders hoch sei, weil die sexuelle Outsider-Rolle eine habituelle Freizügigkeit erotischer Binnenverhältnisse ohne alle sexual-ethischen Normen ausgebildet habe?"
Wegen dieses Beitrags hat der Beschwerdeausschuss 1 des Deutschen Presserats in seiner Sitzung am 14. September eine Rüge ausgesprochen. Der Beschwerdeausschuss sah die obige Frage als eine in Frageform gegossene Sachaussage an, für die es keinen wissenschaftlichen Beleg gebe. Diese enthalte eine diskriminierende Wirkung gegenüber Homosexuellen. Der Presserat bejahte insofern einen Verstoß gegen Ziffer 12 des Pressekodex.
Sowohl in rechtlicher als auch in presseethischer Hinsicht bewerten wir den Fall anders als der Beschwerdeausschuss. Unserer Auffassung nach handelt es sich bei der beanstandeten Passage nicht um eine Tatsachenbehauptung, sondern um eine Frage, die als Meinungsäußerung einzustufen ist. Soweit sich Leser durch diesen Diskussionsbeitrag angegriffen oder herabgewürdigt fühlen, bedauern wir dies. Von der Freiheit, auch kontroversen Meinungen in unserer Zeitung Raum zu geben, werden wir jedoch weiterhin Gebrauch machen. (F.A.Z.)
FAZ-Artikel: Homosexuelle neigen zum Kindesmissbrauch
Der unter dem Pseudonym Johannes Gabriel verfasste FAZ-Artikel "Wir verraten alles, was wir sind", der Ende Juni anlässlich der bevorstehenden Bundestagsabstimmung zur Ehe-Öffnung sowohl in der Print- als auch in der Onlineausgabe veröffentlicht wurde, hatte die Behauptungen aufgestellt, dass von Homosexuellen adoptierte Kinder aufgrund einer wegfallenden "Inzest-Hemmung" ungleich stärker der Gefahr eines sexuellen Missbrauchs ausgesetzt seien und dass diese Gefahr bei gleichgeschlechtlichen Eltern aufgrund ihrer sexuellen Orientierung besonders hoch sei. Diese diskriminierenden Behauptungen wurden mit pathetischen Fragen wie "Wird euch das Kind nicht zur Ware narzisstischer Selbstbefriedigung?" oder "Und dazu wollt ihr unschuldiges Kindesleben missbrauchen?" umrahmt.
"Diese Behauptungen, für die es nach Auffassung des Presserats keinen wissenschaftlichen Beleg gibt, entfalten eine diskriminierende Wirkung gegenüber Homosexuellen und stellen einen schweren Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot nach Ziffer 12 des Pressekodex dar", urteilte der Presserat Mitte September nach Dutzenden Leserbeschwerden (queer.de berichtete). Laut Ziffer 12 darf in Presseberichten niemand "wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe" diskriminiert werden.
Wie queer.de in der vergangenen Woche exklusiv berichtete, hatte die FAZ noch versucht, die Rüge mit einem Trick abzuwenden. Nach Auffassung der konservativen Zeitung können Homosexuelle gar nicht in der Presse diskriminiert werden, weil sie nicht direkt im Pressekodex erwähnt würden. Der Presserat wies die perfide Argumentation zurück. Für ihn sei klar, dass auch Homosexuelle eine "soziale Gruppe" darstellen. Diese Einschätzung entspricht allgemein auch der Rechtsprechung der EU. (cw)
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