Maxim Lapunow hat Strafanzeigen gegen seine Peiniger gestellt und machte diesen wichtigen Schritt am Montag öffentlich
In einem neuen Bericht der Zeitung "Novaya Gazeta" und auf einer Pressekonferenz in ihrem Redaktionsgebäude in Moskau hat sich am Montag erstmals ein Opfer der Schwulenverfolgung in Tschetschenien unter Verzicht auf Anonymität zu Wort gemeldet. Bisherige Interviews mit Betroffenen und Zeugen erfolgten aus Angst um ihre Sicherheit anonym. Maxim Lapunow geht jetzt hingegen gezielt in die Öffentlichkeit, auch um den Druck auf die russischen Ermittlungsbehörden zu erhöhen.
Der ursprünglich aus Omsk stammende Russe war vor zwei Jahren nach Grosny gezogen, um als Manager für Unterhaltungsevents zu arbeiten. Zuletzt war er als Verkäufer in einem Einkaufszentrum tätig. In dessen Nähe sei er am 21. März gegen 21 Uhr von einem Unbekannten mit "Hallo Max, lass uns reden" angesprochen und unter der Hilfe von drei weiteren Männern in ein Auto gezerrt worden, berichtete er in einem Interview mit der Zeitung. Für den Vorfall gebe es dutzende Zeugen, so Lapunow, darunter Mitarbeiterinnen seines Ladens. Zwischenzeitlich sei die herbeigerufene Polizei involviert gewesen, habe sich aber mit Dokumenten der Männer aus dem Auto zufrieden gegeben. Die Beamten seien auch nicht eingeschritten, als die unbekannten Männer Lapunow das Telefon entrissen hätten, mit denen er Bekannte informieren wollte.
Bei der Pressekonferenz, an denen auch Vertreter von LGBTI- und Menschenrechtsorganisationen teilnahmen, herrschte großer Andrang
Der junge Mann sei in einen Raum des Innenministeriums gebracht worden, den er gegenüber der Zeitung wie viele weitere Punkte detailliert schilderte. Bei dem ersten Verhör seien ihm seine Nachrichten aus sozialen Netzwerken und Messengern gezeigt und ihm vorgeworfen worden, schwul zu sein und nach Grosny gekommen zu sein, um "Jungs zu verführen". Auf die Weigerung, sich als schwul zu bezeichnen, habe der Verhörer gesagt, er könne einen Inhaftierten aus einen anderen Raum holen, der angebe, mit ihm Sex gehabt zu haben.
Folter in blutüberstömter Zelle
In einem weiteren Verhör sei Lapunow Folter mit Handschellen und Rohren angedroht, diese aber zunächst nicht ausgeführt worden – wohl weil er kein Tschetschene ist. Der Verhörer sei die Kontaktlisten seines Telefons durchgegangen und habe sich dabei nur für Männer aus der Region interessiert. Lapunow sei gezwungen worden, seinen Partner anzurufen und zu einem Treffen zu locken. Er habe versucht, Alikhan indirekt zu warnen, etwa durch eine Überbetonung der eigenen Adresse, so Lapunow, doch der Freund habe das nicht bemerkt. Später sei Lapunow unter gezückter Pistole zum Haus des Freundes gefahren worden und habe ihn auf die Straße locken müssen, wo er ebenfalls außergesetzlich festgenommen wurde.
Lapunow berichtet, auf der Wache sei er in eine Zelle gegenüber der des Freundes gebracht worden und habe dessen Folter miterleben müssen. Alikhan sei lange mit Stöcken geschlagen worden und habe laut geschrien. "So gehen wir mit Schwuchteln um", habe einer der Wächter gesagt. "Aber du wirst nicht geschlagen, weil du Russe bist". In seiner blutüberströmten Zelle sei er später dennoch von einem russischen Beamten ins Gesicht geschlagen worden. Ein tschetschenischer Wächter habe ihn später mit Stöcken gegen das Gesicht, gegen den Rücken, gegen Beine und Gesäß geschlagen. Auch habe er Lapunow und Alikhan angetrieben, sich gegenseitig zu schlagen. Unter etlichen Beleidigungen hätten die verhörenden Personen versucht, Details über das Intimleben der Männer herauszufinden. Beide hätten sich geweigert. Die zunehmende Folter hinterließ schwere seelische Auswirkungen: "Ich bereitete mich darauf vor, getötet zu werden", so Lapunow.
Auf der Pressekonferenz berichtete er vom Schicksal Dutzender weiterer Männer, denen er begegnete und die Spuren von Foltern aufwiesen, auch von Elektroschocks. Während sein Freund nach Aussagen der Wärter nach drei Tagen seinen Eltern übergeben wurde und "nach Frankreich gegangen" sei, sei er selbst insgesamt zwölf Tage festgehalten worden. Sein Vermieter habe inzwischen die Schlüssel zu seiner Wohnung ausgewechselt; die Beamten hätten ihn später zu einer Busstation gebracht, ihm Geld und eine Fahrkarte gegeben und ihn aufgefordert, Tschetschenien zu verlassen. Man werde ihn aufspüren und töten, wenn er von der Verschleppung erzähle, sei ihm gedroht worden.
Nachdem im Mai im Wohnort seiner Familie Fremde auftauchten und er gleichzeitig durch einen Anruf aus Grosny vom Schicksal eines russischen Freundes erfuhr, der nach der Verschleppung an seine Familie übergeben und dann in seiner Heimat ermordet worden sei, habe er die Flucht ergriffen und sich an das russische LGBT Network gewandt. "Ich habe weiter Albträume über das, was ich erlebt habe", so Lapunow. "Diese Schreie, dieses Stöhnen und die Gebete um Gnaden haben tiefe Spuren in mir hinterlassen."
Ein Schicksal von Hunderten
Das russische LGBT Network hatte im April nach den ersten Berichten aus Grosny ein Beratungstelefon geschaltet und verfolgte Menschen, auch mit internationalen Spenden, aus der Region zunächst in Notunterkünfte und dann möglichst ins Ausland vermittelt. Verbandssprecher Igor Koschetkow sagte bei der Pressekonferenz in Moskau, man habe bisher rund 80 Menschen bei der Flucht helfen können, darunter 27 gefolterte Männer sowie ihre Familienmitglieder und Partner.
Fast 60 Menschen wurden inzwischen ins Ausland gebracht. Mehrere EU-Länder, darunter Deutschland, haben einige Verfolgungsopfer mittels eines humanitären Visums aufgenommen (queer.de berichtete). Vor allem Kanada nahm bis zu 30 Männer auf – das russische LGBT Network rügte allerdings öffentlich eine regionale LGBT-Organisation, die mit zu großem Medienwirbel die Sicherheit der Männer gefährdet habe. Noch immer werde nach ihnen gesucht und würden in der Heimat verbliebene Verwandte und Bekannte drangsaliert.
Direktlink | "Unable to breath" – das LGBT Network hatte im Juli diesen Zeichentrick veröffentlicht, der die Verfolgungswelle in all ihrer Gewalt und ihren Auswirkungen aus Betroffenensicht schildert
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Das LGBT Network hatte im Juli einen ausführlichen Bericht vorgestellt, der die außergesetzlichen Verschleppungen dokumentiert (queer.de berichtete). Wie die "Novaya Gazeta" hatte sich auch der Verband bemüht, Dokumente an russische Strafverfolgungsbehörden zu geben. Die begannen zwar die ersten Vorermittlungen gegen Vertreter des Kadyrow-Regimes seit Jahren, doch nach Aussagen auf der Pressekonferenz scheinen sie bislang eher daran interessiert, die Anschuldigungen zu widerlegen. Die in der Sache inzwischen durchaus engagierte russische Menschenrechtsbeauftragte Tatjana Moskalkowa scheint ebenfalls an ihre Grenzen zu stoßen. Allerdings hat sie sich inzwischen mit Maxim Lapunow getroffen, der mehrere Strafanzeigen, Untersuchungsaufträge und Zeugenaussagen vorlegte.
Anders als anonyme Aussagen ermöglicht der mutige Schritt nähere Ermittlungen, sollte diese eigentlich sogar erzwingen. Lapunow erklärte sich von sich aus sogar bereit, nach Grosny zu reisen und das Gebäude seiner Folter und die Wächter zu identifizieren. Nach einem zweitägigen Gespräch mit einem Ermittler im September samt körperlicher Untersuchung und Lügendetektor hätten die Beamten aber nicht mal weitere Standardermittlungen durchgeführt und bislang auch keinen Zeugenschutz gewährt. Zugleich seien Details der Aussagen Lapunows geleaked worden und hätten so Verdächtigen ermöglicht, weitere Spuren zu verwischen. Wie eine Video-Reportage von "Vice" kürzlich zeigte, war im Sommer bereits das Hauptgefängnis, in das Schwule gebracht worden, in Argun geräumt worden (queer.de berichtete).
Verschleppungen halten an, Sorge um jungen Sänger
Die Zeitung "Novaya Gazeta" und das russische LGBT-Netzwerk haben am Montag zugleich einen Bericht von "Rado Free Europe" aus dem August bestätigt, zu dem es zunächst keine weiteren öffentlichen Quellen gab, wonach es derzeit aber eine weitere Verfolgungswelle in Tschetschenien gebe, die vor allem Personen aus dem Bereich Kultur und Showbiz betreffe, bei denen eine Homosexualität vermutet wird.
Die "Gazeta" und das russische LGBT-Netzwerk brachten diese Verfolgungswelle am Montag zugleich erstmals in direkte Verbindung mit einem möglichen Verbrechen, das seit Wochen Schlagzeilen in russischen Medien und sozialen Netzwerken macht: Im August war der Sänger Selimchan Bakajew nach einem Besuch in Grosny verschwunden. Gegenüber dem TV-Sender Doschd berichteten Augenzeugen, er sei in der Innenstadt von Militärangehörigen festgenommen worden. Der Tschetschene lebte seit Jahren in Moskau und sollte in Kürze an einer populären russischen Castingshow teilnehmen.
Nachdem sich die Familie Bakajews an Medien und an die Präsidenten von Russland und Tschetschenien wandten, tauchte auf Instagram ein mysteriöses Video auf, in dem Bakajew davon spricht, in Deutschland zu sein. Allerdings gibt es laut Medienberichten keine Belege für einen Grenzübertritt des Sängers. Seine Familie und Freunde haben weiter keinen Kontakt zu ihm und halten das Video für erzwungen: Möbel und Lebensmittel ließen auf einen Aufenthalt in Russland oder Tschetschenien schließen, auch zeige der Sänger ein für ihn ungewöhnliches Verhalten.
Wie Igor Koschetkow bei der Pressekonferenz sagte, habe man zum Zeitpunkt seines Verschwindens mehrere neue Anrufe auf der Hotline erhalten, in denen von neuen Folterungen die Rede war – wie mit Details zu Lapunow habe man sich in den letzten Wochen dazu in der Öffentlichkeit zurückgehalten, um russischen Behörden Ermittlungen zu ermöglichen, die aber zu nichts führten. Viele der Betroffenen stammten aus dem Kulturleben. Sie seien bei ihrer Folter zu sexuellen Kontakten zu Bakajew befragt worden.
Bakajew bei einem früheren Treffen mit dem tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow
Bereits bei den ersten Verfolgungswellen im Frühjahr waren mehrere Prominente betroffen, u.a. die "Gazeta" hatte in ihren ersten Berichten von einem TV-Star gesprochen, der durch die tagelange Folter gestorben sei. Während die Zeitung ihn zunächst nicht namentlich benannte, hatte Präsident Kadyrow später betont, dass der Mann noch lebe. Wie die "Gazeta" im September berichtete, haben die Untersuchungen der Menschenrechtsbeauftragten Moskalkowa allerdings ergeben, dass Arbi Altemirow, Jurymitglied einer tschetschenischen Casting-Show, in seinem Geburtsort als einfacher "Landarbeiter" begraben ist. Laut "Gazeta" war er im April entführt und in das Sondergefängnis in Argun gebracht worden, in das die meisten Menschen wegen vermuteter Homosexualität gebracht wurden. Später war er Verwandten übergeben worden – Augenzeugen zufolge war er nach schwerster Folter zu jenem Zeitpunkt nicht mehr als ein "Sack voller Knochen".
Arbi Altemirow ist wohl das erste Todesopfer der Verschleppungswelle, dessen Name öffentlich bekannt wurde
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Das was da passiert ist keinen Deut besser als die Verfolgung und systematische Vernichtung von Menschen im Dritten Reich.
Und die Welt sieht tatenlos zu...