Offen schwul, intellektuell, links und kämpferisch – der Sexualwissenschaftler, Theoretiker und Aktivist Martin Dannecker hat die westdeutsche Schwulenbewegung entscheidend geprägt.
Martin Dannecker 1972 in Münster (Bild: Archiv Rosa Geschichten)
Das Schwarzweiß-Foto, auf dem er 1972 bei der ersten westdeutschen Homodemo in Münster das Schild "Brüder & Schwestern, warm oder nicht, den Kapitalismus bekämpfen ist unsere Pflicht" trägt, dürften die meisten schon einmal gesehen haben. Oder den Spruch zumindest kennen.
Zusammen mit Reimut Reiche veröffentlichte Dannecker 1974 die Studie "Der gewöhnliche Homosexuelle" (Bild: Schwules Museum*)
In den Sechzigerjahren schloss sich der heute 74-Jährige in seinem extravaganten Lackmantel der Studentenbewegung an. 1971 riss er als Co-Autor von Rosa von Praunheims Film "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" die bundesdeutschen Homos aus dem Schlaf. Seine drei später gemeinsam mit Reimut Reiche veröffentlichte Studie "Der gewöhnliche Homosexuelle" war die erste wissenschaftliche Arbeit zum Thema Homosexualität.
Und das sind nur einige der vielen Gründe, warum das Schwule Museum* Dannecker zurecht mit einer eigenen Ausstellung würdigt, die am Donnerstagabend in Berlin eröffnet wurde. "Faszination Sex" begleitet den Sexualwissenschaftler durch persönliche Etappen seines Lebens aus einer Bauernfamilie im Schwarzwald über seinen rotzschwulen Aktivismus in Frankfurt bis hin zu aufreibenden Aids-Debatten. Gemeinsam mit einigen Wegbegleitern gewährt er Einblick in seine Lust an der Psychoanalyse, der Frankfurter Schule und dem kritischen Denken.
"Rosa von Praunheim: Fuck yourself", schreibt Dannecker 1985 in der linken Zeitschrift "Konkret" – nachdem der Filmemacher auf dem Höhepunkt der Aidskrise im "Spiegel" schwule Promiskuität verurteilt hatte (Bild: Schwules Museum*)
"Martin Dannecker steht für progressive Sexualwissenschaft, materialistische Analysen zur Homosexualität, Sexualpolitik auf der Seite der Uneinsichtigen und Schwulsein voller Leidenschaft", erklärte Kuratorin Patsy l'Amour laLove zur Ausstellung. "Eine Theorie der Differenz, die kein museales Relikt der Geschichte werden sollte. Umso wichtiger, sich seiner Faszination für das Sexuelle ausgiebig hinzugeben." (cw/pm)
Die Ausstellung zeigt den Theoretiker auch privat: Martin Dannecker im Jahr 1970 als Polly Morf (Bild: Alfred von Meysenbug)
Infos zur Ausstellung
Faszination Sex – Der Theoretiker & Aktivist Martin Dannecker. Noch bis zum 28. Februar 2018 im Schwulen Museum*, Lützowstraße 73. 10785 Berlin. Öffnungszeiten: So, Mo, Mi, Fr 14-18 Uhr, Do 14-20 Uhr, Sa 14-19 Uhr, Di geschlossen. Zur Ausstellung findet ein umfangreiches Begleitprogramm statt.