Aktivisten hatten schon lange Änderungen im Personenstandswesen angemahnt, wurden aber von der Politik ignoriert (Bild: Dritte Option)
Die EU-weit einmalige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass ein drittes Geschlecht im Geburtenregister eingeführt oder gänzlich auf eine Geschlechtsangabe verzichtet werden müsse, ist von LGBTI-Aktivisten und der Antidiskriminierungsstelle des Bundes begrüßt worden. Vereinzelt gab es auch Kritik – manchen Aktivisten ging der Beschluss nicht weit genug, der AfD dagegen viel zu weit.
Die geschäftsführende Bundesfamilienministerin Katarina Barley (SPD) begrüßte das Grundsatzurteil der Karlsruher Richter und erklärte, die Aufnahme einer weiteren Geschlechtskategorie sei "überfällig". Weiter sagte die 48-jährige Deutsch-Britin: "Ich plädiere ausdrücklich dafür, nun eine umfassende Reform des Rechtes für trans- und intergeschlechtliche Menschen entsprechend der Vorgaben des Europarates einzuleiten."
Katarina Barley veröffentlichte dieses Bild auf Facebook
Der frühere Bundestagsabgeordnete Volker Beck (Grüne) nannte die Entscheidung einen "Meilenstein für die Rechte der Intersexuellen". Das Bundesverfassungsgericht müsse "dem denkfaulen Gesetzgeber" in dieser Frage auf die Sprünge helfen. Insbesondere der Union falle "Respekt vor der Identität der Menschen" und die Anerkennung "moderner, humanwissenschaftlicher Erkenntnisse … aus ideologischen Gründen bisher schwer". Er hoffe nun aber auf eine große Lösung und verwies darauf, dass ein grüner Entwurf für ein Selbstbestimmungsgesetz bereits vorliege (queer.de berichtete).
Forderung nach schneller Umsetzung
Mehrere weitere Grünenpolitiker zeigten sich über den Entschluss erfreut. "Die #DritteOption muss nun auch schnell umgesetzt werden", betonte etwa die Grünenabgeordnete Ulle Schauws. "Der weitere Schritt muss nun sein, die geschlechtliche Zwangsanpassung von intersexuellen Kindern und Jugendlichen durch medizinische Operationen zu beenden. Wir Grüne werden weiterhin für breite Akzeptanz kämpfen."
Michael Kauch, der Chef der Liberalen Schwulen und Lesben (LiSL), forderte die Jamaika-Parteien zum Handeln auf: "Die Neuregelung für Intersexuelle ist ohne jeden Verhandlungsspielraum zu ändern. In diesem Zusammenhang sollte in den aktuell stattfindenden Sondierungen zudem eine Reform des weitgehend verfassungswidrigen Transsexuellengesetzes vereinbart werden. Dies gebietet der Sachzusammenhang – in beiden Fällen geht es um die geschlechtliche Identität."
LiSL-Chef Michael Kauch saß von 2003 bis 2013 für die FDP im Bundestag
Der Lesben- und Schwulenverband hofft, mit der Entscheidung die "biologistische Zweigeschlechtlichkeit überwinden" zu können. "Als Verband sprechen wir uns seit langem dafür aus, dass intersexuelle bzw. intergeschlechtliche Menschen in unserer Rechtsordnung selbstbestimmt leben können und ihnen rechtliche Anerkennung widerfährt." Die Karlsruher Entscheidung stelle "einen wichtigen Schritt hin zu diesem Ziel dar", erklärte LSVD-Vorstandsmitglied Sandro Wiggerich. Der Gesetzgeber müsse jetzt "zügig" reagieren – und solle nicht nur die Mindestvorgaben aus Karlsruhe umsetzen, "den dritten Geschlechtseintrag nur Personen mit biologischen Varianten der Geschlechtsentwicklung zu eröffnen". Denn maßgeblich sei "das empfundene Geschlecht".
Die Bundesvereinigung Trans* (BVT*) zeigte sich erfreut über die Entscheidung: "Dieses historische Urteil des Verfassungsgerichts zeigt, dass das Thema geschlechtliche Vielfalt und nicht-binäre Identität einen Schritt weiter in der Gesellschaft angekommen ist", erklärte Sprecher Kai Brust. "Das Gericht lässt dem Gesetzgeber nun den Spielraum, entweder ganz auf die Registrierung von Geschlecht zu verzichten oder eine dritte positiv benannte Geschlechtsoption zu schaffen. Beide Modelle wurden bereits von der Bundesvereinigung Trans* gefordert."
Die Kampagnengruppe Dritte Option, die Käger*in Vanja durch die Instanzen begleitet hatte, begrüßte die Entscheidung überschwänglich: "Endlich ist auch durch das Bundesverfassungsgericht anerkannt worden, dass es mehr Geschlechter gibt als Mann und Frau, und dass nicht-binäre inter* und nicht-binäre trans* Menschen nicht falsch sind, sondern genauso ein Recht auf Geschlecht haben wie alle anderen auch", erklärte Kampagnenpressesprecher Moritz Schmid am frühen Nachmittag. "Zum ersten mal gibt es jetzt in der Bundesrepublik eine Rechtssicherheit über den grundrechtlichen Schutz von Menschen, die weder Frau noch Mann sind. Wir hoffen, dass dieser Erfolg jetzt dazu genutzt wird, überall da gegen Diskriminierung zu kämpfen, wo inter* und trans* Menschen noch immer aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt werden."
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes bezeichnete die Anerkennung des dritten Geschlechts auf ihrer Facebook-Seite als "historische Entscheidung". "Die Karlsruher Richterinnen und Richter haben in ihrem Beschluss eindeutig klargestellt, dass der Schutz vor Diskriminierung wegen des Geschlechts nicht nur für Männer und Frauen gilt, sondern auch für Menschen, die sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuordnen", so die Leiterin der Behörde, Christine Lüders. "Für intergeschlechtliche Menschen ist das eine historische Entscheidung – und die Anerkennung ihres jahrzehntelanges Kampfes für Selbstbestimmung". Durch die Entscheidung werde aus Sicht der Antidiskriminierungsstelle überdies klargestellt, dass die Ehe für alle auch für intersexuelle Menschen gilt.
"Noch eine Schublade mehr"
Vereinzelt gab es auch negative Reaktionen aus der Community. So zeigte sich der Verein Aktion Transsexualität und Menschenrecht (ATME) wenig beeindruckt und kritisierte in einem Facebook-Eintrag: "Noch eine Schublade mehr. Wenn wir nicht aufpassen, dann wird es noch schwieriger werden diesen zu entkommen", so die Aktivisten, die in der Praxis eine weitere "geschlechtliche Fremdbestimmung" befürchten. Weiter schrieben sie: "Wenn wir in Zukunft statt 2 Geschlechtern 3 haben: Was ist eigentlich mit den Menschen, die sich zwischen Geschlecht 1 und 2 oder zwischen 2 und 3 empfinden?"

Wie nicht anders zu erwarten war die Reaktion vonseiten der AfD negativ: Der Bundestagsabgeordnete Frank Pasemann warf den Karlsruher Richtern etwa auf Twitter vor, dem "Genderwahn" verfallen zu sein: "Ein 'drittes Geschlecht' hat die Natur nicht im Reproduktionsangebot. Es gibt in der Mythologie aber die 'Kopfgeburt', diese scheint das Bundesverfassungsgericht gerade im Genderwahn zu erleiden." Die AfD Heidelberg sagte voraus, dass es nun "manigfaltige Klagemöglichkeiten für verschiedene Grüppchen der Diskriminierungsideologie" geben könne.
Partei-Vizechefin Beatrix von Storch kritisierte via Twitter ebenfalls die Verfassungsrichter – mit einem gewohnt tiefgründigen Kommentar: "Die die (sic) sind doch nicht mehr ganz dicht." Später meinte die Bundestagsabgeordnete aus Berlin: "Was ist mit Gerechtigkeit für die,die nicht zum 3. Geschlecht gehören wollen. Sondern zum 4. o 16. ?" (dk)

Nur weil diese Spinner nicht kapieren, dass es mehr Geschlechter außer Mann und Frau gibt, heißt das nicht, dass es das nicht gibt.
Der einzige "Wahn" ist bei denen...