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Auseinandersetzung mit Rechtspopulismus

Über "Demo für alle" schreiben? Für die Böll-Stiftung zu heikel

Nach einer langen Debatte um das Antifeminismus-kritische Wiki "Agent*in" hat die Heinrich-Böll-Stiftung verkündet, das Projekt endgültig zu beenden. Die Redaktion will es nun in Eigenregie fortführen.


Die "Demo für alle" marschierte in mehreren deutschen Städten gegen Schulaufklärung über LGBTI und die Ehe für alle (Bild: Norbert Blech)
  • Von Markus Kowalski
    9. November 2017, 06:39h 48 3 Min.

Es sollte eine Plattform werden, auf der alle rechten, homophoben und antifeministischen Gruppen kritisch beobachtet werden. Das Wiki "Agent*in" ging im Juli diesen Jahres online, wurde aber kurze Zeit später wieder vom Netz genommen. Jetzt entschied der Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, unter deren Namen das Projekt veröffentlicht wurde: "Diese Seite wird nicht fortgeführt." So steht es zumindest unter der Domain agentin.org.

Wie kam es dazu? Drei Jahre lang hatte der Soziologe Andreas Kemper zusammen mit einem Redaktionskreis von Wissenschaftlern an dem Projekt gearbeitet. Es sollte das emanzipatorische Gegenmodell zu "WikiMANNia" sein, einem Wiki, in dem nach eigenen Angaben gegen die angebliche "feministische Indoktrination" angeschrieben wird.

Die "Agent*in" hingegen sollte ebenjene rechten Gruppen, Personen und Diskurse auf einer Seite zusammentragen. Das Projekt war für die LGBTI-Community wichtig, denn es verlinkte die rechtspopulistische AfD mit der Hetze der "Demo für alle" und anderer Gruppierungen (queer.de berichtete). Durch die Verlinkungen werde deutlich, wie eng die rechten Netzwerke inhaltlich miteinander verbunden sind, so die Idee.

Nach der Veröffentlichung kam der Shitstorm


Logo des Wiki. Auf der Website heißt es nur noch: "Diese Seite wird nicht fortgeführt"

Dann ging die Plattform im Juli unter der Herausgeberschaft der Heinrich-Böll-Stiftung online. Und sogleich ging über für die Schreiber ein Shitstorm herein, der bei rechten Seiten begann, aber auch von Massenmedien aufgegriffen wurde. Das Wiki sei eine "schwarze Liste" (ze.tt), "Denunziation" (Tagesspiegel) und "Schwarz-Weiß denken" (Spiegel Online), hieß es etwa.

Konkret ging es bei der Kritik um den Vorwurf, mit dem Wiki Listen von unliebsamen Personen zu erstellen. Denn mit den technischen Funktionen des Wikis wurde es möglich, sich alle Personen mit Parteizugehörigkeit auflisten zu lassen. So entstand eine Seite, in der viele AfD-Mitglieder, aber auch CDU-Funktionäre nebeneinander auftauchten – für Kritiker ein "Online-Pranger" (FAZ). Selbst die taz schrieb: "solche Listen zu erstellen ist sonst eher von Rechten bekannt".

Dazu erklärt Andreas Kemper gegenüber queer.de nun: "Zur diffamierenden Kritik 'Online-Pranger' lässt sich feststellen, dass diese Angriffe so gut funktionierten, weil seit Jahren an der Verschwörungsideologie des sogenannten 'Gender-Faschismus', der 'totalitären Homolobby' usw. gearbeitet wird und die Heinrich-Böll-Stiftung als Stiftung einer potentiellen Regierungspartei hierfür die ideale Angriffsfläche bot." Das Wiki Agent*in sei deswegen mit der Partei Bündnis 90/Die Grünen und entsprechend mit der Regierung ("Stasi 2.0") identifiziert worden. "Dieser giftige Wind kann nun keine Segel mehr blähen."

Denn es dauerte kaum zwei Wochen, da nahm die Böll-Stiftung die Seite wieder vom Netz. "Die öffentlich und intern geübte Kritik am Format der 'Agent*In'" habe deutlich gemacht, "dass dieser Weg nicht geeignet ist, die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung zu Antifeminismus zu führen", so die Stiftung. Die Form des Wikis erinnere an eine "antidemokratische Form".

Einseitige Entscheidung der Böll-Stiftung für Abschaltung

Nachdem der Fall monatelang "intern beraten" wurde, hat die Böll-Stiftung jetzt entschieden, das Projekt endgültig zu beenden. Eine Entscheidung, "an dem die Redaktion nicht beteiligt worden ist", kritisiert Kemper. In einer Stellungnahme der Stiftung vom 4. November heißt es knapp: "Die Stiftung wird in der Auseinandersetzung mit Rechtspopulismus und Angriffen auf feministische und gleichstellungspolitische Errungenschaften zukünftig andere Formate der politischen Bildungsarbeit nutzen und neu entwickeln."

Dabei bleiben viele Fragen unklar: Wieso steht die Stiftung nicht zu einem politisch wichtigen Projekt, nur weil Einzelheiten öffentlich kritisiert wurden? Und wird sie dem verbleibenden Redaktionsteam erlauben, die Seiten des bereits angelegten Wikis unter anderem Namen eigenständig zu publizieren? Zu diesen Fragen wollte Vera Lorenz, Sprecherin der Stiftung, auf Anfrage von queer.de keine Stellung nehmen. Sie habe der Position des Vorstands "nichts hinzuzufügen".

Dagegen sagt Andreas Kemper: "Wir werden das Projekt nun in einer überarbeiteten Form fortsetzen." So solle das Erscheinungsbild des Wikis angepasst werden, Kritik habe man "sehr ernst genommen." Trotzdem sei es wichtig, antifeministische Diskurse sichtbar zu machen.

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#1 goddamn liberalAnonym
  • 09.11.2017, 08:25h
  • Das Online-Lexikon ist wohl das erste Opfer der frommen schwarz-grünen Kirchentagsconnection.

    Andere werden folgen.

    Vielleicht hätte man dem Ganzen durch Verzicht auf bestimmte Vokabeln wie 'Familialismus' den Wind aus den Segeln nehmen können.

    Ich glaube es aber nicht.

    Ab jetzt sind alle Schwarzen bei den Grünen heilig und unantastbar.
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#2 RobinAnonym
  • 09.11.2017, 09:32h
  • Aha, irgendwelche Rechten dürfen also munter gegen LGBTI hetzen, aber man darf sich nicht damit auseinandersetzen und das öffentlich kritisieren.

    Und wenn Homohasser von der CDU/CSU dieselben Positionen wie die AfD vertreten oder gar Seite an Seite mit denen gegen Homorechte marschieren, wollen sie dennoch nicht in einem Atemzug genannt werden. Vermutlich, damit die Bevölkerung nicht die Verquickung zwischen diesen beiden Lagern mitbekommt...

    Dass die homophobe FAZ dagegen wettert, ist mir klar, dass aber auch andere Massenmedien von Spiegel bis Zeit die Meinungsfreiheit nur für Rechte sehen, aber nicht für ihre Kritiker, beweist nur, wie tief braun die deutsche Medienlandschaft ist. Es ist in Deutschland auch in den Medien Konsens, dass man rechtes Gedankengut nur ganz verhalten kritisieren darf.

    Dass dann aber auch noch die Böll-Stiftung, die den Grünen ja sehr nahe steht, davor einknickt, beweist nur wieder mal, dass diese angeblichen "Stiftungen" NICHTS wert sind. Und auch den Grünen scheint das jetzt, wo sie mit Union und FDP koalieren wollen, ganz recht zu sein...
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#3 Pu244Anonym
  • 09.11.2017, 10:26h
  • Antwort auf #2 von Robin
  • Der Punkt ist, dass sie eine Liste aufgestellt hatten, die bestenfalls als Pranger für politische Gegner zu bezeichnen ist, wobei es Dossiers über Andersdenkende eher trifft. Zu kritisieren ist, dass dort jeder aufgelistet werden konnte, der nicht in das Weltbild der Autoren gehörte, sachliche Kritik reichte da schon aus. Wer sich über solche Listen, bei anderen empört und selbst nicht drauf stehen möchte, der sollte gefälligst auch selbst keine erstellen.
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