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Kritik in sozialen Netzwerken
Beschreibt Thomas Hitzlsperger die Lage von LGBTI zu rosig?
Der Ex-Fußballprofi meint in der "Zeit", ein Großteil der Deutschen sei inzwischen Schwulen und Lesben positiv gegenüber eingestellt. Homophobe "Spinner" gebe es nur noch wenige.

queer.de berichtete) Hitzlsperger im März auf einer Fifa-Konferenz in Genf, bei der er der niederländischen Fußball-Legende Clarence Seedorf den Sinn von Coming-outs erklärte – das Video dazu ging später viral (
- Von Norbert Blech
9. November 2017, 12:18h 4 Min.
In einem neuen Interview mit der Wochenzeitung "Die Zeit", in der er sich Anfang 2014 als schwul geoutet hatte (queer.de berichtete), hat der frühere Fußball-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger betont, dass sich die Lage von Schwulen und Lesben in Deutschland stark verbessert habe.
Auf die Frage, ob er enttäuscht sei, dass sich nach ihm kein weiterer schwuler Profi geoutet habe, meinte der 35-Jährige: "Ich sehe das nicht so kritisch. Es hat sich vieles verbessert. Vier Jahre später könnte ich nun heiraten oder Kinder adoptieren. Alle, die wie ich über das Thema öffentlich gesprochen haben, haben dazu beigetragen, dass heute ein Großteil der deutschen Bevölkerung sagt: Wir haben kein Problem mit Homosexuellen." Das sei vor vier Jahren noch anders gewesen. "Das ist ein großer Erfolg."
Auf weitere Fragen zu Reaktionen in der "ländlichen Heimat" und im Umfeld der "katholisch-wertkonservativen Familie" auf sein Coming-out berichtete der Fußballer, dass diese größtenteils unspektakulär und entspannt abgelaufen seien. Vereinzelt gebe es noch Witze über ihn, aber das tangiere ihn anders als früher nicht mehr.
Auf den Einwand des "Zeit"-Journalisten Moritz Müller-Wirt, das klinge "alles fast zu schön, um wahr zu sein", betonte Hitzlsperger: "Ich war auch überrascht, wie reibungslos es ging. Ein paar wenige gibt es noch, die öffentlich mit dummen, homophoben Sprüchen auffallen. Das sind Spinner, die in einer schrägen Filterblase gefangen sind. Oder mal so gesagt: Nicht der Schwule ist doch heute die Randgruppe, sondern der, der über ihn lacht."
Kritik in sozialen Netzwerken
Diese kurzen Passagen aus einem ganzseitigen Interview zu mehreren Themen, das nicht weiter auf Homo- und gar nicht auf Transphobie in der Gesellschaft einging, wurden von der dpa unter der Überschrift "Hitzlsperger: Schwule nur noch selten diskriminiert" zusammengefasst und so am Mittwoch von vielen Medien aufgegriffen.
Diese Grundaussage führte auch zu Kritik in sozialen Netzwerken. Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld teilte etwa in ihren Profilen auf Facebook einen entsprechenden Artikel und fragte, ob die Follower das auch so sehen würden. "In welcher 'schrägen Filterblase' lebt ER denn?", fragte ein Nutzer, "Auf welcher Insel lebt er jetzt?" ein anderer. "Schön, dass Herr Hitzlsperger diese guten Erfahrungen macht", betonte Stiftungs-Vorstand Jörg Litwinschuh. "Für viele gesellschaftliche Bereiche und Gruppen stimmt dies sicher. Zugleich steigen die Zahlen homophober Gewalttaten leider an."

Ein Besucher der Facebook-Seite meinte: "Da nicht alle so prominent sind wie er, wäre ich an seiner Stelle eher zurückhaltend. Denn was der 'Durchschnittsschwule' bei uns teilweise immer noch auszuhalten hat, ist nicht ohne!" Und ein anderer User sieht eher Rück- als Fortschritte: "Vielleicht ist Herr Hitzlsperger noch nicht so lange schwul, so dass er die gesellschaftlichen Veränderungen noch nicht mitbekommen hat. Ich will nicht sagen, dass wir schon mal weiter waren. Ich stelle mal fest, dass es Homophobie und Diskriminierung auch vor einigen Jahren in dem heute erlernbaren Umfang gegeben hat. Nur war es nicht en vogue Ablehnung / Ausgrenzung offen zu zeigen, sondern hat eher zu gesellschaftlichem Widerstand geführt."
Bereits Anfang 2015 hatte ein Redakteur von queer.de Probleme, dem Fußballer Aussagen zur AfD, die ihn angegriffen hatte, und zur Bewegung gegen Schulaufklärung über LGBTI in Baden-Württemberg zu entlocken, und eingeschätzt, dass Hitzlsperger eher das Positive betonen und Vorbild, nicht Aktivist sein wolle – zu dem Gespräch kam es bei einem Besuch des Fußballers in einem queeren Jugendzentrum, mit dem er den Jugendlichen Mut machen wollte (queer.de berichtete).
Das Positive in den Vordergrund zu stellen, kann eine legitime Strategie sein, um Menschen zu überzeugen. Es kann je nach Situation aber auch zu einer Verharmlosung von Diskriminierung und feindlichen Einstellungen führen und entsprechend genutzt werden. Jene Lucke-AfD von damals ist inzwischen extrem weit nach rechts und in viele Parlamente gerutscht, homofeindliche Programmatik, Gesetzesinitiativen und Stimmungsmache inklusive. Und aus einer kleinen Protestbewegung in Stuttgart, einer eng mit dem Fußballer verbundenen Stadt, ist die "Demo für alle" und ein Grundthema der Neuen Rechten geworden.
Ein diplomatischer Botschafter
In diesem Mai war Hitzlsperger, der ansonsten u.a. weiter als TV-Experte sowie als Präsidiumsmitglied des VfB Stuttgart arbeitet, vom Deutschen Fußballbund zu einem "Botschafter für Vielfalt" ernannt worden (queer.de berichtete). In den letzten Jahren trat er zum Thema Homophobie auf dutzenden Podien in Deutschland oder im Ausland auf, auch als Botschafter des Projekts "Fußball für Vielfalt" der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld.
In dem Interview mit der "Zeit" lobte Hitzlsperger Sportler und andere Prominente, die sich in die Politik einmischen, etwa den Musiker Eminem, der sich gegen Trump-Fans richte. "Natürlich hat jeder ein Recht, sich zurückzuziehen, nichts zu sagen. Einfach Fußball zu spielen, Basketball, seine Musik zu machen." Das sei "alles okay". "Aber wenn man bedenkt, was man als Profi oder Ex-Profi bewegen kann, dann sind das Chancen, die man nutzen sollte."

Das Problem ist nur, dass die restlichen 19 % sehr lautstark und teilweise sogar gewaltbereit sind. Und dass die Politik oft auf diese schrille, aber lautstarke Minderheit ewiggestriger Fanatiker hört.