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Nach Urteil zum "Dritten Geschlecht"
Alice Weidel kritisiert Bundesverfassungsgericht
Die lesbische AfD-Politikerin meint, Karlsruhe solle nicht mit "abstrusen genderpolitischen Empfehlungen" die Gewaltenteilung untergraben. Die Thüringer AfD setzt Intersexualität mit Schizophrenie gleich.

Alice Weidel im April auf dem AfD-Bundesparteitag, wo sie zusammen mit Alexander Gauland zu den Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl bestimmt wurde
- 9. November 2017, 21:52h 4 Min.
Die AfD nutzt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Mittwoch, wonach ein drittes Geschlecht im Geburtenregister eingeführt oder gänzlich auf eine Geschlechtsangabe verzichtet werden müsse, weiterhin zur extremen populistischen Stimmungsmache.
So kritisierte am Donnerstag auch Alice Weidel, die Co-Vorsitzende der neuen AfD-Bundestagsfraktion, das Urteil – und stellte das Gericht als Institution in Frage. In einem wie üblich viel geteilten Eintrag bei Facebook empörte sich Weidel: "Dass das Bundesverfassungsgericht sich zum wiederholten Mal als Gesetzgeber hervortun möchte, muss entschieden zurückgewiesen werden. Die Gewaltenteilung darf durch abstruse genderpolitische Empfehlungen nicht untergraben werden." Der "gestaltungspolitische Anspruch" der Verfassungsrichter sei "klar zurückzuweisen", so Weidel weiter: "Karlsruhe ist nicht der bessere Gesetzgeber und schon gar nicht vom Souverän, dem Bürger, legitimiert."
Inhaltlich argumentierte die kürzlich zur Miss Homophobia gewählte lesbische Politikerin, eine "Grundrechtsverletzung durch die Festlegung auf ein Geschlecht" könne "gar nicht vorliegen", da bereits seit 2013 die Möglichkeit bestehe, den Eintrag im Geburtenregister freizulassen. Karlsruhe hatte sich mit dieser Frage allerdings durchaus beschäftigt und im Urteil betont, dass diese Möglichkeit die klagende Person nicht anerkenne, sondern wirke, als sei etwas ungeklärt oder vergessen worden.
Hetze in Regenbogenfarben
Wenige Stunden vor Weidel hatte sich am Donnerstag bereits der Facebook-Account der Bundes-AfD über das Urteil lustig gemacht – in dem er es im Tenor eines "Wo leben wir eigentlich?" mit anderen vermeintlichen Skandal- und Reizthemen verband. "In welchem Land bin ich?", fragte die Partei mit Regenbogenfarben ihre Anhänger und gab als Hinweise: "In meinem Land kontrollieren mich zukünftig womöglich Polizisten, die meine Sprache nicht verstehen. In meinem Land können die Menschen unter drei Geschlechtern eines auswählen. Das bevorstehende Weihnachtsfest erkennt man in meinem Land an Betonblöcken um Weihnachtsmärkte."

Zwei von mehreren Grafiken der AfD in sozialen Netzwerken zum Urteil des Gerichts
Auch die AfD Baden-Württemberg hatte in einer Facebook-Grafik in Regenbogenfarben das Urteil als "Gender-Gaga mitten in Deutschland" bezeichnet und im Begleittext mit Verweis auf Wikipedia-Stellen betont: "Unser Bundesverfassungsgericht sorgt wieder mal für Humor. Die Internationale Klassifikation der Krankheiten ICD-10-GM-2014 der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nennt in Kapitel XVII (Angeborene Fehlbildungen, Deformitäten und Chromosomenanomalien) auch angeborene Fehlbildungen der Genitalorgane, insbesondere ein unbestimmtes Geschlecht und Pseudohermaphroditismus."
Höcke & Co. treiben Hetze auf die Spitze
Extreme Hetze kam am Mittwoch von der AfD-Fraktion im thüringischen Landtag, die sich über das Gericht und die klagende Person lustig machte: "Das Persönlichkeitsrecht umfasst auch das Recht auf Schizophrenie", fasste die Partei das Urteil auf ihre Art zusammen. Zu einer Grafik, die Symbole von Mann und Frau mit einem gezeichneten Clown in Regenbogenfarben ergänzte, schrieb sie zudem: "Ein Richter flog übers Kuckucksnest". Das Urteil war vom gesamten ersten Senat beschlossen worden, mit sieben Stimmen zu einer.

Auch der begleitende Text geriet zur rechtsextremen Hetze: "Es gibt tragische Fälle, wo die Biologie keine eindeutige Bestimmung zulässt. Das ist zwar sehr selten, aber es kommt vor. Häufiger kommt es vor, dass Menschen Fakten einfach nicht akzeptieren wollen." Für solche Menschen hätten "Linke Ideologen" ein "attraktives Angebot: Sie setzen das Empfinden an die Stelle von biologischen Fakten, denn für sie ist ohnehin alles ein 'gesellschaftliches Konstrukt'. Die Realität ist verhandelbar." Mit dem Urteil treffe das Gericht den Nerv des Zeitgeist, beklagte sich die Thüringer AfD-Fraktion weiter. "Mehr noch als den wenigen echten Hermaphroditen wird eine solche Gesetzesänderung den Geschlechtsempfindern und -erfindern entgegenkommen. Denn endlich kann man nun Spinnerei amtlich besiegeln!"
Hetze ohne Ende
Partei-Vizechefin Beatrix von Storch hatte bereits am Mittwochmorgen via Twitter die Karlsruher Richter wegen des Urteils kritisiert: "Die die (sic) sind doch nicht mehr ganz dicht." Später meinte die Bundestagsabgeordnete aus Berlin: "Was ist mit Gerechtigkeit für die,die nicht zum 3. Geschlecht gehören wollen. Sondern zum 4. o 16. ?"
Der Bundestagsabgeordnete Frank Pasemann warf den Karlsruher Richtern auf Twitter vor, dem "Genderwahn" verfallen zu sein: "Ein 'drittes Geschlecht' hat die Natur nicht im Reproduktionsangebot. Es gibt in der Mythologie aber die 'Kopfgeburt', diese scheint das Bundesverfassungsgericht gerade im Genderwahn zu erleiden." Die AfD Heidelberg sagte voraus, dass es nun "manigfaltige Klagemöglichkeiten für verschiedene Grüppchen der Diskriminierungsideologie" geben könne.
