Das Bundesverfassungsgericht sieht im Gutachterzwang keinen Verstoß gegen die Grundrechte (Bild: Mehr Demokratie / flickr)
Das Bundesverfassungsgericht hat am Freitag bekanntgegeben, die Verfassungsbeschwerde einer transsexuellen Frau zum Gutachterzwang im Transsexuellengesetz nicht anzunehmen, weil diese keine Aussichten auf Erfolg habe. Die Beschwerdeführerin wollte erreichen, dass sie ihren Namen und ihre Geschlechtszugehörigkeit in offiziellen Dokumenten ändern kann, ohne – wie vom Gesetzgeber gefordert – zwei Gutachter unabhängig voneinander von ihrer Transsexualität überzeugen zu müssen. Die dreiköpfige 2. Kammer des Ersten Senats sieht in ihrer Entscheidung (1 BvR 747/17 vom 17. Oktober) diese Pflicht nicht als verfassungswidrige Einschränkung des Persönlichkeitsrechts an. Ein Widerspruch gegen diese Entscheidung ist nicht möglich.
Die Beschwerdeführerin hatte argumentiert, dass die im Transsexellengesetz aus dem Jahr 1981 festgelegte Gutachterpflicht auf der obsoleten Annahme beruhe, dass es sich bei Transsexualität um eine Krankheit handeln könne. Außerdem kritisiert sie, dass der Zwang zu erheblichen psychischen Belastungen führen könne und Kosten im vierstelligen Bereich verursacht, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden.
Das Gericht erklärte in seiner Entscheidung jedoch, dass es bereits in einer früheren Entscheidung aus dem Jahr 2011 argumentiert habe, dass die Gutachten als "objektiver Nachweis" der "Voraussetzungen des Geschlechtswechsels" angesehen werden könnten. Dabei würden Transsexuelle nicht als kranke Menschen abgestempelt, betonten die Richter – vielmehr werde damit festgestellt, ob der "transsexuelle Wunsch wirklich stabil und irreversibel" sei. Zudem könne eine Therapie in dieser Phase wichtig sein, weil "der Vorgang des Geschlechtswechsels ein belastender Prozess" sei.
Die Karlsruher Richter räumten allerdings ein, dass das Gesetz in der Praxis durch teils unvorbereitete und außerhalb des Gesetzesrahmens fragende Gutachter auch "unzulässig" angewendet werde, und ermahnte Gerichte, bei der Vergabe und Nutzung von Gutachten sensibel vorzugehen. Damit sei das Gesetz aber nicht per se verfassungswidrig, vielmehr stehe im Einzelfall Betroffenen der Rechtsweg offen. Mit der pauschalen Ablehnung von Gutachten war die Klägerin zuvor vor dem Amtsgericht Dortmund und dem Oberlandesgericht Hamm gescheitert (queer.de berichtete).
LGBTI-Aktivisten verlangen Abschaffung der Gutachterpflicht
Damit bleibt dieser umstrittene Teil des Transsexuellengesetzes in Kraft, der in der Vergangenheit vom Lesben- und Schwulenverband als "unsinnig" bezeichnet worden war. Das gesamte Gesetz steht bereits seit Jahren in der Kritik von LGBTI-Aktivisten, weil es vollkommen veraltet sei. Mehrere Regelungen wurden bereits vom Bundesverfassungsgericht gekippt, etwa der Scheidungszwang bei einer Geschlechtsanpassung oder die zwangsweise Durchführung von Operationen, um die offizielle Geschlechtszugehörigkeit zu ändern. Die letzten Bundesregierungen konnten sich bislang aber nicht dazu durchringen, ein verfassungskonformes neues Gesetz auf den Weg zu bringen.
Politisch setzen sich insbesondere die Grünen dafür ein, die Gutachterpflicht für Transsexuelle abzuschaffen. Im Mai diesen Jahres brachte die Ökofraktion deshalb ein Selbstbestimmungsgesetz in den Bundestag ein, das vorsieht, dass Transsexuelle ihren Namen und ihren Personenstand im Rahmen eines einfaches Verwaltungsaktes beim Standesamt ändern können. Die Gutachterpflicht bezeichneten die Grünen als "entwürdigend" (queer.de berichtete). Auch die anderen demokratischen Parteien zeigten sich bei einer Debatte offen für eine mögliche Änderung des Gesetzes.
Inzwischen gibt es weltweit eine Debatte, ob die zwangsweise Erstellung von Gutachten noch zeitgemäß ist. Als erstes Land hatte Argentinien die Regelung 2012 abgeschafft (queer.de berichtete). Zwei Jahre später beschloss Dänemark ein Gesetz, wonach jede volljährige Person, die ein Verlangen nach einem Leben im anderen Geschlecht zum Ausdruck bringe, ihren Personenstand unbürokratisch ändern kann. Das Gesetz enthält lediglich eine Wartezeit von sechs Monaten, in der sich die Betroffenen über ihre Entscheidung Gedanken machen sollen (queer.de berichtete).
Update 19.25h: Reaktionen
Der LSVD betonte in einer Pressemitteilung, der Beschluss aus Karlsruhe zeige Handlungsbedarf des Gesetzgebers auf. "Von den Betroffenen wird das Verfahren der Begutachtung (…) sehr oft als demütigend, entwürdigend und verletzend erlebt", so Vorstandsmitglied Sandro Wiggerich. "Zudem können die Betroffenen selbst am besten über die eigene Geschlechtsidentität Auskunft geben." Bei der Überarbeitung des Transsexuellengesetzes, nach etlichen Urteilen aus Karlsruhe derzeit "eine bloße Gesetzesrzuine", sei auf eine "menschenrechtsbasierte Gesetzgebung" zu achten. "Vorbilder für die Anerkennung der Geschlechtsidentität können die Rechtsordnungen von Argentinien, Dänemark, Norwegen, Irland oder Malta sein", so der LSVD. "Dort kann jeder Mensch die Änderung des Vornamens und des eingetragenen Geschlechts beantragen, wenn diese nicht mit der eigenen Geschlechtsidentität übereinstimmen.
Von einem "skandalösen Entscheid", der "eine gender-deutende Begutachtung von Menschen als verfassungskonform ansieht", sprach die Aktion Transsexualität und Menschenrecht: "Uns leuchtet nicht ein, warum ein Mensch von Aussen besser wissen könnte, welchem Geschlecht ein Mensch angehört, als ein Mensch selbst. Die äussere Geschlechtszuteilung basiert immer auf der Anwendung von Stereotypen." Der Verband forderte allgemein, auf entsprechende "Gender-Deutungen" zu verzichten und Begriffe und Oberbegriffe zu vermeiden, die diese aus seiner Sicht beinhalteten, darunter Oberbegriffe wie "Transgender", "Trans*" oder "Trans*identität", weil "Körper und Identität zweierlei" seien.
Von Heterosexuellen wird kein Nachweis für ihre Heterosexualität verlangt. Nun mag man denken, dort passiert ja auch keinerlei Wechsel. Mit jener individuell unterschiedlich schwierig oder schnell verlaufenden Selbstversicherung und nötigen Bedenkzeiten verknüpfen die wohl das Urteil.
Weil es immer wieder auch Fälle gibt, die sich da nicht so sicher sind, oder denen man irgend eine Störung besser einbrocken kann, als einen für sie praktikablen Umgang mit ihrer Situation, wirtd da auf die Fremdbestimmung höheres Augenmerk gelegt.
Wahrscheinlich haben sich auch die spezialisierten Fachleute dafür eingesetzt, deren Einkommen mit davon abhängt, wie viele Transidente an sie überwiesen werden.
Wir wissen doch - in Deutschland kommt nicht der Mensch zuerst, sondern das Geld, das man nach Möglichkeit an ihm erwirtschaften kann.
Das Ganze folgt leider immer noch einem Anschein davon, als ob man die Transidenten lieber als möglicherweise Kranke und als gewinnbringende Potenziale wahrnimmt, denn als ebenwerte Menschen.