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Primetime-Reportage aus Grosny
Kadyrow: Menschenrechtler haben Schwulenverfolgung erfunden
In einem Porträt im russischen Staatsfernsehen dementierte der tschetschenische Präsident erneut die Verfolgung von Schwulen in seinem Land – und ihre Existenz. Homosexualität sei gegen die Natur und Gott.

In der TV-Sendung wurde auch beklagt, dass Kadyrow wegen der Anschuldigungen von Menschenrechtlern von manchen Pferderennen ausgeschlossen sei
- 27. November 2017, 17:45h 5 Min.
Der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow hat am Sonntag in einer 45-minütigen Dokumentation des russischen Staatssenders Rossija 1 über ihn erneut abgestritten, dass in seiner Republik in den letzten Monaten Homosexuelle verfolgt und ermordet wurden.
Die Journalistin Nailya Askerzade, die ihn u.a. beim Boxen und Reiten befragte, fasste zunächst zusammen, dass ihm die Verfolgung vorgeworfen werde und er diese als Unsinn abgestritten habe. Sie betonte, dass sich "sogenannte Homo-Ehen im Westen zur Norm" entwickeln und entsprechende "sogenannte Werte" weiter verbreiten würden, und fragte, ob so etwas auch in Russland und Tschetschenien zur Norm werden könnte.
"Eigentlich dürfen wir in Tschetschenien nicht darüber reden", antwortete der 41-Jährige zunächst allgemein zu Homosexualität. Es sei unstatthaft, das Thema vor älteren Menschen oder im Beisein einer Frau anzusprechen. Er sei sich sicher, "dass wir das in Tschetschenen niemals akzeptieren werden."

Kadyrow betonte, Menschenrechtler hätten die Verfolgungen "erfunden, um Geld zu verdienen. Von wegen, wir würden solche Menschen in Tschetschenien verfolgen oder töten." Auf die Rückfrage "Ihr verfolgt sie nicht?" antwortete er: "Wenn es in Tschetschenien solche Menschen nicht gibt, wen sollen wir da verfolgen?"
Homosexuelle sollten "nicht willkommen" sein
Schon früher hätten Menschenrechtler "angebliche Tschetschenen" genutzt, sie mit tschetschenischen Pässen und Meldeadressen versehen und dann mit Anschuldigungen aus dem Land gebracht – und damit "Geschäfte gemacht", so Kadyrow. Nun lade man Menschenrechtler ein und zeige und beweise ihnen, dass es keine Verfolgung von Homosexuellen gebe, und sie behaupteten es dennoch. "So etwas gibt es zu 100 Prozent in unserer Republik nicht."
Kadyrow beklagte sich weiter, die Anschuldigungen seien "nicht einfach Worte, nicht einfach Politik, sondern eine zielgerichtete" – "Beleidigung?", assistierte die Journalistin – "Schlimmer als Beleidigung. Nicht nur für die betroffene Person, sondern auch für die gesamte Familie, für die ganze Nation." In dem etwas wirren Dialog schien er damit wie schon mehrfach die Perspektive zu wechseln: Vom Vorwurf von Menschenrechtsverletzungen hin zum vermeintlich ehrverletzenden Vorwurf, Homosexuelle im Land zu haben.

Kadyrow betonte, er sei sich sicher, "dass auch in den anderen Regionen des Landes so etwas nicht willkommen ist". Im entsprechenden Dialog mit Nailya Askerzade bestätigte er, dass es "solche Menschen" in Russland gebe und immer gegeben habe. "Aber so wie in den europäischen Ländern wird es das bei uns nicht geben und so sollte das nicht werden. Ein Mann ist ein Mann, eine Frau ist eine Frau."
Homosexualität sei gegen die Gesetze der Natur, so Kadyrow. "Ich wundere mich, wie das gehen soll: Zwei Männer heiraten einander, adoptieren ein Kind? Was können sie diesem Kind beibringen? Das arme Kind." Man sollte nach den Regeln leben, "die uns der Erhabene gegeben hat".
Kadyrow fabulierte über Rücktritt
In der Sendung hatte Kadyrow ansonsten vor allem mit einer Andeutung auf einen vermeintlichen Rücktritt für weltweite Schlagzeilen gesorgt. Auf eine Frage nach seiner zukünftigen Rolle hatte er betont, es sei sein "Traum", sein Amt irgendwann zu verlassen. "Die ganze Region zu leiten und die Verantwortung für das Volk, für die Republik vor dem Allerhöchsten, vor der Parteiführung und natürlich vor dem Volk zu tragen – das ist äußerst schwer". Später betonte er: "Deshalb würde ich nicht sagen, dass ich müde bin oder nicht mehr dienen will … Ich meine einfach, dass die Zeit gekommen ist".

Über Russlands Präsidenten Wladimir Putin sagte Kadyrow: "Ich bin bereit, für ihn zu sterben, für ihn jeden Befehl auszuführen". Der Kreml spielte das Thema Rücktritt am Montag herunter: Putins Sprecher Dmitri Peskow betonte, der tschetschenische Präsident habe nichts neues gesagt und werde weiter nach den Anweisungen Moskaus handeln.
Kadyrow hatte schon mehrfach seinen Rücktritt ins Spiel gebracht, um eine bessere Verhandlungsposition gegenüber dem Kreml zu erzielen. Der setzt auf den 41-Jährigen, weil er in der Krisenregion eine gewisse Stabilität garantiert. Vor seiner Wiederwahl im letzten Jahr hatte Putin Kadyrow seine Unterstützung zugesichert, solange er sich an russische Gesetze halte. Im nächsten März folgen Präsidentschaftswahlen in Russland, Putin könnte in den nächsten Tagen seine Kandidatur erklären.
Keine Aufklärung über Verfolgungswelle
In der Praxis hat sich Russland wenig um die Einhaltung von Gesetzen durch Putins "Statthalter" in der teilautonomen Region gekümmert, in der es immer wieder zu außergesetzlichen Morden und Verschleppungen kommt und in der Kadyrow ein islamistisches Weltbild durchsetzt. So kommen auch Ermittlungen zur Schwulenverfolgung in Tschetschenien kaum voran, obwohl der föderalen Staatsanwaltschaft umfassende Dokumente und Aussagen vorliegen und die Menschenrechtsbeauftrage Russlands, Tatjana Moskalkowa, zuletzt öffentlich gesagt hatte, dass sie den Berichten Glauben schenke.
Mitte Oktober hatten Menschenrechtsorganisationen in Moskau erstmals einen Mann bei einer Pressekonferenz vorgestellt, der unter Verzicht auf seine Anonymität von seiner Verfolgung in Grosny erzählte (queer.de berichtete). Im Frühjahr waren den Berichten der Organisationen zufolge mehrere hundert Männer wegen vermeintlicher Homosexualität verschleppt und in Lagern außergesetzlich festgehalten und gefoltert worden, an der Seite von ebenfalls inhaftierten Drogensüchtigen oder vermeintlichen Terrorverdächtigen (queer.de berichtete). Mehrere Männer starben bei der Prozedur, andere wurden an Verwandte mit einer indirekten Tötungsaufforderung übergeben. Seit einigen Wochen gibt es Berichte über neue Verschleppungen.

Das Kadyrow-Regime hatte die Verfolgung immer abgestritten, oft mit dem Hinweis, dass es in Grosny keine Homosexuellen gebe und entsprechende Berichte die Ehre des Volkes angreifen würden. Der Präsident selbst sagte im Juli dem amerikanischen Sender HBO: "Wir haben keine Schwulen. Wenn es welche gibt, bringt sie nach Kanada. (…) Um unser Blut zu reinigen: Wenn es hier irgendwelche gibt, nehmt sie" (queer.de berichtete). Vor zwei Wochen führte das tschetschenische Fernsehen einen nach Deutschland geflüchteten Schwulen vor: Er entschuldigte sich bei Kadyrow und dem tschetschenischen Volk für seine Anschuldigungen (queer.de berichtete). (nb)

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