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Gay Romance
Wenn sich der Rechtsgehilfe in den Einsiedler verliebt
In seinem neuen Buch "Opiumschwaden. Der Mörder von St. Audrey" verknüpft Raik Thorstad einen Kriminalfall im England der Pferdekutschen mit einer schwulen Liebesgeschichte.

Autor Raik Thorstad, Jahrgang 1980, veröffentlichte zahlreiche homoerotischer Romane und Kurzgeschichten. Der Bi-Gender lebt mit Mann und zwei Hunden in Emmerich
- Von Frank Hebenstreit
3. Dezember 2017, 13:13h 5 Min.
Raik Thorstad is back! So oder so ähnlich könnte eine reißerische Titelzeile lauten, wenn dieses Ausnahmetalent wirklich weg gewesen wäre. War es aber gar nicht.
Es hat nur lediglich einen Verlagswechsel gegeben, und der Cursed Verlag aus dem süddeutschen Taufkirchen darf sich so glücklich schätzen, diesen Hoffnungsträger der queeren Literatur in seinen Reihen zu wissen. "Opiumschwaden. Der Mörder von St. Audrey" (Amazon-Affiliate-Link ), heißt Thorstads jüngstes Werk, das den Leser in das frühe England der Kutschen entführt.
Eine Reise an die Küste
Benjamin L. Underwood arbeitet in der Rechtsanwaltskanzlei des ehrenwerten Sir Percival als Rechtsgehilfe. Als treuer und gewissenhafter Mitarbeiter bekannt, wird ihm die Ehre und Pflicht zu teil, für seinen Dienstherrn in Plymouth die Bücher einer Reederei zu prüfen. Da seine Gattin aber hochschwanger im fernen London der Geburt entgegen fiebert, beschließt er, die Bücher mit nach London zu nehmen. Verpackt in eine Seekiste gehen die Bücher zusammen mit ihm und dem Kutscher Thomas auf die Reise.
Der Herbst hat das Land fest im regnerischen Griff, und so ist die Rückreise alles andere als ein Zuckerschlecken. Obwohl man kaum die Hand vor Augen sieht, will Thomas so weit wie möglich kommen, bevor man Rast macht. Aber im Dunkeln übersieht er ein großes Loch in der Straße. Die Kutschte schleudert, eine Achse bricht und ein Pferd wird verletzt. Schnell wird klar, an ein Weiterreisen ist nicht zu denken.
Ein mysteriöser Mord in Dartmoor

"Opiumschwaden. Der Mörder von St. Audrey" ist im Cursed Verlag erschienen
In der abgeschiedenen Gemeinde St. Audrey finden sie Obdach und eine warme Mahlzeit. Hier in der Einsamkeit des Dartmoor ist die Geschichte des Mannes aus dem fernen London eine Sensation. So wundert es auch nicht, dass Benjamin direkt am nächsten Morgen ausgerechnet durch seinen trockenen Beruf in den Strudel der Ereignisse gezogen wird.
Der Priester des Dorfes, der jüngst erst aus der Großstadt in dieses Nest geschickt wurde, ist grausam ermordet worden. Auf einem alten Kohlenmeiler finden sich seine Knochen, komplett vom Fleisch befreit. Schnell wird klar, dass das nicht durch Tiere geschehen sein kann, denn der Kopf findet sich in unmittelbarer Nähe nur leicht verwest. Die Schnittspuren an den Knochen selbst sprechen auch Bände.
Die unappetitlichen Geheimnisse des Priesters
Und so beginnt Benjamin die Ermittlungen in diesem mysteriösen Mordfall, zumindest bis die Polizei eintrifft. Dass es Mord war, daran besteht schnell kein Zweifel. Der Priester hat in seiner Schublade einige unappetitliche Geheimnisse, von denen so manches durchaus ein Mordmotiv sein könnte. Das macht neben einigen Dorfbewohnern auch Bewohner einer umliegenden Farm zu Verdächtigen. Aber auch der verrückte Einsiedler Kobold, der direkt am See in einer windschiefen Hütte lebt, könnte ein Motiv haben.
In dem Reigen der zu vernehmenden Menschen nimmt genau dieser Kobold immer häufiger einen Platz ein. Aber das nicht nur, weil er ein Verdächtiger ist. Durch seine ungezwungene Art, die Nähe von Benjamin zu suchen, weckt er in diesem längst verdrängt und besiegt geglaubte Empfindungen. Wie bei jedem Spiel mit dem Feuer möchte Benjamin einerseits fliehen, andererseits reizt es ihn, die Grenzen auszutesten – oder sie vielleicht zu überschreiten?
Doch dann wird ein weiterer Toter gefunden. Da dieser Leichnam auf die gleiche Art geschändet wurde, liegt der Verdacht nahe, dass es sich um den gleichen Täter handelt. Bald schon dämmert es Benjamin, dass der Zusammenhang in St. Audrey und seinen Bewohnern liegen könnte. Als er jedoch endlich die Zusammenhänge versteht, ist ein weiterer Mensch tot und für eine Flucht ist es zu spät. Es bleibt ihm wohl nichts anderes, als sich dem Geschehen auszuliefern.
Eine fesselnde und authentische Geschichte
Für die erste Neuveröffentlichung unter neuem Dach hat Raik Thorstad wieder einmal tief in die Trickkiste gegriffen und verwöhnt den geneigten Leser mit einer klaren und detailreichen Schilderung von Geschehnissen, die sich tatsächlich genau so zugetragen haben könnten. Und eben das macht den Roman nicht nur glaubwürdig, sondern genau deshalb fesselt er von Anfang an.
Ob langsame zärtliche Annäherung unter dem Lichte eines makabren Verbrechens oder eine schnelle hetzende Verfolgungsjagd, Thorstad mutet seinen Lesern alles in Einzelheiten zu. Mal betörend schön und süßlich, mal grausam brutal und mit dem Duft von Fäkalien behaftet, erzählt er eine Geschichte, die einfach erzählt werden will, ja geradezu muss.
Nicht jeder Autor kann in einem Kriminalfall, der noch dazu religiöse Elemente enthält, eine zärtliche queere Liebesgeschichte einbinden, die so fesselnd und authentisch wirkt. Ohne je auch nur den Ruch des Lächerlichen oder Unglaubwürdigen aufkommen zu lassen, sehnt man sich dem Ende des Buches entgegen. Aber nur um endlich zu erfahren, ob beide zueinander finden oder – eben den Zeiten durchaus entsprechend – dann doch nicht. Aber kaum, dass man das Buch danach aus der Hand gelegt hat, vermisst man Benjamin und Kobold bereits so schmerzlich, dass eine erneute Lektüre der einzige Ausweg scheint.
Raik Thorstad: Opiumschwaden. Der Mörder von St. Audrey. Roman. 388 Seiten. Cursed Verlag. Taufkirchen 2017. Taschenbuch: 10,95 € (ISBN 978-3-95823-097-2). Ebook: 7,49 €

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Hat ein bisschen den Hauch von "Sleepy Hollow" an sich, und klingt etwas nach diesen langen Romanen über die viktorianische Zeit und davor, die ich als Jugendlicher so mochte. In diesen Romanen blieben Beziehungen und Romanzen stets heterosexuell.
Ich freue mich, etwas mit Romantikaspekt auch mal im gleichgeschlechtlichen Bezug zu lesen.
Habt Dank für den Buchtipp!