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Verfassungsgerichtshof

Österreich öffnet die Ehe für Schwule und Lesben

Paukenschlag in der Alpenrepublik: Der oberste Gerichtshof hat entschieden, dass der Staat nicht länger gleichgeschlechtlichen Paaren das Recht auf Ehe vorenthalten darf.


Die Verfassungsrichter öffnen die Ehe für Schwule und Lesben – und erlauben Heteros, sich zu verpartern (Bild: VfGH / Achim Bieniek)

Der österreichische Verfassungsgerichtshof in Wien hat am Dienstagvormittag bekannt gegeben, dass im gesamten Land das Ehe-Verbot für gleichgeschlechtliche Paare zum 1. Januar 2019 fallen muss. Der Gerichtshof begründete diesen Schritt mit dem Diskriminierungsverbot des in der Bundesverfassung verankerten Gleichheitsgrundsatzes. Mit der Entscheidung (PDF) steht zugleich die eingetragene Partnerschaft auch verschiedengeschlechtlichen Paaren offen.

Der Verfassungsgerichtshof hatte die Bestimmungen über Ehe und eingetragene Partnerschaft nach der Beschwerde von zwei verpartnerten Frauen, die heiraten wollten, einer Prüfung unterzogen. Die beiden Frauen dürfen damit, ebenso wie vier weitere klagende Paare, bereits ab der Zustellung des Urteils heiraten.

Die Unterscheidung in Ehe und eingetragene Partnerschaft lasse sich nach Ansicht der Richter heute nicht aufrechterhalten, ohne gleichgeschlechtliche Paare zu diskriminieren. Denn die Trennung in zwei Rechtsinstitute bringe zum Ausdruck, dass Menschen mit gleichgeschlechtlicher sexueller Orientierung nicht gleich den Personen mit verschiedengeschlechtlicher Orientierung sind.

Richter: Eingetragene Partnerschaft hat "diskriminierende Wirkung"

In der Begründung heißt es dazu wörtlich: "Die damit verursachte diskriminierende Wirkung zeigt sich darin, dass durch die unterschiedliche Bezeichnung des Familienstandes ('verheiratet' versus 'in eingetragener Partnerschaft lebend') Personen in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft auch in Zusammenhängen, in denen die sexuelle Orientierung keinerlei Rolle spielt und spielen darf, diese offen legen müssen und, insbesondere auch vor dem historischen Hintergrund, Gefahr laufen, diskriminiert zu werden."

Der Gerichtshof schließt aus dieser Diskriminierung: "Die gesetzliche Trennung verschiedengeschlechtlicher und gleichgeschlechtlicher Beziehungen in zwei unterschiedliche Rechtsinstitute verstößt damit gegen das Verbot des Gleichheitsgrundsatzes, Menschen auf Grund personaler Merkmale wie hier der sexuellen Orientierung zu diskriminieren."

Twitter / GrueneAndersrum | Freude bei der LGBTI-Gruppe innerhalb der österreichischen Grünen
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Konkret bedeutet die Gerichtsentscheidung für verpartnerte Paare, dass sie die Möglichkeit erhalten sollen, zu heiraten. Sollten sie mit ihrem bisherigen Status als "in eingetragener Partnerschaft lebend" zufrieden sein, können sie auch weiterhin diesen Familienstand beibehalten. Auch Hetero-Paare sollen künftig wählen können, ob sie verpartnert oder verheiratet sein möchten. Freilich kann der Gesetzgeber bis Ende 2018 noch eine andere Regelung beschließen – und etwa, wie in Deutschland, die Neuschließung von eingetragenen Partnerschaften abschaffen.

Sollte der Gesetzgeber bis Ende 2018 keine gesetzliche Regelung treffen, wird die Wortfolge "zwei Personen verschiedenen Geschlechtes" in den Regelungen des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) zur Ehe sowie jene Bestimmungen, wonach sich nur gleichgeschlechtliche Paare verpartnern dürfen, automatisch fallen.

LGBTI-Aktivist nennt Entscheidung "historisch"

Anwalt Helmut Graupner von der LGBTI-Organisation Rechtskomitee Lambda, der auch die beiden klagenden Frauen vertreten hatte, bezeichnete in einer ersten Reaktion auf Facebook die Entscheidung der Verfassungsrichter als "historisch". Der Verfassungsgerichtshof sei damit "das erste Gericht Europas, das das Eheverbot für gleichgeschlechtliche Paare aufgehoben hat. Und Österreich das erste Land Europas, das die Ehegleichheit als Menschenrecht anerkennt und verwirklicht". In den anderen europäischen Ländern sei die Eheöffnung bislang immer auf politischem Wege erfolgt.

Die LGBTI-Organisation HOSI Wien forderte nun die Regierung zu einer umfassenden Reform und Modernisierung des Ehe-Rechts auf, "insbesondere für den Fall, dass die eingetragene Partnerschaft bei dieser Gelegenheit abgeschafft werden sollte", so HOSI-Chefin Lui Fidelsberger. "Für den Fall, dass sich der Gesetzgeber zu keiner radikalen Reform des Eherechts durchringt, muss die eingetragene Partnerschaft als moderne Alternative unbedingt erhalten bleiben", forderte die Aktivistin. HOSI Wien hatte bereits vor einigen Monaten erklärt, dass das Ehe-Recht in seinen "antiquierten, heute kurios anmutenden Formulierungen des 19. Jahrhunderts auch immer noch den Geist des Patriarchats" versprühen würde (queer.de berichtete).

Aktivisten planen bereits für den Abend um 18 Uhr eine spontane Kundgebung vor dem Gebäude des Verfassungsgerichtshofs. "Es darf auch angestoßen werden, den Champagner bitte selbst mitbringen", heißt es in der Einladung.

Twitter / dziedzic_ewa | Am Abend wurde vor dem Sitz des Gerichts in Wien gefeiert
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Politisch dürfte die Entscheidung noch einige Debatten auslösen: Nach der Nationalratswahl im Oktober gingen die christsoziale Österreichische Volkspartei (ÖVP) und die rechtspopulistische Freiheitliche Partei (FPÖ) als Sieger hervor und führen derzeit Koalitionsverhandlungen – beide Parteien lehnten die Ehe-Öffnung ab. Der designierte ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz erklärte etwa im Wahlkampf, dass es keine Diskriminierung sei, Homosexuellen das Ehe-Recht vorzuenthalten (queer.de berichtete).

Die sozialdemokratische SPÖ, die nach rund elf Jahren in Koalitionsregierungen nun wieder in die Opposition gehen will, möchte nun die Ehe schon vor der von den Richtern gesetzten Deadline umsetzen: "Leider brauchte es wieder einmal eine höchstgerichtliche Entscheidung, um die ÖVP-Blockade wegzuräumen. Es gibt aber keinen Grund, noch bis 2019 zu warten", erklärten SPÖ-Fraktionschef Andreas Schieder und der offen schwule SPÖ-Gleichbehandlungsexperte Mario Lindner in einer ersten Reaktion. "Die SPÖ hat bereits in der Nationalratssitzung am 9. November einen Antrag zur Öffnung der Ehe für alle ÖsterreicherInnen eingebracht. Dieser kann sofort beschlossen werden."

Twitter / MarioLindner82 | Nationalratsmitglied Mario Lindner (SPÖ) freut sich über die Entscheidung der Richter

Von Homo-Gegnern kamen bereits hämische Töne zur Ehe-Öffnung: So twitterte Markus Franz, der in der letzten Legislaturperiode für das rechtspopulistische "Team Stronach" in den Nationalrat gewählt worden war: "Wann kommt die Viel-Ehe, die Geschwister-Ehe und die Ehe mit dem geliebten Gummibaum?" Weitere Reaktionen, u.a. von der Katholischen Kirche, in diesem Folgeartikel.

Twitter / MD_Franz
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Das Gesetz zur Eingetragenen Partnerschaft (EPG) war 2009 beschlossen worden (queer.de berichtete). Es trat am 1. Januar 2010 in Kraft. Wie auch in Deutschland hatten Homo-Paare zunächst viele Pflichten und wenige Rechte. Nach und nach entschied der Verfassungsgerichtshof allerdings, dass das Vorenthalten von Rechten bei verpartnerten Paaren diskriminierend sei – so hoben die Richter 2015 das Adoptionsverbot für verpartnerte Paare auf (queer.de berichtete).

Bislang erlauben weltweit 22 Länder gleichgeschlechtlichen Paaren zu heiraten. Die meisten dieser Länder befinden sich in Europa: Mit Österreich würden 13 der 28 EU-Mitgliedstaaten die Ehe für alle etabliert haben; hinzu kommen drei der vier britischen Landesteile, das Ehe-Verbot ist aber bislang nicht in Nordirland abgeschafft worden. Außerdem werden im Ausland geschlossene gleichgeschlechtliche Ehen in Estland anerkannt. Rund 40 Prozent der EU-Bürger leben damit in Ländern, in denen Homosexuelle im Ehe-Recht nicht mehr diskriminiert werden. Die nächste Ehe-Öffnung könnte in den nächsten Tagen vom Parlament in Australien beschlossen werden (queer.de berichtete).

Artikel wurde mehrfach ergänzt