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Jahresrückblick
Höhepunkte des Jahres 2017
2017 wird als Jahr der Ehe-Öffnung in die deusche Geschichte eingehen. Es gab aber noch mehr Highlights: queer.de stellt zehn besten Geschichten der vergangenen zwölf Monate aus LGBTI-Sicht vor.

Die Demonstrationen (wie hier vor dem Bundesratsgebäude) haben sich gelohnt: 2017 war das Jahr der Ehe-Öffnungen (Bild: LSVD Berlin-Brandenburg)
29. Dezember 2017, 12:09h 7 Min. Von
Ehe für alle in Deutschland
Wer Ende Juni für eine Woche in den Urlaub gefahren ist und sein Handy zu Hause gelassen hat, hat die Ehe-Öffnung verpasst. Bis Montag, den 26. Juni, lehnte die Union die Forderungen des Koalitionspartners SPD nach einer Gleichbehandlung im Ehe-Recht noch stets schroff ab – dann erklärte Kanzlerin Angela Merkel völlig überraschend bei einer Veranstaltung der Frauenzeitschrift "Brigitte", dass sie sich eine freie Abstimmung bei diesem Thema vorstellen könne. Am Dienstag nahmen die Sozialdemokraten die Regierungschefin beim Wort und kündigten eine rasche Abstimmung an. Am selben Tag erklärte die Unionsfraktion, man habe den Fraktionszwang aufgehoben. Am Freitag, dem letzten Tag der alten Legislaturperiode, wurde die Öffnung der Ehe dann beschlossen. Eine Woche später nickte der Bundesrat die Ehe für alle ab, seit dem 1. Oktober ist das Ehe-Verbot für Schwule und Lesben in Deutschland aufgehoben.
Homo-Hasser wurden von dieser international beispiellosen "Blitz"-Gleichstellung (nach Jahren voller Debatten) völlig überfahren – die "Demo für alle"-Aktivisten waren offenbar selbst im Urlaub und konnten sich nur ein paar wütende Facebook-Einträge leisten. Proteste gegen die Ehe für alle wie zuvor in Spanien und Frankreich gab es in Deutschland praktisch keine. Ein paar Gegner der Gleichbehandlung, allen voran Bundesinnenminister Thomas de Maizière, wollten die Umsetzung zwar noch hinauszögern, scheiterten aber kläglich. Und Bayern hat auch bis Jahresende noch nicht seine Prüfung abgeschlossen, ob das Bundesland in Karlsruhe klagen will; unterdessen heiraten Schwule und Lesben fröhlich vor sich hin und schaffen Tatsachen, ohne dass – wie von Homo-Hassern heraufbeschworen – die Zivilisation zusammenbricht.
Ehe für alle in Österreich
Haben die stolzen Österreicher etwa die Deutschen kopiert? Der Verdacht drängt sich auf: Nur zwei Monate nach der Öffnung der Ehe für Schwule und Lesben in Deutschland haben auch unsere Nachbarn die Gleichstellung beschlossen – anders als in Deutschland aber durch eine Entscheidung des Oberste Gerichtshofs. Die Höchstrichter befanden, dass das Ehe-Verbot für Schwule und Lesben gegen das Diskriminierungsverbot in der Bundesverfassung verstößt. Ironischerweise verhandelten zu dieser Zeit mit ÖVP und FPÖ gerade zwei Parteien über eine Koalition, die die Gleichbehandlung ablehnen. Tu felix Austria, nube!

Die Verfassungsrichter in Österreich haben das Ehe-Verbot für Schwule und Lesben hinweggeweht
Ehe für alle weltweit
Auch weitere Länder stellten dieses Jahr gleich: In Finnland kann seit dem 1. März geheiratet werden, Malta folgte am 1. September, in Australien stimmten in den letzten Monaten zunächst die Wähler und dann die Parlamentarier für die Ehe für alle. Auch in mehreren teilautonomen (Klein-)Staaten kam es zur Gleichstellung, darunter etwa auf den zu Dänemark gehörenden Färöer-Inseln oder im britischen St. Helena.
Entschädigung für Opfer des Paragrafen 175
Nur eine Woche vor der historischen Ehe-Öffnung in Deutschland brachte der Bundestag ein weiteres historisches Gesetz auf den Weg: Endlich werden die Verurteilungen nach Paragraf 175 aus der Nachkriegszeit aufgehoben, Betroffene erhalten zudem auf Antrag eine moderate Entschädigung.
Die Aufhebung war lange von LGBTI-Aktivisten gefordert worden: Bereits 2002 hatte der Bundestag Nazi-Urteile zum Paragrafen 175 aufgehoben. Die Opfer der Schwulenverfolgung in der Bundesrepublik und der DDR galten jedoch als Straftäter. Lange hatten Politiker behauptet, man könne keine rechtsstaatlich in einer Demokratie gefällten Urteile aufheben, selbst wenn sie heute als anstößig gelten. Dieses Jahr haben die Bundestagsabgeordneten aber festgestellt: Selbst eine Demokratie kann Fehler machen. Und der Paragraf 175, der in abgeschwächter Form bis 1994 Gesetz war, ist ein Riesenfehler.
Beschämend ist nur, dass Elemente in der Union bis zuletzt versucht haben, das Gesetzespaket zu sabotieren. Kurz vor der Verabschiedung schaffte die Partei es, das Gesetz noch ein wenig einzuschränken, was zu scharfer Kritik durch die Antidiskriminierungsstelle und LGBTI-Aktivisten führte. Und der Kampf für Menschen, die vom Paragrafen auch ohne Verurteilung betroffen waren, geht weiter. Dennoch: Für viele Schwule brachte die Aufhebung der Schandurteile endlich Gerechtigkeit.

Fritz Schmehling (l., im Bundestag zur ersten Lesung) wurde als 14-Jähriger nach dem Paragafen 175 zu Jugendarrest verurteilt und konnte vor seinem Tod eine Rehabilitierung und Entschädigung erreichen – anders als Wolfgang Lauinger, der im Rahmen der Frankfurter Homosexuellenprozesse mehrere Monate in Untersuchungshaft verbrachte, aber nicht verurteilt wurde. Trotz Forderungen der Opposition und des Bundesrats fanden Fälle wie diese keine Berücksichtigung im Gesetz. Bilder: Manuel Izdebski, BMH Zwei in diesem Dezember verstorbene Betroffene:
Die PrEP ist da!
Für Aids-Aktivisten ist die Medizin mit dem schwer zu merkenden Namen Präexpositions-Prophylaxe (PrEP) eine aufregende Meldung: Das Mittel zur Vorbeugung einer HIV-Infektion, das bereits im Sommer 2016 in der EU zugelassen wurde, gibt es seit diesem Jahr in Deutschland für 50 Euro bis 70 Euro im Monat zu kaufen. Die Deutsche Aids-Hilfe hofft freilich, dass auch Krankenkassen das Medikament für Gruppen mit einem hohen Risiko einer Ansteckung übernehmen.
LGBTI- und HIV-Aktivisten sehen in der PrEP eine wirksame Ergänzung zu bekannten HIV-Schutzmaßnahmen wie Kondomen, um die Neuinfektionszahlen zu reduzieren. Denn das Medikament senkt laut Studien das Risiko einer Ansteckung praktisch auf null. Die Weltgesundheitsorganisation hat die PrEP daher diesen Sommer auf die Liste der "unentbehrlichen Arzneimittel" aufgenommen.
Schwule und lesbische Promi-Ehen noch und nöcher
Ein Zeichen, wie die Akzeptanz von Homosexuellen gemessen werden kann, ist die Berichterstattung in Boulevardmagazinen. Dort wird inzwischen genauso routiniert über die Ehen von homosexuellen Promis gesprochen wie über heterosexuelle – inzwischen werden so viele gleichgeschlechtliche Ehen geschlossen, dass alleine dadurch die Sichtbarkeit von sexuellen Minderheiten sichergestellt wird.
Geheiratet hat dieses Jahr unter anderem der US-Schauspieler Colton Haynes, ebenso wie der schwäbische Hollywood-Regisseur Roland Emmerich, der seinem 28 Jahre jüngeren Freund das Ja-Wort gab. Auch WM-Sieger Tom Daley und "Oscar"-Preisträger Dustin Lance Black sind seit Mai unter der Haube.

Star-Regisseur Roland Emmerich (re.) mit seinem Liebsten (Bild: Warner Bros. Pictures Germany)
Mit der Ehe-Öffnung in Deutschland gaben sich auch mehrere prominente Politiker gleich zum Start das Ja-Wort, unter ihnen der Grünenpolitiker Volker Beck, der Berliner Linken-Abgeordnete Carsten Schatz und der Münchner Stadtrat Thomas Niederbühl von der Rosa Liste. SPD-Umweltministerin Barbara Hendricks änderte im Oktober ihren Beziehungsstatus von verpartnert zu verheiratet. Und kurz vor Weihnachten gab auch CDU-Politiker Jens Spahn seinem Partner das Ja-Wort.
Die sportliche Hochzeit des Jahres hatte Kira Walkenhorst: Die Beachvolleyball-Olympiasiegerin heiratete ihre Freundin Maria Kleefisch.
Schwule Küsse im Weltraum
51 Jahre mussten die Science-Fiction-Fans auf ein echtes schwules Paar in einer "Star Trek"-Serie warten, dieses Jahr war es endlich soweit: In der fünften Folge wurden Paul Stamets (dargestellt vom Broadway-Schauspieler Anthony Rapp) mit seinem Freund Dr. Hugh Culber (Wilson Cruz) offiziell als Paar vorgestellt, in Folge neun durften sie sich zum ersten Mal einen langen Schmatzer geben.
Die Serie, die in den Sechzigerjahren mit einem multikulturellen Ensemble das noch recht rassistische US-Fernsehen aufwirbelte, ließ sich lange Zeit für Schwule und Lesben – obwohl diese einen großen Teil der Fans ausmachten. Inzwischen ist die Gleichstellung aber auch in der Föderation der Planeten angekommen.

Küssen während der Arbeitszeit durften sich auf den Starfleet-Raumschiffen bisher nur Hetero-Paare…
Coming-outs im Fußball
2013 wollten wir in einer queer.de-Umfrage wissen, ob unsere Leser in den nächsten fünf Jahren mit einem Coming-out eines Profis in der Bundesliga rechnen. 57 Prozent sagten "ja". Noch warten wir zwar immer noch auf das Coming-out eines aktiven Fußballers, aber es gibt doch einige Bewegung in den europäischen Ligen.
So outete sich im Sommer im englischen Profifußball – immerhin der lukrativste der Welt – ein schwuler Schiedsrichter, im Dezember folgte ein Kollege der schweizerischen Spitzenliga. Zudem gibt es vermehrt Kampagnen gegen Homophobie.
Wir müssen aber noch warten, ob die 57 Prozent unserer Leser Recht hatten und es bis 2018 zu einem Coming-out kommen wird. Die Chancen darauf stehen auf jeden Fall jedes Jahr besser.
Die fehlende Zugkraft der Demo für alle
Als in Frankreich vor fünf Jahren die Ehe-Öffnung debattiert wurde, gingen Homo-Gegner der sogenannten "Manif pour tous"-Bewegung auf die Straße, um bei teilweise gewalttätigen Demonstrationen gegen die Gleichbehandlung von Schwulen und Lesben im Ehe-Recht zu protestieren. In Deutschland versuchten Gleichgesinnte, diese Hassbewegung zu kopieren. Doch die deutsche Variante "Demo für alle" ließ hierzulande die meisten Menschen kalt.
Als die Organisation von Hedwig von Beverfoerde nach dem Bundestagsbeschluss zur Öffnung der Ehe etwa mit einem Bus durchs Land reiste, um den Deutschen mitzuteilen, wie schlimm Homo- und Transsexuelle doch sind, konnte der sprichwörtliche Hund nicht hinterm Ofen hervorgelockt werden – egal ob in Stuttgart, Düsseldorf, der Pegida-Hauptstadt Dresden oder zum Abschluss in Berlin.
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Mit einem Kongress in Frankfurt im Januar 2018 setzt die "Demo für alle" dennoch ihren Kampf fort – ein Gegenprotest ist bereits geplant. Das Protestbündnis versucht, als Stichwortgeber und Anheizer rechter Bündnisse gegen LGBTI-Rechte, nach wie vor, Homo- und Transsexuelle an den gesellschaftlichen Rand zu schieben – und vermeldete auch vereinzelte Hass-Erfolge, wie die Verwässerung der neue Richtlinien zur Sexualerziehung an Schulen in Bayern. Eine Rückkehr in die Zeit der staatlichen Verfolgung ist aber angesichts der fehlenden Unterstützung der Homo-Hasser in der Gesellschaft nicht zu befürchten.
Deutschland erhält das Recht auf ein Drittes Geschlecht
Dieses Urteil schlug am 8. November ein wie eine Bombe: Das Bundesverfassungsgericht gab der Verfassungsbeschwerde einer 27-jährigen intersexuellen Person statt, die in offiziellen Formularen nicht mit dem Geschlecht "männlich" oder "weiblich" eingetragen werden wollte. Schlichte Begründung: Das im Grundgesetz verankerte "allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt auch die geschlechtliche Identität". "Die Karlsruher Richterinnen und Richter haben in ihrem Beschluss eindeutig klargestellt, dass der Schutz vor Diskriminierung wegen des Geschlechts nicht nur für Männer und Frauen gilt, sondern auch für Menschen, die sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuordnen", freute sich die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders.

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Die größte Überraschung war die Eheöffnung. Danke an die Grünen :-)
Im neuen Jahr darf es gerne so weiter gehen.
Zum Beispiel die Gesetze gegen Diskriminierung erweitern.