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Jahresrückblick
Tiefpunkte des Jahres 2017
Das erste Trump-Jahr hatte einige Tiefschläge: Hier sind die zehn Lowlights aus LGBTI-Sicht.

Alice Weidel präsentierte sich als lesbisches Feigenblatt der AfD – die Homo- und Transphobie in ihrer Partei verharmlost sie
30. Dezember 2017, 12:08h 8 Min. Von
AfD-Einzug in den Bundestag
Der Einzug der AfD in den Deuschen Bundestag ist ein Einschnitt: Erstmals zieht eine Partei ins Parlament ein, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, gegen Minderheiten zu hetzen – natürlich auch gegen sexuelle und geschlechtliche Minderheiten.
Auf Landesebene haben wir uns ja schon fast dran gewöhnt, dass sich AfD-Politiker über lesbische Opfer der Nazis lustig machen, Schwulen den Rat geben, sie "sollen sich ruhig weiter selbst gegenseitig in den Arsch ficken" , die Ehe-Öffnung als "sodomitisches Freudenhaus" beschreiben oder LGBTI-Rechte einfach als "Dummquatsch" abqualifizieren. Um nur einige Beispiele zu benennen.
Die AfD bekämpfte unter anderem die Gleichbehandlung von Schwulen und Lesben im Ehe-Recht, will Regenbogenfamilien schlechter stellen als "traditionelle", verlangt die Abschaffung von Antidiskriminierungs-Bestimmungen und will in den Ländern verhindern, dass in Schulen das Thema Homosexualität auch nur erwähnt wird. Nur in einem Punkt gibt die Partei vor, die Rechte von Schwulen und Lesben zu schützen: nämlich vor Muslimen, also der Minderheit, die von den Rechtspopulisten noch mehr gehasst wird als Homosexuelle. Dafür schieben sie als Kronzeugin die lesbische AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel nach vorne, die derzeit das queere Feigenblatt der Homo-Hasser spielt.
Donald Trump regiert homo- und transphob
Seit knapp einem Jahr ist Donald Trump im Amt – und ist aus Sicht sexueller und geschlechtlicher Minderheiten ein so großer Rückschlag, wie es LGBTI-Aktivisten befürchtet hatten. So ernannte der 45. US-Präsident ausgesprochene Homo-Hasser wie Ben Carson oder Jeff Sessions zu Ministern seines Kabinetts.
Auch seine Politik ist gezeichnet von Homo- und Transphobie: Die Trump-Regierung kämpft etwa dafür, Transsexuelle aus den US-Streitkräften zu drängen, will ein Recht auf LGBTI-Diskriminierung verankern oder stimmte in der UN gegen eine Resolution, um die Todesstrafe für Homosexualität zu ächten.
Langfristig gefährlich ist national vor allem, dass Trump erzkonservative Juristen zu Richtern in den mächtigen Bundesgerichten ernennt. Besonders ausgesprochene Homo-Gegner haben es Trump angetan: Mit Neil Gorsuch konnte er bereits einen Hardliner in den neunköpfigen Supreme Court berufen, der in den USA stets das letzte Wort hat.
Die Türkei entwickelt sich zurück
In mehreren Ländern gab es 2017 Rückschritte für LGBTI-Rechte, darunter in Ägypten, Indonesien oder Aserbaidschan – und auch in der Türkei, einem der wichtigsten Partner Deutschlands. Das immer autoritärer werdende Regime von Staatschef Recep Tayyip Erdoğan polemisiert jetzt sogar offen gegen Homosexuelle.
Zwar hatte das Land bereits 1858 – also 111 Jahre vor Deutschland – Homosexualität legalisiert, allerdings wird das queere Leben immer schwerer: CSDs werden verboten; wenn Aktivisten doch auf die Straße gehen, setzt die Polizei Tränengas und Gewalt ein. Die Hauptstadt Ankara verbietet kurzerhand alle queeren Kulturevents, auch im relativ liberalen Istanbul wird ein LGBTI-Filmfest aus Homophobie verboten. Die deutsche Bundesregierung reagiert bislang noch verhalten auf diesen Kampf der Erdogan-Regierung gegen sexuelle und geschlechtliche Minderheiten.
Immerhin gab es zum Jahresende noch einen kleinen Lichtblick: Der Oberste Gerichtshof des Landes hat im Dezember überraschend die Zwangssterilisation für Transsexuelle beendet.
Katholische Kirche weiter an Spitze der Anti-LGBTI-Bewegung
Gott kümmert sich weniger um Hunger und Not als darum, Homosexuelle möglichst ins gesellschaftliche Abseits zu stellen. Das ist zumindest die Ansicht der katholischen Kirche. Wenn es um handfestes politische Lobbyarbeit geht, ist die Kirchenführung in vielen Ländern geradezu fixiert auf die Diskriminierung Homo- und Transsexueller.
In Deutschland bezeichnet die Kirchenführung die Gleichbehandlung von Schwulen und Lesben im Ehe-Recht etwa als "Angriff auf die Zivilisation", die österreichische Kirche rückt das Ende der Diskriminierung sogar in die Nähe des Nationalsozialismus oder warnt davor, dass Homosexuelle sich an Kindern vergreifen. In den USA weigert sich ein Bischof, offen homosexuelle Menschen zu beerdigen. Selbst der "liberale" Papst beteiligt sich an der Hetze gegen sexuelle und geschlechtliche Minderheiten.

Reinhard Kardinal Marx (rechts) und der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki machen sich wegen der Gleichbehandlung Homosexueller Sorgen um ihre Schäfchen (Bild: Raimond Spekking / wikipedia)
Deutscher Professor polemisiert gegen Schwule und Lesben
Mit dem Evolutionsbiologen Ulrich Kutschera, der an der Universität Kassel lehrt, hat sich ein Professor an die Spitze der Homo-Hasser in Deutschland gestellt. Er verbreitet das alte Klischee vom Schwulen als bösen Kinderverführer – so sah er in der Gleichbehandlung im Adoptionsrecht "staatlich geförderte Pädophilie und schwersten Kindesmissbrauch auf uns zukommen."
Auch sonst fährt der mit der "Demo für alle" und weiteren Gegnern von LGBTI-Rechten verbandelte Professor schwere Geschütze auf: Homosexuelle, so doziert er, würden nur "biologisch sinnloses Paarungs-Verhalten" betreiben und seien lediglich zu "a-sexuellen Eros-Handlungen" fähig, nicht zu echten Sex.
Die wissenschaftlich verbrämte Homophobie sorgte für Unverständnis: So erklärte der hessische Wissenschaftsminister Boris Rhein (CDU), die Äußerungen Kutscheras seien "dermaßen abstrus", dass er eine Prüfung der Universität erwarte. Allerdings betonte die Kasseler Hochschule, dass es ein verfassungsmäßiges Recht auf Freiheit der Wissenschaft gebe, das offenbar selbst das Schüren von Hass auf Minderheiten einschließt.

Ulrich Kutschera hat sich in diesem Jahr als Homo-Hasser profiliert
Tschetschenien wird zur Hölle für Schwule
Kaum nahmen die Berichte über die Ermordungen von Schwulen durch den zurückgedrängten "Islamischen Staat" ab, rüttelte die Verfolgung Homosexueller in Tschetschenien die Weltgemeinschaft auf: Im Frühjahr waren Berichten der Zeitung "Novaya Gazeta" zufolge in der teilautonomen russischen Republik mehrere hundert Männer wegen vermeintlicher Homosexualität verschleppt und in Lagern ohne gesetzliche Grundlage festgehalten und gefoltert worden. Mehrere starben bei der Prozedur oder wurden im Anschluss durch Familienangehörige getötet.
Die Verfolgung geht über Tschetschenien hinaus: So gab es Berichte, dass eine tschetschenische Schlägertruppe in Berlin Schwule bedroht, später wurde ein nach Deutschland geflüchteter Schwuler im tschetschenischen Fernsehen vorgeführt. Die Reaktion der Weltgemeinschaft war vergleichsweise deutlich: Mehrere führende Politiker, Bundeskanzlerin Angela Merkel inklusive, sprachen die Verfolgung gegenüber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin an; mehrere Staaten, darunter Deutschland und vor allem Kanada, nahmen unbürokratisch geflohene Schwule auf. Zuletzt belegte die Trump-Regierung Präsident Ramsan Kadyrow und einige Mitstreiter auch wegen der Schwulenverfolgung mit Sanktionen, in die EU darf er bereits seit der Ukraine-Krise nicht einreisen. Russland selbst, 2018 Ausrichter der Fußball-WM, zeigt sich weiter desinteressiert und abstreitend zu den Taten in seinem Staats- und Rechtsgebiet.
Uns erreichen zur Stunde erschütternde Meldungen. Laut der Zeitung "Novaya Gazeta" sollen in der autonomen russischen…
Posted by queer.de on Samstag, 1. April 2017
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Die FAZ gibt sich offen homophob
Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" gilt zwar als Qualitätszeitung, machte im Jahr der Ehe-Öffnung aber mit plumper Homophobie von sich reden: Der Deutsche Presserat hat sogar eine öffentliche Rüge gegen den im Blatt veröffentlichten Gastbeitrag "Wir verraten alles, was wir sind" ausgesprochen, weil es sich dabei um "diskriminierende Berichterstattung" gehandelt habe. Der Artikel, der am Tag der Ehe-Öffnung im Bundestag unter einem Pseudonym veröffentlicht wurde, hatte behauptet, dass Homosexuelle generell zum Kindesmissbrauch neigten.
Angesichts der Kritik zeigte sich die FAZ uneinsichtig – und wollte Homosexuelle sogar zum presserechtlichen Freiwild erklären: Der Pressekodex, so die Zeitung, schütze Schwule und Lesben nicht. Nach der Rüge verharmloste die Zeitung den homophoben Artikel als "kontroverse Meinung".

Die FAZ holte sich eine seltene Presseratsrüge wegen der Diskriminierung Homosexueller ein (Bild: heipei / flickr)
Bundesregierung will Maghreb-Staaten trotz Homo-Verfolgung das Prädikat "sicher" verleihen
Über kein anderes Thema wird in Deutschland so kontrovers debattiert wie über die Flüchtlingspolitik. Hier gehen manchmal Maßstäbe verloren: Aus Angst vor Kriminellen und Terroristen scheint vielen jedes Mittel Recht, um die Flüchtlingszahlen in Deutschland zu verringern – sogar wenn dies heißt, denjenigen Menschen die Hilfe zu verweigern, die nur wegen ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität von autoritären Regimen verfolgt werden.
Die von der Merkel-Regierung angestrebte Verleihung des Prädikats "sicherer Herkunftsstaat" an Algerien, Marokko und Tunesien, die in der letzten Legislaturperiode keine Mehrheit im Bundesrat fand, ist ein solcher verlorener Maßstab: Sie macht es auch für Schwule und Lesben, die von der Verfolgung traumatisiert wurden, viel schwerer, in Deutschland als Geflüchteter anerkannt zu werden. Zurückgeschickten droht Gefängnis oder Schlimmeres.
Insbesondere die Vogel-Strauß-Politik von manchen Politikern, die schlicht die Verfolgung ignorieren, ist schwer zu ertragen: Während der marokkanische Menschenrechtsminister Homosexuelle in einem Interview pauschal als menschlichen "Müll" bezeichnet und in Tunesien junge Schwule zu Haftstrafen verurteilt werden, will der schwule CDU-Politiker Jens Spahn die Maghreb-Staaten für sicher erklären lassen. Seine absurde Begründung: Europäer machten schließlich in diesen Ländern Urlaub.
Transpersonen sollen unsichtbar gemacht werden
Mit der zunehmenden Akzeptanz von Schwulen und Lesben schießen sich LGBTI-Gegner immer mehr auf einen neuen Feind ein: Die Anerkennung von Transsexuellen. Hass auf alles, was nicht den Geschlechtsklischees der Fünfzigerjahre entspricht, ist dabei besonders in der AfD zu Hause – führende Politiker der Rechtspopulisten haben sich in diesem Jahr beispielsweise aufgeregt, wenn Männer etwas anderes als "Hosen und Pullover" tragen. Das Karlsruher Urteil zum Dritten Geschlecht wurde von Alice Weidel als "abstruse genderpolitische Empfehlung" und von Björn Höcke als "Recht auf Schizophrenie" gedeutet.
Ganz vorne an der Abwehrhaltung gegen Transpersonen ist auch die mächtige katholische Kirche. Papst Franziskus bezeichnete eine Geschlechtsanpassung etwa als gefährliche "Manipulation". Die US-Bischofskonferenz ging noch einen Schritt weiter und behauptete schlicht, es gebe keine Transpersonen.
In den USA ist Transphobie mit Donald Trump Staatsräson geworden: Präsident Donald Trump will mit einem Erlass alle Transpersonen aus den amerikanischen Streitkräften drängen. Der Gesundheitsbehörde wurde sogar verboten, den Begriff "Transgender" zu verwenden.

Im Sommer attestierte Trump Transpersonen via Twitter, dass sie eine Belastung für das Militär seien
Ziel all dieser Initiativen ist es, Transpersonen unsichtbar zu machen, um am eigenen Weltbild aus der "guten alten Zeit" festhalten zu können. Dass viele Transpersonen damit in den Selbstmord getrieben werden, ist den Verantwortlichen offensichtlich egal.
Gutachterpflicht für Transsexuelle bleibt
Das Bundesverfassungsgericht hat in den letzten Jahren viele Benachteiligungen für sexuelle oder geschlechtliche Minderheiten abgeschafft: Mehrfach erklärten die Höchstrichter unterschiedliche Behandlungen von eingetragenen Lebenspartnern gegenüber heterosexuellen Eheleuten für verfassungswidrig, mehrfach hebelten sie Teile des inzwischen antiken Transsexuellengesetzes aus dem Jahr 1981 als ungültig aus. Erst Anfang November erklärte Karlsruhe, das Grundgesetz enthalte das Recht für Interesexuelle, in einem Dritten Geschlecht anerkannt zu werden.
Daher kam eine nur zwei Wochen später bekannt gegebene Entscheidung des Gerichts für viele überraschend: Die Höchstrichter befanden, dass die sogenannte Gutachterpflicht für Transsexuelle nicht gegen das Grundgesetz verstößt. Die von Trans-Aktivisten verhasste Regelung besagt, dass Transpersonen, die in ihrem Geschlecht anerkannt werden wollen, zwei Gutachter unabhängig voneinander von ihrer Transsexualität überzeugen müssen. Die als demütigend und entwürdigend empfundene Prozedur kann nur der Gesetzgeber abschaffen – in den letzten Legislaturperioden zeigten die jeweiligen Regierungen aber kaum Interesse, am Transsexuellengesetz zu rütteln.

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