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Sinneswandel
Indiens oberster Gerichtshof überprüft bestehendes Verbot von Homosexualität
Noch im Dezember 2013 hatten die Höchstrichter den umstrittenen Paragrafen 377 selbst wieder eingeführt – jetzt wird das Verfahren nach einer Petition von LGBTI-Promis neu aufgerollt.

Auch dieses schwule Paar aus Neu-Delhi kann neue Hoffnung schöpfen (Bild: Sunil Gupta & Charan Singh / Delhi - Communities of Belonging)
- 8. Januar 2018, 12:04h 2 Min.
Der oberste Gerichtshof Indiens hat am Montag angekündigt, erneut zu überprüfen, ob der Paragraf 377 des Strafgesetzbuchs mit der Verfassung vereinbar ist. Nach dem umstrittenen Gesetz, das noch aus der britischen Kolonialzeit stammt, können "geschlechtliche Aktivitäten gegen die Natur" mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft werden.
Damit geht ein jahrelanges Hick-Hack um die Entkriminalisierung von Homosexualität in eine neue Runde. Noch im Dezember 2013 hatten die Höchstrichter den umstrittenen Paragrafen selbst wieder eingeführt, nachdem er 2009 vom Hohen Gericht in Neu-Delhi abgeschafft worden war (queer.de berichtete). Amnesty International nannte das Urteil vor vier Jahren einen "schweren Schlag gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, gegen die Privatsphäre und die Menschenwürde".
Alles deutet auf einen Sinneswandel hin
Der oberste Gerichtshof gab mit seiner Ankündigung, das Verfahren neu aufzurollen, einer Petition von LGBTI-Persönlichkeiten statt, die sich seit Jahren für die Entkriminalisierung von Homosexualität einsetzen. Bis Oktober soll eine Entscheidung getroffen werden.
Die von den Höchstrichtern veröffentlichte Erklärung deutet auf einen klaren Sinneswandel hin. "Das Recht auf Privatsphäre und der Schutz der sexuellen Orientierung stehen im Mittelpunkt der von der Verfassung garantierten Grundrechte", heißt es in der Begründung zur Überprüfung des früheren Urteils. Die Richter stellten außerdem klar: "Die Garantie verfassungsmäßiger Rechte hängt nicht davon ab, dass ihre Ausübung von der Mehrheitsgesellschaft positiv beurteilt wird." Im August 2017 hatte das oberste Gericht erstmals entschieden, dass es ein verfassungsrechtliches Grundrecht auf Privatsphäre gibt (queer.de berichtete).
Homosexualität ist ein großes Tabu
Homosexualität ist in der indischen Gesellschaft noch immer ein großes Tabuthema, auch wenn es seit der vorübergehenden Legalisierung vermehrt in den Medien behandelt wurde. Immer wieder hetzten hochrangige Politiker gegen Schwule und Lesben. So erklärte der frühere Gesundheitsminister und heutige Oppositionsführer Ghulam Nabi Azad, Homosexualität sei eine "westliche Krankheit" (queer.de berichtete).
Das Verbot von Homosexualität war 1860 von den britischen Kolonialherren eingeführt worden. Zwischen 1860 und 2009 kam es insgesamt "nur" zu 200 Verurteilungen. Nach der Wiedereinführung 2013 gab es allerdings einen krassen Anstieg der Fälle: Allein 2015 wurden 1.347 Menschen, darunter 14 Frauen und 14 Prozent Minderjährige, nach dem Paragrafen festgenommen. Die Polizei nutzte ihn offenbar zu Einschüchterung und Erpressung (queer.de berichtete).
Im gleichen Jahr hatte das Parlament einen Gesetzentwurf zur Abschaffung des Verbots mit 71 zu 24 Stimmen abgelehnt (queer.de berichtete). (cw)
