Verteidigungsminister Raimundas Karoblis warnt seit seinem Amtsantritt 2016 vor Desinformations-Kampagnen aus Moskau (Bild: Alfredas Pliadis / wikipedia)
Leser der Nachrichtenwebseite des privaten litauischen Fernsehsenders tv3 trauten am frühen Donnerstagabend ihren Augen nicht: In einem Artikel wurde behauptet, Verteidigungsminister Raimundas Karoblis habe zugegeben, schwul zu sein.
Dem 49-Jährigen, der mit einer Frau verheiratet ist und zwei Kinder aufzieht, wurde in dem Artikel zugleich vorgeworfen, einen namentlich benannten Radio-Journalisten sexuell belästigt zu haben. Auch berichteten acht Diplomaten anonym, der Minister habe sie belästigt.
Der Artikel war ganze fünf Minuten online – und erschien nach Angaben des Senders neun Minuten, nachdem Hacker in das System eingedrungen waren. Ermittlungen liefen noch, aber der in halbwegs korrekter litauischer Sprache verfasste Artikel sei von Unbekannten mit einer IP-Adresse aus St. Petersburg hinterlassen worden.
Der Sender bat um Entschuldigung, dass "falsche und diffamierende Informationen" publiziert wurden, und hat die Staatsanwaltschaft eingeschaltet.
Ministerium beklagt virtuellen Krieg
Vita Ramanauskaite, eine Sprecherin des parteilosen Ministers, sprach von "einem weiteren Beweis, dass wir unter den Bedingungen einer konstanten Informations-Kriegsführung leben und jeder ein Ziel von Fake News werden kann". Zeitgleich zum Erscheinen des Artikels hätten Regierungsmitarbeiter, Ministerien und Botschaften eine Massen-Email erhalten, die einen Link zu dem gefälschten Bericht enthielt.
Trotz des Dementis wird die Meldung in einigen anonymen Internet-Foren weitergesponnen. In den letzten Wochen waren mehrfach gefälschte Nachrichten zur litauischen Politik im In- und Ausland aufgetaucht, berichtet das Portal delfi.lt. Letztes Jahr hätten die Geheimdienste des Landes davor gewarnt, dass Russland mit Desinformationskampagnen gegen die Stationierung von Nato-Kräften Stimmung machen wolle. Verteidigungsminister Karoblis hatte damals gegenüber dem "Guardian" russische Propaganda als "Bedrohung" bezeichnet und die Lage mit der in der Ukraine vor der Krim-Annektierung verglichen.
Destabilisierende Propaganda samt Homophobie
Vor dem Umsturz in der Ukraine war der Kampf gegen eine EU-Annäherung des Landes auch mit Homophobie geführt worden: So gab es etwa 2013 eine Fake-Demo angeblicher LGBTI-Aktivisten, die sich als dafür bezahlte Obdachlose herausstellten (queer.de berichtete); Plakate im gleichen Jahr in Kiew, die vorgeblich bejubelten, dass mit der EU die Homo-Ehe komme, und Teilnehmer einer homofeindlichen Demonstration vor der deutschen Botschaft stammten von einer russland-nahen Organisation (queer.de berichtete). Auch in weiteren osteuropäischen Staaten spielten russische und russland-nahe Medien und Organisationen direkt und indirekt mit Homophobie, kämpften pro-russische Politiker für Gesetze gegen "westliche" Homosexualität.
Ein russland-nahes Thinktank unterstützte 2013 die französische Bewegung "Manif pour tous" und eine Konferenz des Magazins "Compact" gegen LGBTI-Rechte in Leipzig (queer.de berichtete), während vor allem Russlanddeutsche als "besorgte Eltern" die ersten Proteste gegen eine angebliche Frühsexualisierung in Bildungsplänen starteten, die später teilweise von der deutschen "Demo für alle" übernommen wurden – bei vielen der Proteste waren russische Inlands- und Auslandsmedien dabei. Medien wie Sputnik stürzen sich überbetonend auf Konflikte und Parteien und Bewegungen am Rande westlicher Gesellschaften, um deren gesellschaftliche Mitte und Politik zu destabilisieren.
Zu den Anzeigen, die russische Hacker im amerikanischen Wahlkampf bei Facebook schalteten, gehörte auch eine der angeblichen Gruppe "LGBT United" – beworben wurde ein Ausmalbuch, das Bernie Sanders als oberkörperfreien Muskelhelden zeigte. Die Anzeige behauptete, dass das Clinton-Lager Hasskommentare über ihn und seine Anhänger verbreitete. Die Anzeige wurde für nicht mal zwei US-Dollar allerdings nur 848 mal angezeigt.
Korrektur: In diesem Artikel stand zunächst, die Falschmeldung sei auf lettisch verfasst gewesen; gemeint war litauisch.