Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg (Bild: Cedric Puisney / flickr / by-nd 2.0)
Der Europäische Gerichtshof hat am Donnerstag entschieden, dass Asylbewerber bei der Prüfung ihres Antrags keinem psychologischen Test ihrer sexuellen Orientierung unterzogen werden dürfen. Ein solcher Test stelle einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Privatleben des Asylbewerbers dar, urteilten die Luxemburger Richter (Rechtssache C-473/16).
Im vorliegenden Fall hatte im April 2015 ein nigerianischer Staatsangehöriger bei den ungarischen Behörden einen Asylantrag gestellt und diesen damit begründet, dass er befürchte, in seinem Herkunftsland wegen seiner Homosexualität verfolgt zu werden. Obwohl die ungarischen Behörden in seinen Angaben keine Widersprüche feststellten, wiesen sie seinen Antrag mit der Begründung ab, dass das von ihnen in Auftrag gegebene psychologische Gutachten zur Exploration der Persönlichkeit des Asylbewerbers die von diesem angegebene sexuelle Orientierung nicht bestätigt habe.
Der Asylbewerber klagte, dass die psychologischen Tests im Rahmen dieses Gutachtens eine schwerwiegende Beeinträchtigung seiner Grundrechte darstellten und es nicht ermöglichten, die Plausibilität seiner sexuellen Orientierung einzuschätzen. Das mit der Klage befasste ungarische Verwaltungsgericht legte dem Gerichtshof die Frage vor, ob und wie diese Gutachten rechtlich einzuschätzen seien.
Urteil: "Intimste Lebensbereiche" sind Tabu
Behörden dürften zwar Gutachten in Auftrag geben, die prüften, ob Asylbewerber eine besondere Schutzbedürftigkeit hätten, urteilten nun die Richter des EuGH. Diese Gutachten müssten allerdings mit der Charta der Grundrechte der EU und der darin vorgeschriebenen Wahrung der Menschenwürde und dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens in Einklang stehen.
Auslegungen des Rechts der Luxemburger Richter sind für alle Gerichte in EU-Ländern bindend
Die Richter betonten, dass legitime Gutachten, die nicht die einzige Grundlage für eine Entscheidung sein dürften, denkbar seien, betonten aber, dass bereits die Zwangslage der Asylbewerber deren geforderte Freiwilligkeit konterkarierten und es daher einen Eingriff in das Recht des Asylbewerbers auf Achtung seines Privatlebens darstelle, wenn zur Bestimmung seiner sexuellen Orientierung ein psychologisches Gutachten eingeholt wird, das zudem "begrenzt zuverlässig" und "nicht unverzichtbar" sei.
Behörden könnten stattdessen mit zu dem Thema "kompetenten Personal" die Glaubhaftigkeit der Aussagen von Asylbewerbern prüfen, ohne in deren "intimste Lebensbereiche" einzudringen, empfahl das Gericht.
Rechte queerer Refugees weiter ausgebaut
In deutschen Asylverfahren spielen entsprechende Gutachten vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und vor Gerichten nach Angaben des LSVD keine Rolle mehr. Bereits 2014 hatte der EuGH das Recht auf Privat- und Intimsphäre queerer Asylbewerber betont und dieses Urteil jetzt konkretisiert (queer.de berichtete). 2013 hatte das Gericht geurteilt, dass Schwule und Lesben eine "soziale Gruppe" sind, die bei Verfolgung in der Heimat EU-weit Anspruch auf Asyl haben, und dass nicht von ihnen verlangt werden kann, in ihrer Heimat ihre sexuelle Orientierung geheim zu halten (queer.de berichtete).
Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte mehrfach zu queeren Flüchtlingen geurteilt. 2016 verurteilte das Gericht etwa Ungarn, weil es einen schwulen Asylbewerber in Aufnahmehaft genommen hatte (queer.de berichtete). (cw)