
https://queer.de/?30529
Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus
Weiße Flecken auf der Landkarte der Erinnerung
Stolpersteine leisten einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der NS-Verbrechen – doch noch immer nicht in allen Städten wird der schwulen Opfer gedacht.

Seit 25 Jahren erinnern Stolpersteine – wie hier in Kreuztal-Kredenbach im Siegerland – an Opfer des Nationalsozialismus. Alfred Freudenberg wurde 1945 nur wenige Monate vor der Befreiung wegen seiner Homosexualität im KZ Dachau ermordet (Bild: Jürgen Wenke / Rosa Strippe e.V.)
- Von Manuel Izdebski
27. Januar 2018, 08:48h 5 Min.
Stolpersteine, die an das Schicksal der im Nationalsozialismus verfolgten Menschen aufmerksam machen, sind heute in vielen Städten ein fester Bestandteil der Erinnerungskultur. Inzwischen hat der Kölner Aktionskünstler Gunter Demnig 64.000 dieser Steine verlegt.
Zumeist werden die Stolpersteine mit den ermordeten Juden in Verbindung gebracht, tatsächlich aber können sie allen Opfergruppen gewidmet werden. Mit den Steinen möchte Gunter Demnig den Opfern der Verfolgung den Namen zurückgeben, der ihnen von den Nazis im KZ genommen und durch eine Nummer ersetzt wurde. Zugleich muss man sich vor einem Stolperstein verbeugen, will man die Inschrift lesen – eine Verbeugung vor den Toten.
Mittlerweile sind einige Initiativen entstanden, die sich um das Andenken der in der Zeit von 1933 bis 1945 verfolgten Schwulen kümmern. Rund 50.000 Männer wurden im Dritten Reich aufgrund des Paragrafen 175 verfolgt. Über die Anzahl der ermordeten Homosexuellen gibt es bis heute keine genauen Erkenntnisse. "Die Forschung dazu ist noch lückenhaft", sagt der Dortmunder Historiker Dr. Frank Ahland, "Wir gehen von fünftausend bis fünfzehntausend Toten aus."
Ahland gehört zu den wenigen Wissenschaftlern, die in Deutschland speziell zur Geschichte der Homosexuellenverfolgung forschen. Mit einer Anschubfinanzierung der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld beleuchtet er gerade die Verfolgungspraxis im Ruhrgebiet. Die durch seine Arbeit gewonnenen Erkenntnisse sorgten zuletzt für die Verlegung von Stolpersteinen in Dortmund und Witten.
Jürgen Wenke sorgte für 30 "schwule" Stolpersteine in NRW

Gunter Demnig und Jürgen Wenke bei der Stolpersteinverlegung am 15. Dezember 2017 im Siegerland
Ein Beispiel für ehrenamtliches Engagement ist der Bochumer Jürgen Wenke, der sich für den Verein "Rosa Strippe" seit zehn Jahren auf Spurensuche begibt. Im Laufe der Zeit hat er für 30 Stolpersteine in ganz NRW gesorgt, die an verfolgte schwule Männer erinnern. In akribischer Kleinarbeit wertet er die Totenbücher der Konzentrationslager, Gefangenenlisten oder Gerichtsakten aus, um schwule Häftlinge zu entdecken, recherchiert ihre Lebensgeschichte und zeichnet ihre Verfolgung nach.
Kürzlich wurde auf Wenkes Anregung hin der erste Stolperstein im Siegerland für einen homosexuellen Mann verlegt. "Ich habe beobachtet, dass sich in fast allen Städten Initiativen für die Verlegung von Stolpersteinen gebildet haben – aber nur wenige, die an homosexuelle Opfer des Nationalsozialismus erinnern", begründet Wenke sein Engagement in einer Lokalzeitung. Er will, dass die weißen Flecken auf der Landkarte der Erinnerung weniger werden.
Manchmal reicht dafür auch ein Tipp an eine andere Organisation. So wurde die Aidshilfe im Kreis Unna durch Wenke auf das Schicksal eines schwulen KZ-Häftlings aufmerksam gemacht, der aus Unna stammte. Dort wurde der Hinweis dankbar aufgenommen und weiter recherchiert. Im Februar soll nun der erste Stolperstein dieser Art im Landkreis verlegt werden.
Die meisten Steine, die zum Gedenken an verfolgte Schwule innerhalb einer Stadt erinnern, dürften sich in Hamburg befinden. Dort hat sich schon vor Jahren eine kleine Gruppe um den Historiker Ulf Bollmann gebildet, um das Schicksal der "175er" in der Hansestadt zu erforschen. Mehr als 300 Steine sind in der norddeutschen Metropole allein schwulen Männern gewidmet. Auch in Berlin und Köln beteiligt man sich rege am Erinnerungsprojekt.
In München sind Stolpersteine verboten
Ganz anders in der bayerischen Landeshauptstadt München. Dort untersagt die Stadtverwaltung bis heute grundsätzlich alle Stolpersteine auf öffentlichem Grund und Boden. Die weigernde Haltung der Stadtoberen sorgt bundesweit für Kopfschütteln und erinnert zugleich an den Anfang des Projektes von Aktionskünstler Gunter Demnig. Der musste 1995 den allerersten Stolperstein, der den verschleppten Sinti und Roma gewidmet war, ohne behördliche Genehmigung bei Nacht und Nebel ins Pflaster vor dem ehrwürdigen Rathaus der Stadt Köln einlassen. In der Stadtverwaltung missbilligte man die illegale Aktion, traute sich aber nicht, den Stein wieder zu entfernen.
Das war die Geburtsstunde der Stolpersteine, die seither in vielen Städten und Gemeinden an die verfolgten Mitbürger_innen erinnern – heute allerdings mit ausdrücklicher Unterstützung der öffentlichen Verwaltung, wenn man von München und einigen kleineren Orten absieht.
Zur Ehrenrettung Bayerns muss angeführt werden, dass mit Albert Knoll, dem Archivar der Gedenkstätte Dachau, eine echte Koryphäe im Freistaat ihren Dienst tut. Jahrelang hat er systematisch die schwulen Häftlinge des Konzentrationslagers aufgespürt und ihr Schicksal erforscht. Vermutlich sind viele Stolpersteine in anderen Städten auch das Ergebnis seiner verdienstvollen Arbeit. Meriten hat sich ebenfalls Rainer Hoffschildt erworben, der seit mehr als 25 Jahren zur Homosexuellenverfolgung forscht und vermutlich über die größte Datenbank schwuler Häftlinge verfügt.
Totgeschlagen – totgeschwiegen
Im Gedenken an die Opfer des nationalsozialistischen Terrors spielten homosexuelle Männer lange Zeit keine Rolle. Schließlich hatte die Bundesrepublik den von den Nazis verschärften Paragrafen 175 übernommen. Erst im Jahre 1969 wurde die Strafbarkeit homosexueller Handlungen unter erwachsenen Männern im Zuge einer Gesetzesreform aufgehoben. Der damalige Justizminister und spätere Bundespräsident Gustav Heinemann musste das Vorhaben gegen den erbitterten Widerstand der Kirchen durchsetzen.
Bis schwule Männer staatlicherseits als Opfer des NS-Regimes überhaupt Erwähnung fanden, sollten weitere 16 Jahre vergehen. Es war Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der im Jahre 1985 aus Anlass seiner legendären Rede zum 40. Jahrestag der Beendigung des Krieges erstmals auch an die verfolgten Schwulen erinnerte.
Ob der heutige "Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus" dem Schicksal der schwulen Männer gerecht wird, darf gegensätzlich diskutiert werden. Schließlich setzte sich ihre Kriminalisierung und Verfolgung für Jahrzehnte in der jungen Bundesrepublik fort. Ein Historiker formulierte treffend: "Für schwule Männer endete das Dritte Reich erst im Jahre 1969." Wie schwer sich der Staat auch heute noch mit dem offiziellen Gedenken tut, beweist eine seit Jahren von verschiedenen Aktivisten erfolglos betriebene Initiative, die offizielle Feier im Deutschen Bundestag den verfolgten Schwulen zu widmen (queer.de berichtete).
Was das Präsidium des Bundestages nicht zu leisten vermag, besorgen die schwulen Geschichtsforscher mit ihrem Engagement für das Erinnerungsprojekt der Stolpersteine vor Ort in den Städten. Sie gedenken der verfolgten Männer und leisten zugleich einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen.
