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Reportage

Wie homophob sind Berlins muslimische Gemeinden?

Mit der Gesprächsreihe "Islam meets LGBTI" wollen Aktivist*innen mit Imamen und Moscheegemeinden über Homophobie reden. Zu Besuch bei einem nicht ganz einfachen fünften Treffen.


Imam Ferid Heider (rechts) erläuterte die konservativen Positionen, die in der Gemeinde vorherrschen (Bild: Markus Kowalski)

  • Von Markus Kowalski
    8. Februar 2018, 19:10h 141 4 Min.

Alle ziehen sich die Schuhe aus und laufen in Socken auf dem weichen Teppichboden des Gebetsraums. Die Moscheegemeinde des "Interkulturellen Zentrums für Dialog und Bildung e.V." (IZDB) hat an diesem Mittwochabend ihre Pforten für LGBTI-Aktivist*innen geöffnet, um über Homophobie unter Muslimen zu reden. Es soll eine respektvolle Annäherung werden, in der trotz radikaler Gegensätze moderat diskutiert wird.

Das Führungskräfte-Netzwerk "Leadership Berlin" organisierte schon zum fünften Mal die Diskussionsveranstaltung "Islam meets LGBTI", bei der jedes Mal Vertreter*innen von Berliner Moscheegemeinden auf LGBTI-Aktivist*innen treffen. An diesem Tag kommen rund 30 Personen im Stadtteil Wedding zusammen – weniger als erwartet. In der Gemeinde gehen zum Freitagsgebet nach eigenen Angaben bis zu 1.000 Gläubige; zur Diskussion mit den Queer-Aktivisten kommen nur ein paar von ihnen, darunter zwei Imame der Moschee.

Zunächst stellen sich alle mit Namen vor. Doch dann wird die Runde prompt unterbrochen: "Allahu Akbar", Gott ist groß, singt der Muezzin durch die Lautsprecher und ruft zum Gebet. Da sich an diesem Tag alle in ihrer Lebenswelt ein Stück näher kommen sollen, geht die Gruppe gemeinsam ein Stockwerk höher zum Abendgebet. Rund 60 Muslime beten auf dem Teppichboden, die LGBTI-Vertreter*innen sitzen hinten auf Plastikstühlen und schauen zu.


Beim Abendgebet dürfen die LGBT-Aktivist*innen zuschauen (Bild: mk)

Anschließend geht die Gruppe wieder zurück in den Diskussionsraum. Von den Gemeindemitgliedern, die zum Gebet gekommen sind, schließt sich aber kaum jemand an.

Angst vor "Lobby der Homosexuellen"

Nun eröffnet Ferid Heider, der als Imam unter anderem in der IZDB-Moschee tätig ist, die Diskussion. Er erklärt, welche theologische Position in der Gemeinde vorherrscht: "Das eigentliche theologische Problem ist, dass Homosexuelle versuchen, ihre Sexualität der Gemeinde aufzuzwingen und Homosexualität als Alternative zur Familie zu etablieren", sagt er. "Ich hatte auch schon zwei Muslime, die das ausgelebt haben, und dann mit Gewissensbissen zu mir gekommen sind." Er habe ihnen gesagt, dass sie ihre "ausgelebte Homosexualität" jederzeit bereuen und trotzdem Muslime seien können. "Du solltest das bloß nicht an die große Glocke hängen, das ist eine Sache zwischen dir und Gott", habe er den schwulen Gemeindemitgliedern im Seelsorge-Gespräch geraten. Heider befürchtet, dass Muslime, wenn sie sich einmal geoutet haben, von der Gemeinde abgelehnt werden und dann nicht mehr im Gemeindeleben aktiv tätig sein können.

Die "Argumente", die an dem Abend von den muslimischen Vertreter*innen geäußert werden, erinnern sehr an das, was man von konservativen Vertreter*innen der evangelischen und katholischen Kirche bereits kennt. Darunter auch die Sorge, dass die Familie als "Keimzelle der Gesellschaft" gefährdet sei, dass "Gender-Fragen" überhand nehmen oder dass "die Lobby der Homosexuellen auf sensible Bereiche der Bildung" Einfluss nehmen könnte.


Imam Faical Salhi (Bild: mk)

Die anwesenden LGBT-Vertreter*innen kritisieren, dass genau solche Aussagen homophobe Gewalttaten provozieren. Imam Faical Salhi räumt ein: "Keine Frage, wir müssen die Leute in unserer Gemeinde über Homosexualität aufklären, da haben wir noch Probleme."

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Ein Austausch unter Minderheiten

Schließlich werden sich alle bewusst, dass beide anwesenden Gruppen, Muslime und Homosexuelle, als Minderheit in dieser Gesellschaft Diskriminierung ausgesetzt sind. Der CDU-Politiker Jens Spahn, die AfD oder neurechte Bewegungen und Medien versuchten immer wieder, beide Gruppen gegeneinander auszuspielen. Deswegen macht ein Muslim einen Vorschlag: "Wir sollten unsere theologische Meinung zu Homosexualität zurückstecken, um des gesellschaftlichen Friedens der Minderheiten im Land willen." Ein Vertreter der LGBTI-Community legt nach: "Wir müssen Muslime gleich behandeln und die gleichen Maßstäbe ansetzen wie an orthodoxe Christen oder orthodoxe Juden." Solange man fair mit Muslimen umgehe, sei auch scharfe Kritik an den homophoben theologischen Positionen erlaubt.

Insgesamt verläuft die Diskussion aber moderat. Beide Imame betonen immer wieder, dass sie persönlich nichts gegen Homosexuelle hätten. Scharfe Kritik an ihren Aussagen, wie dem seelsorgerlichen Rat an Lesben und Schwule, ihre Sexualität im Geheimen auszuleben, bleibt aber aus. Ebenso fehlt der Appell an die Imame, mit ihrer Rolle als moralische Instanz in der Gemeinde für eine offene Stimmung zu werben, in der sich Homosexuelle ein Coming-out trauen. Denn, das müssen auch die Imame im Anschluss zugeben: Bislang hat sich in dieser Gemeinde niemand geoutet.


Der Austausch findet regelmäßig statt (Bild: Leadership Berlin – Netzwerk Verantwortung e.V.)

"Muslim-Sein und Queer-Sein sollten keine Gegensätze sein, es gibt ja queere Muslime", kritisiert der jüdische Aktivist Armin Langer, der ebenfalls teilnimmt, die Zusammenstellung der eingeladenen LGBTI-Aktivist*innen: "Man hätte Moscheen und migrantische Vereine einladen können, wie zum Beispiel Gladt e.V. oder den Liberal-Islamischen Bund, die queeren Menschen gegenüber offen sind. Die Veranstaltung fand ich trotzdem wichtig, besonders in Zeiten des Rechtsrucks ist ein Zusammenhalt von stigmatisierten Gruppen wie queeren und muslimischen Menschen erstrebenswert."

Organisator Bernhard Heider verteidigt anschließend gegenüber dem Reporter nochmals seine diplomatische Strategie: "Wir gehen mit der Gegenseite den Weg der kleinen Schritte." Es sei wichtig, mit den muslimischen Vertreter*innen überhaupt ins Gespräch zu kommen. Eine solche Diskussionsveranstaltung sei für manche Moscheegemeinden schon ein großer Schritt, der intern heftig diskutiert werde. Er sei froh darüber, dass am selben Tag bereits die nächste Moscheegemeinde ihre Bereitschaft erklärt habe, eine LGBTI-Gruppe zu empfangen.

#1 goddamn liberalAnonym
  • 08.02.2018, 20:24h
  • Man muss zwischen dem Islam, der auf der Grundlage des Korans nicht homophober ist als Judentum und Christentum, und bestimmten reaktionären orientalischen Traditionen unterscheiden.

    Zu letzteren gehören sowohl die Todesstrafe, etwa in Saudi-Arabien, als auch die verbreitete (Not-)Homosexualität aufrund strikter Geschlechtertrennung. Deswegen war der Imam wohl so sehr auf das Sexuelle konzentriert.

    Gerade säkularen Sunniten und Aleviten ist das Konzept schwuler und lesbischer Liebe sicher gut vermittelbar. Das bedingt aber eine Offenheit für humanistische Werte und Aufklärung, ob sie nun aus linksnational-kemalistischen, säkular-iranistischen oder kurdisch-marxistischen Quellen kommen, ist dabei nicht so wichtig.

    de.wikipedia.org/wiki/Halide_Edib_Ad%C4%B1var

    de.wikipedia.org/wiki/Ahmad_Kasravi

    de.wikipedia.org/wiki/Adnan_Ad%C4%B1var

    Eigentlich unterscheidet sich die Problemlage auch hier nicht wesentlich von Diskussionen mit Evangelikalen oder Opus-Dei-Leuten.

    Sie bringen nicht allzu viel.
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#2 Sven100Anonym
  • 08.02.2018, 21:54h
  • Der Kern des Problems ist, dass von moslemischen Männer erwartet wird, dass sie eine Familie gründen und Kinder haben. Im Islam gibt es die strenge Teilung zwischen Mann und Frau. Beide haben ihre Rolle, die die Gesellschaft von ihnen erwartet, auszufüllen. Homosexuelle, die nicht eine Frau heiraten und keine eigenen Kinder zeugen "verraten" ihre Mitmänner in den Augen der konservativen Moslems. So wird es seit über 1000 Jahren im Islam gehandhabt. Der Islam bestraft nicht das, was diskret ("im Dunkel der Nacht") geschieht.
    Ebenso sind tiefe Freundschaften zwischen Männern möglich, aber immer unter der Voraussetzung, dass ein Mann durch die Zeugung von Kindern bewiesen hat, dass er ein "richtiger Mann" ist. Ein Leben nach modernem westlichen Vorbild, also eine Zweierbeziehung von zwei Männern ohne Kinder, ist für Moslems so gut wie nicht möglich. Nur ganz vereinzelt leben einheimische Homosexuelle ihr Leben, hauptsächlich in Großstädten wie Istanbul, wo sie im früheren Europäerviertel Beyolu ihr Leben weitgehend ungestört leben dürfen. Dies ist in etwa vergleichbar mit dem Prenzlauerberg in Ostberlin zu Zeiten der DDR. Auch dort gab es einen Freiraum für Menschen, die anderswo nicht integrierbar waren.
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#3 PatriarchinEhemaliges Profil
  • 08.02.2018, 22:15h
  • Antwort auf #2 von Sven100
  • Es geht ja nicht um in erster Linie Männlichkeit, sondern das die Familie über die männliche Linie weiter bestehen soll. Wenn ein Mann Brüder hat die Frauen heiraten wollen und/oder Kinder haben, dürfte das ein nicht so großes Problem sein.

    Wenn es das einzige Kind ist, kann ich die Eltern aber schon verstehen.
    An sich dürfte das in diesem Land ja kein Problem mehr sein, denn man darf ja nun Kinder adoptieren, und diese können auch z.B. aus Co-Parenting sein, also leibliche Kinder aus Regenbogenfamilien.

    Was die ganze Sache behindert, ist aber immer noch das Verbot von Leihmutterschaft.

    Wenn jemand denn nun absolut keine Kinder haben will, tja da müssen die Eltern dann leider mit leben.
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