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Verfolgungswelle in Ägypten

"Wir fürchten täglich, verhaftet zu werden"

Ein schwuler Student (22) aus Kairo erzählt im Interview mit queer.de, wie dramatisch sich sein Leben in Ägypten durch die staatliche Verfolgung verändert hat.


Nach dem Schwenken von Regenbogenfahnen bei einem Konzert der libanesischen Band Mashrou' Leila in Kairo im letzten September kam es in Ägypten zu einer anhaltenden Welle von Razzien, Verhaftungen und Verurteilungen (Bild: flickr / Maya-Anaïs Yataghène / by 2.0)

Ahmed*, du warst im September auf dem Konzert von Mashrou' Leila, der libanesischen Band mit dem schwulen Sänger, in Kairo. Wie hast du es erlebt?

Das Konzert war toll, bis die Flagge gehisst wurde. Ich hörte, wie manche Typen sagten: "Oh, das ist doch die Regenbogen-Flagge, das Symbol der schwulen Huren" und andere Schimpfwörter nutzten. Aber selbst direkt nach dem Konzert war es noch alles gut.

Was passierte dann?

Schlimm wurde es erst, als die Medien anfingen, darüber zu berichten. Das war schrecklich. Sie sagten immer wieder, dass wir Ägypter eine konservative Gemeinschaft seien und wir so etwas in unserem Land nicht erlauben. Das hat die Stimmung noch angeheizt. Meine Kommilitonen auf der Hochschule haben dasselbe gesagt.

Wie hast du die Verfolgung von Schwulen erlebt?

Nach dem Konzert waren plötzlich mehr Polizisten auf Gay-Dating-Apps unterwegs und haben versucht, Schwule in die Falle zu locken. So ist es auch einem Typen passiert, den ich vor langer Zeit mal für ein Date getroffen habe. Über Freunde habe ich erfahren, dass er kürzlich verhaftet wurde. Er ist jetzt mindestens drei Jahre in Haft.

Wie hat sich dein Leben seit dem Konzert verändert?

Die ersten Tage danach waren entsetzlich! Viele meiner Freunde haben lange den Kontakt zu mir abgebrochen. Wir fürchten täglich, verhaftet zu werden.

Wieso?

Jetzt kann es passieren, dass man auf der Straße von einem Polizisten angehalten wird und der das Handy durchsucht. Alle schwulen Apps sind verboten. Wenn ein Polizist eine solche App findet, dann werde ich verhaftet. Es reicht auch schon ein Chat mit Freunden, auf dem ich mich positiv zu Homosexualität äußere, oder Bilder vom Konzert von Mashrou' Leila. Auch Heteros, die mit uns sympathisieren, müssen mit einer Verhaftung rechnen.

Wie schützt du dich jetzt?

Ich habe alle Fotos und Chats auf meinem Handy gelöscht. Jetzt habe ich zwei Mobiltelefone, eins mit den Geheimnissen, das ich niemals mit nach draußen nehme, und ein zweites, das sauber ist, was ich außerhalb des Hauses benutzen kann.

Wer hat die Hetze gegen Schwule angeheizt?

Nicht nur die Medien. Es gab auch Polizisten, die mitgemacht haben. Einer hat auf dem offiziellen Polizei-Kanal ein Video gepostet. Darin sagt er: "Schwul oder homosexuell zu sein ist keine persönliche Angelegenheit, sondern ein Verbrechen, und wir werden so etwas nicht dulden."

Direktlink | Hass im Polizeikanal: "Homosexualität ist ein Verbrechen"
Datenschutz-Einstellungen | Info / Hilfe

Hast du selbst Gewalt erfahren?

Ja, aber das war noch vor dem Konzert. Letztes Jahr im April habe ich einen Typen für ein Date getroffen. Ich habe immer noch Angst, wenn ich daran denke. Denn er hat mich mit einem Messer bedroht und gesagt: "Wenn du mir nicht Geld und dein Handy gibst, werde ich die Polizei rufen." Er hat für die gearbeitet.

Was hast du in der Situation getan?

Der Typ hat mein Handy und das Geld, was ich bei mir hatte, genommen. Es war das Schlimmste, was mir je im Leben widerfahren ist. Ich habe mich danach ziemlich erbärmlich gefühlt, weil ich beraubt wurde und nicht die Polizei rufen konnte. Denn wenn sie rausgefunden hätten, dass ich schwul bin und wir ein Date hatten, würden sie mich gleich verhaften.

Wie geht es dir jetzt damit?

Seitdem habe ich nachts immer noch Albträume, obwohl das schon fast ein Jahr lang her ist. Denn der Typ weiß, wo ich wohne. Er könnte immer wieder kommen und mich noch mal erpressen.

Auf welchen Apps warst du unterwegs?

Erst auf Grindr, Hornet, Scruff, später auch Romeo und Tinder.

Wer sind diese Leute, die Schwule erpressen?


Diese Diebe sind meist arme Heteros. Sie wissen, dass wir Schwule Angst vor einem Skandal haben. Also können sie mit uns machen, was sie wollen. Sie können das tun, weil Schwule eine schwache Stellung haben. Kein Gesetz schützt uns.

Denken viele Schwule darüber nach, nach Europa zu fliehen?

Natürlich, viele träumen davon. Aber es ist für uns sehr schwer, auf legalem Wege das Land zu verlassen.

Und du?

Ich habe auch schon über Asyl nachgedacht. Aber ein Anwalt sagte mir, dass der Asylprozess in Deutschland sehr lang und kompliziert ist und ich möglicherweise drei Jahre auf eine Entscheidung warten muss. Und was mache ich, wenn ich nicht angenommen werde? Dann müsste ich zurück nach Ägypten und was würde mich da erwarten! Also habe ich beschlossen, erst einen Abschluss an der Uni zu machen. Danach habe ich vielleicht eine Chance, legal auszureisen.

Was müsste politisch passieren, um euch zu helfen?

Die Regierungen der westlichen Staaten, die immer die Menschenrechte hochhalten, müssen uns jetzt helfen. Es muss einfacher werden, einen Asylantrag zu stellen. Warum öffnen die Staaten Europas nicht in ihrer Botschaft in Ägypten ein Büro, zu dem Schwule gehen und sicher Asyl beantragen können?

* Um seine Identität zu schützen, nennen wir nicht Ahmeds vollen Namen.

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#1 RobinAnonym
  • 18.02.2018, 10:22h
  • Schlimm.

    Und es ist ein Skandal, dass Union und SPD sich weiterhin weigern, ein generelles Asylrecht für verfolgte LGBTI zu schaffen.

    Und noch schlimmer:
    die machen sogar noch schmutzige Deals mit solchen Regimes und liefern Waffen, Panzer, Überwachungstechnik, etc. in solche Regionen.

    Pfui Union.
    Pfui SPD.
    Und auch pfui FDP, die das zu ihrer Regierungszeit genauso gemacht hat.
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#2 Carsten ACAnonym
  • 18.02.2018, 10:49h
  • Antwort auf #1 von Robin
  • Das stimmt natürlich.

    Aber ich finde es genauso unverständlich, wie noch Leute in solchen Staaten Urlaub machen können. Denn gerade bei solchen Staaten, wo Tourismus ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist, unterstützt man mit sowas direkt die menschenverachtenden, LGBTI-feindlichen Strukturen.

    Und bei LGBTI kommt noch hinzu, dass man sich bei Urlaub dort selbst in große Gefahr begibt.
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#3 PyramidionAnonym
  • 18.02.2018, 11:10h
  • Antwort auf #2 von Carsten AC
  • Ja, das ist vollkommen richtig.

    Ich habe immer davon geträumt, die ägyptischen Kunstschätze mal persönlich zu besuchen und die herausragende alte Kultur zu besichtigen - so lange dort aber der Islam in dieser widerlichen Ausprägung herrscht, werde ich dieses (und ähnlich unterdrückende) Land bzw. Länder nicht betreten.

    Auch ägyptisches bzw. nordafrikanisches Obst/Gemüse kaufe ich nicht, hier spielt auch noch der Umweltfaktor eine Rolle.
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#4 Gerlinde24Ehemaliges Profil
  • 18.02.2018, 11:11h
  • Das mit dem "in die Falle locken" kenne ich schon aus den Sechzigern und Siebzigern. Damals waren es "schwul aussehende Beamte" in den USA, oder an der BYU. Die Folge: Verhaftungen und Selbstmorde wegen der Stigmatisierung (die Namen wurden veröffentlicht).
    Überall, wo Religioten und andere Fanatiker das Sagen haben, werden wir als Sündenböcke gebraucht, an denen man(n) sein Mütschen abkühlen kann.
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#5 Gerlinde24Ehemaliges Profil
#6 FelixAnonym
  • 18.02.2018, 11:19h
  • "Sie sagten immer wieder, dass wir Ägypter eine konservative Gemeinschaft seien und wir so etwas in unserem Land nicht erlauben. [...] Meine Kommilitonen auf der Hochschule haben dasselbe gesagt."

    Das ist das schlimme.

    Selbst die jüngeren Generationen sind extrem fundamentalistisch und homophob. Es wird sich also auch in Zukunft nichts ändern.

    Ich kann nur allen LGBTI aus solchen Barbaren-Staaten raten, sich - falls irgend möglich - zivilisiertere Staaten zum Leben zu suchen.

    Und ich hoffe, dass es auch Staaten gibt, die solche Menschen aufnehmen und ihnen ein Leben in Freiheit und Sicherheit ermöglichen, statt einem Leben in ewiger Angst.
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#7 FelixAnonym
  • 18.02.2018, 11:23h
  • Antwort auf #5 von Gerlinde24
  • "Nicht nur keinen Urlaub da machen, sondern als Politiker ihnen auch die Knete streichen, so lange, bis sie aufhören!"

    Volle Zustimmung.

    Aber das sehen CDU, CSU und SPD leider anders. Zum Aufbessern ihrer Bilanz und dem Polieren des Staatshaushalts ist denen jedes Mittel recht. Für den Machterhalt gehen die über Leichen - im wahrsten Sinne des Wortes.

    Richtig pervers wird es dann, wenn die SPD dann auch noch was von Menschenrechten, Frieden, etc. labert, obwohl sie (dort wo es dem deutschen Staatshaushalt nützt) das genaue Gegenteil unterstützen.
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#8 FelixAnonym
  • 18.02.2018, 11:27h
  • Antwort auf #3 von Pyramidion
  • "Auch ägyptisches bzw. nordafrikanisches Obst/Gemüse kaufe ich nicht, hier spielt auch noch der Umweltfaktor eine Rolle."

    Vielen Dank für diesen Hinweis. Da hatte ich gar nicht dran gedacht, dass es neben dem Tourismus ja noch andere Dinge gibt, wie jeder einzelne von uns etwas tun kann.

    Und wenn das genug Menschen tun, kann man durchaus etwas bewegen - siehe damals der Boykott von Barilla oder auch viele Jahre zuvor von Shell (Stichwort: Brent Spar), wo die Verbraucher Miliarden-Konzerne in die Knie gezwungen haben.

    Man könnte z.B. auch Supermärkte die Lebensmittel aus diesen Regionen verkaufen, generell meiden und ihnen auch mitteilen, warum man das tut.
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#9 PierreAnonym
  • 18.02.2018, 11:31h
  • Antwort auf #4 von Gerlinde24
  • "Überall, wo Religioten und andere Fanatiker das Sagen haben, werden wir als Sündenböcke gebraucht, an denen man(n) sein Mütschen abkühlen kann."

    Ja, leider wahr.

    Religion kann nur durch Unterdrückung, Bevormundung und das Schüren von Hass funktionieren.

    Nur Menschen, die unglücklich sind brauchen irgendwelche Heilsprediger. Und die müssen ihren Anhängern einen gemeinsamen Feind und das "wahrhaft Böse" präsentieren, um ihnen Angst zu machen und sie auf Linie zu bringen.
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#10 Julian SAnonym
  • 18.02.2018, 11:40h
  • Ich werde niemals verstehen, wie man Menschen aufgrund derer einvernehmlichen Liebe hassen und gar verfolgen kann.

    Die Beschreibungen dieses armen Studenten erinnern mich sehr an die Lage in Deutschland im Dritten Reich.

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    Ich habe auch schon über Asyl nachgedacht. Aber ein Anwalt sagte mir, dass der Asylprozess in Deutschland sehr lang und kompliziert ist und ich möglicherweise drei Jahre auf eine Entscheidung warten muss. Und was mache ich, wenn ich nicht angenommen werde?
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    Das ist ein Armutszeugnis für Deutschland und alle anderen (angeblich zivilisierten) westlichen Staaten.

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    Die Regierungen der westlichen Staaten, die immer die Menschenrechte hochhalten, müssen uns jetzt helfen.
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    Dafür bräuchte man Anstand und Moral. Aber vielen Regierungen geht es nur um Macht, Geld und ihren persönlichen Vorteil.

    Offenbar hat so ein verfolgter, junger Mensch mehr Anstand als unsere schwarz-rote Bundesregierung, die weiterhin "keinen Handlungsbedarf" sieht.
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