Wie sollen schwule und lesbische Verfolgte aus Marokko, Tunesien und Algerien in Deutschland behandelt werden? (Bild: flickr / bertk212 / by 2.0)
Zwischen den LGBTI-Sprechern der FDP und der Grünen ist es am Mittwoch zu einem Pressemitteilungs-Schlagabtausch um die richtige Politik für verfolgte Schwule und Lesben gekommen, die in Deutschland Zuflucht suchen. Anlass ist ein FDP-Gesetzentwurf, der die Länder Algerien, Marokko und Tunesien als "sichere Herkunftsstaaten" einstufen soll (PDF). Über den Antrag berät der Bundestag am Donnerstagnachmittag in erster Lesung.
"Der Gesetzentwurf der FDP verrät verfolgte Lesben und Schwule in den Ländern Nordafrikas. Wir appellieren dringend an die FDP und vor allem an die Queerpolitiker*innen, diesen Gesetzentwurf zurückzuziehen", erklärten Ulle Schauws und Sven Lehmann, die Sprecher für Queerpolitik in der grünen Bundestagsfraktion. Mit der Einstufung der drei norafrikanischen Länder als "sichere Herkunftsstaaten" würden "die Verfahrensrechte von verfolgten Lesben und Schwulen beschränkt und ihre Chance auf ein Asyl in Deutschland deutlich geringer sein". Das zeigten die Erfahrungen aus Ghana und Senegal – beide Länder lassen ebenfalls Homosexuelle verfolgen, sind aber im deutschen Asylrecht als "sicher" eingestuft.
Sven Lehmann und Ulle Schauws sind die Experten für Queerpolitik in der Grünenfraktion ( Ulle Schauws / twitter)
"Die Vorstellung, dass sich verfolgte Schwule und Lesben direkt bei der Registrierung zum Asylantrag wildfremden deutschen Behördenvertretern als LGBTI offenbaren, ist weltfremd", so Schauws und Lehmann. "Aus der Praxis wird immer wieder berichtet, dass gerade die besonders vulnerablen Asylsuchenden Schwierigkeiten haben, ihre Verfolgungsgründe direkt zu offenbaren." Die Einstufung weiterer Länder als "sichere Herkunftsstaaten" sende "das fatale Signal an verfolgte Minderheiten, dass ihre Menschenrechte nicht geschützt werden". Sollte die FDP ihren Antrag nicht zurückziehen, "disqualifiziert sie sich als Partei, die die Menschenrechte von LGBTI glaubwürdig und verlässlich vertreten kann", so die beiden Grünenpolitiker.
"Die Kritik der Grünen ist scheinheilig"
Die FDP wies die Kritik der Grünen empört als "scheinheilig" zurück. "Deutschland gewährt aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität verfolgten Menschen auch dann Asyl, wenn sie aus 'sicheren Herkunftsstaaten' kommen", behauptete Jens Brandenburg, der FDP-Sprecher für LSBTI. Die Mitarbeiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge würden für diese besonderen Fluchtgründe weiter sensibilisiert werden, "um eine frühzeitige Anerkennung und einen vertrauensvollen Umgang mit den Verfolgten zu gewährleisten". Als FDP fordere man eine "niederschwellige, spezielle Rechtsberatung und Sonderbeauftragte des BAMF mit vertieften LSBTI-Kenntnissen, um verfolgte Lesben und Schwule zusätzlich zu unterstützen".
Jens Brandenburg ist seit dem Wiedereinzug der FDP in den Bundestag Fraktionssprecher für sexuelle und geschlechtliche Minderheiten
Brandenburg wies darauf hin, dass sich auch grüne Spitzenpolitiker wie der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann für eine Einstufung der Maghreb-Staaten als 'sichere Herkunftsstaaten' einsetzten, "um eine deutliche Straffung der Verfahren zu ermöglichen". Das würde all jenen helfen, die dringend Schutz benötigten.
Bundestag beschloss Neueinstufung schon 2016
Im Jahr 2016 hatte der Bundestag bereits mit den Stimmen der Großen Koalition die Anerkennung der Maghrebstaaten als sicher beschlossen (queer.de berichtete). Am Ende scheiterte der Entwurf allerdings im Bundesrat; alle Länder mit Regierungsbeteiligung der Linken oder der Grünen – mit der Ausnahme von Baden-Württemberg – lehnten in der Länderkammer den Antrag ab (queer.de berichtete). Im Koalitionsvertrag zur möglichen neuen Großen Koalition ist erneut vereinbart, die Länder als "sicher" anerkennen zu lassen (queer.de berichtete). Nach heutigem Stand bräuchten die Befürworter neben Baden-Württemberg ein weiteres Bundesland mit linker oder grüner Regierungsbeteiligung, das dem Entwurf im Bundesrat zustimmt.
Im FDP-Antrag ist festgehalten, dass die Folge der Einstufung als sicherer Herkunftsstaat nicht sei, "dass die Asylsuchenden ihren persönlichen Anspruch auf Schutz verlieren, die Einordnung erlaubt aber die Beschleunigung und Vereinfachung des Verfahrens". Weiter heißt es: "Dies geschieht zum einen, indem die widerlegliche Vermutung aufgestellt wird, dass Anträge von Asylsuchenden aus diesen Staaten offensichtlich unbegründet sind […]. Der Asylsuchende hat jedoch die Möglichkeit, die Vermutung zu widerlegen."
LSVD gegen Prädikat "sicher" für Verfolgerstaaten
Viele LGBTI-Aktivisten wie der Lesben- und Schwulenverband sprechen sich gegen die Einstufung von Verfolgerstaaten als "sicher" aus, weil dadurch legitim verfolgte Homosexuelle gefährdet werden würden. Sie werfen Befürwortern der Neueinstufung außerdem vor, dass es ein falsches Signal sende, einem Staat, der offen Homosexuelle verfolgen lässt, das Prädikat "sicher" zu verleihen und damit diese Verfolgung zu bagatellisieren.
"Ein glaubwürdiger Kampf für die Entkriminalisierung von Homosexualität sieht anders aus!", erklärte LSVD-Sprecher Benjamin Rottmann am Donnerstagvormittag anlässlich des FDP-Antrags. Staaten als "sicher" zu deklarieren, die Homosexualität kriminalisieren, stelle Menschenrechtsverfolgern einen Persilschein aus.
Aus allen drei Maghreb-Staaten gibt es Berichte über die Vollstreckung von Urteilen gegen Homosexuelle. Auch die Regierungen zeigen sich offen homophob: Erst vor wenigen Monaten bezeichnete etwa der marokkanische Menschenrechtsminister Mustapha Ramid Schwule und Lesben als "Müll" (queer.de berichtete).
In diesen Staaten werden LGBTI diskriminiert, verfolgt, unterdrückt, gemobbt, inhaftiert und misshandelt.
Und dennoch will die FDP diese Staaten zu sicheren Herkunftsstaaten erklären, um die Flüchtlingsbilanz zu schönen.
Wennn es Ausnahmen für LGBTI gibt (und zwar nicht vom Wohlwollen irgendwelcher Leute abhängig, sondern rechtlich festgelegt und einklagbar), kann man gerne darüber sprechen. Vorher nicht. Also: solange es kein generelles Asylrecht für LGBT gibt, kann man solche Staaten auch nicht zu angeblich "sicheren Herkunftsstaaten" erklären.