Silvio Berlusconi auf dem Weg zurück zur Macht. Auf diesem Bild ist er auf dem Kongress der Europäischen Volkspartei zu sehen, der vergangenes Jahr auf Malta stattfand (Bild: European People's Party / flickr)
Vor der Parlamentswahl in Italien sind LGBTI-Aktivisten frustriert: Nach der mühevollen Einführung von eingetragenen Partnerschaften vor rund zwei Jahren haben selbst Parteien, die sich für Vielfalt einsetzen, wenig Interesse an einer Verbesserung der Situation für geschlechtliche und sexuelle Minderheiten. Dabei hätte Italien das bitter nötig: Laut dem Länderranking "Rainbow Europe", in dem die rechtliche Situation von sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten in Europa verglichen wird, liegt die römische Republik nur auf Rang 32 von 49 europäischen Staaten – und damit noch hinter Ländern wie Ungarn, Kosovo oder Albanien. Viele Themen, wie der Kampf gegen Homophobie oder das Transsexuellenrecht, liegen brach.
Im am Sonntag zu Ende gehenden Wahlkampf spielen Homo-Rechte dabei durchaus eine Rolle, aber nur eine negative: Der Mitte-Rechts-Block, der als Favorit in die Wahlen am Sonntag geht, macht offen Stimmung gegen Rechte von Schwulen und Lesben und spielt mit dem Gedanken, die Lebenspartnerschaften wieder abzuschaffen. Rechtsextremisten nutzen die homophobe Atmosphäre, um Schwule und Lesben einzuschüchtern, etwa bei Verpartnerungszeremonien (queer.de berichtete).
Eigentlich wäre hier eine entschiedene Gegenrede von Bürgerrechts-Verteidigern notwendig. Allerdings schweigen die Mitte-Links-Parteien und die populistische Protestpartei Fünf-Sterne-Bewegung, die laut Umfragen stärkste Einzelpartei werden könnte, zum Thema.
Der homophobe Wahlkampf wird angeführt von der postfaschistischen Partei Fratelli d'Italia (Brüder Italiens) und der Sepratatistenpartei Lega Nord, die Teil des Mitte-Rechts-Bündnisses von Silvio Berlusconis Forza Italia sind. Die Brüder Italiens haben das Land mit Plakaten mit der Aufschrift "Verteidige die traditionelle Familie" überzogen – obgleich die Partei von der alleinstehenden Mutter Giorgia Meloni angeführt wird. Auf diesen Widerspruch angesprochen, erklärte die frühere Jugendministerin gegenüber "La Repubblica", dass man "natürlich Familien verteidigt, nämlich diejenigen, die Kinder auf die Welt bringen". Die Partei versteht es dabei, Homophobie mit Ausländerfeindlichkeit zu verbinden: "Diese natürlichen Familien verdienen Hilfen der Regierung – Flüchtlingsfamilien verdienen diese nicht."
"Kinder haben ein Recht auf einen Vater und eine Mutter"
Die Lega Nord macht ebenfalls offen Wahlkampf gegen Homosexuelle – und wirft ihnen vor, eine Gefahr für Kinder zu sein, obwohl das Lebenspartnerschaftsgesetz noch nicht einmal das Recht auf Stiefkindadoption kennt. "Kinder haben ein Recht auf einen Vater und eine Mutter", ist etwa eine der Standardausführungen von Lega-Chef Matteo Salvini.
Auch Forza-Chef Silvio Berlusconi, der wegen einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung bis 2019 kein politisches Amt antreten darf, erklärte im Wahlkampf, dass er das Lebenspartnerschaftsgesetz "ändern" wolle, um es weniger ähnlich zur Ehe zu machen. In der Vergangenheit war der 81-Jährige bei LGBTI-Rechten sehr beweglich. In seiner Zeit als Ministerpräsident sah er es als persönliche Beleidigung an, für schwul gehalten zu werden. "Es ist besser, leidenschaftlich über schöne Mädchen zu sein, als schwul", sagte er etwa im Jahr 2010 (queer.de berichtete). Später zeigte er sich offen für Lebenspartnerschaften – im Jahr 2014 lobte er etwa die damalige deutsche "Ehe-Light" mit beschränkten Rechten (queer.de berichtete).
Analysten gehen davon aus, dass das Mitte-Rechts-Bündnis wohl die meisten Stimmen auf sich vereinigen kann, aber wohl die absolute Mehrheit knapp verfehlt. Als Favorit auf den Posten des Regierungschefs hat Forza Italia Antonio Tajani nominiert, den aktuellen Präsidenten des Europäischen Parlaments. Der 64-Jährige ließ lange offen, ob er nach Rom zurückkehren will, erklärte sich aber am Freitag via Twitter bereit, "dem Land zu dienen". Der Mitbegründer von Forza Italia fiel in der Vergangenheit wie Berlusconi durch homophobe Sprüche auf. So behauptete er etwa im italienischen Parlament, dass Kinder von gleichgeschlechtlichen Paaren generell "einige psychologische Probleme" hätten und sich nur schwer in die Gesellschaft integrieren könnten (queer.de berichtete).
Der Homo-Gegner Antonio Tajani könnte nächster Ministerpräsident werden
"PD ging der Mut aus"
LGBTI-Aktivisten erwarten wenig vom Mitte-Links-Bündnis, dem bisherigen Motor der Gleichstellung. Im Wahlkampf der sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), die von Ex-Ministerpräsident Matteo Renzi angeführt wird, spielen LGBTI-Rechte kaum eine Rolle. Zwar hat die Partei in ihrem Regierungsprogramm angekündigt, das Adoptionsgesetz zu reformieren, allerdings wurde jegliche Erwähnung von gleichgeschlechtlicher Ehe vermieden. Transpersonen werden erst gar nicht erwähnt, ebensowenig wie der Kampf gegen Homophobie. "Nach dem ersten Schritt [Lebenspartnerschaften] ging der PD wohl der Mut aus", erklärte Sebastiano Secco, der Chef der römischen LGBTI-Organisation Circolo di cultura omosessuale Mario Mieli. "Eigentlich hatten wir von einer Partei, die sich als Fortschrittsmotor beschreibt, mehr erwartet."
Außerdem sind im Mitte-Links-Bündnis auch offen homophobe Partner vertreten, darunter etwa die kleine katholische Partei Civica Popolare, die sich als Vertreter der christlichen Linken versteht – Homo-Rechte werden von ihr strikt abgelehnt.
Nach dem komplizierten neuen Wahlrecht reichen wahrscheinlich 40 Prozent der Stimmen für eine absolute Mehrheit der Sitze im Parlament. Umfragen zufolge kann das Mitte-Rechts-Bündnis aber nur mit 35 bis 38 Prozent rechnen – interessant wird hier, ob es der offen rechtsradikalen Lega Nord gelingen kann, das gemäßigtere Forza Italia einzuholen – laut Umfragen kann die Lega mit 14 Prozent der Stimmen rechnen, während Forza auf 16 Prozent kommt. Das Mitte-Links-Bündnis und die Fünf-Sterne-Bewegung kommen laut den Befragungen auf je 25 bis 28 Prozent.
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