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- 06. Juli 2005 4 Min.
Sieben Jahre war die rot-grüne Bundesregierung am Ruder. Waren es gute Jahre für Schwule und Lesben? Was kommt jetzt?
Von Dennis Klein
Die siegestrunkenen Oppositionsparteien bereiten sich schon auf die Übernahme der Amtsgeschäfte vor - die meisten Kommentatoren stellen Rot-Grün ein miserables Zeugnis aus. Zeit, Bilanz zu ziehen - auch in Punkto Homo-Rechte.
Kritiker bemängeln, dass sämtliche Homo-Projekte der Bundesregierung nach wie vor Baustellen seien. Die Homo-Ehe ist ein Torso mit vielen Pflichten und wenigen Rechten. Die Magnus-Hirschfeld-Stiftung - die das Nazi-Unrecht gegen Homosexuelle zum Thema hatte - ist zwei Mal im Bundestag gescheitert. Das Antidiskriminierungsgesetz, das sich die Regierung bereits in der Koalitionsvereinbarung 1998 vorgenommen hat, ist bis jetzt nicht umgesetzt. Waren die Regierungszeit mit Rot-Grün doch verlorene Jahre?
Bessere politische Atmosphäre für Schwule und Lesben
"Rot-Grün hat eine politische Atmosphäre geschaffen, in der eine Frau (Angela Merkel) und ein Homosexueller (Guido Westerwelle) demnächst das Ruder übernehmen können", meint dagegen "Spiegel"-Autor Charles Hawley. Gerade für Schwule hat sich einiges getan: In den 80er Jahren hat unter Kohl noch selbst der Verdacht auf Homosexualität das Aus bedeuten können; so feuerte 1984 der CDU-Verteidigungsminister Manfred Wörner spektakulär den Vier-Sterne-General Günter Kießling, weil er angeblich in einer schwulen Kneipe in Köln verkehrt habe. Im rot-grünen Deutschland ist Homo-Sex bei der Bundeswehr erlaubt; außerdem werden mit Berlin und Hamburg die zwei größten Städte von (mehr oder weniger offenen) schwulen Bürgermeistern regiert.
Tatsächlich war die Homo-Ehe der größte Coup der Regierung für Schwule und Lesben. Sie machte Homosexuelle genauso bürgerlich wie Hetero-Paare - und damit weitaus weniger bedrohlich für den "Normalbürger". Trotzdem wurde die Eingetragene Partnerschaft vehement von CDU und CSU bekämpft: "Die Ehe ist für uns Leitbild der Gemeinschaft von Mann und Frau, sie ist mit keiner anderen Lebensgemeinschaft gleichzusetzen", begründet CDU-Chefin Angela Merkel ihre Ablehnung. Norbert Geis, rechtspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, formuliert es kürzer: "Ich sehe es als einen Angriff auf die Ehe". Auch die SPD und die damalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin waren skeptisch. Auf Druck der Grünen, insbesondere des schwulen Abgeordneten Volker Beck, beschloss der Bundestag das Lebenspartnerschaftsgesetz mit den Stimmen der Regierung.
Die rot-grüne Schnecke
Rot-Grün war allerdings zu langsam. Die Regierung hatte 2000 die Mehrheit im Bundesrat verloren und musste das Gesetz in zwei Teile splitten - der nicht zustimmungspflichtige Teil trat 2001 ins Kraft; seitdem können sich Schwule und Lesben "verpartnern", gelten als Verwandte und erhalten eine Reihe Rechte und Pflichten. Gleichzeitig scheiterte das Lebenspartnerschaftsergänzungsgesetz, das unter anderem die Angleichung im Steuerrecht enthielt, erwartungsgemäß an der Unionsmehrheit im Bundesrat. Die Bundesländer Bayern, Thüringen und Sachsen klagten sogar gegen die Homo-Ehe, da sie den im Grundgesetz garantierten Schutz der Ehe verletze - das Bundesverfassungsgericht folgte dem nicht.
2004 schob die Regierung noch ein paar nicht zustimmungspflichtige Rechte nach; unter anderem können sich Homo-Paare jetzt verloben und nach einer Eintragung können sie das Kind des Partners adoptieren - warum das nicht schon im Jahr 2000 umgesetzt wurde, blieb das Geheimnis des Gesetzgebers. Das volle Adoptionsrecht, das die FDP-Fraktion gefordert hatte, lehnten SPD und Grüne jedoch ab, da erst "genügend Erfahrungen mit dem neuen Gesetz gemacht" werden müssten, wie Volker Beck argumentierte.
Homo-Ehe bleibt
Die Homo-Ehe ist unumkehrbar. Selbst bei einem Regierungswechsel wolle CDU/CSU das Gesetz beibehalten, wie sowohl Edmund Stoiber als auch Angela Merkel mehrfach beteuerten. Allerdings sagten sie auch, dass die Angleichung - beispielsweise im Steuerrecht - mit ihnen nicht zu machen sei. Die Eingetragene Partnerschaft würde also weiterhin eine Ehe zweiter Klasse bleiben.
Das Antidiskriminierungsgesetz (ADG) ist das zweite umstrittene Großprojekt vom Rot-Grün, das Schwule und Lesben direkt betrifft - es wird sowohl von der Union als auch von der FDP mit harten Bandagen bekämpft. Bereits vor zwei Jahren hat eine EU-Vorgabe gefordert, ein "Rumpf"-ADG umzusetzen, in dem insbesondere Diskriminierung aufgrund von Rasse und Geschlecht verboten werden sollte, in geringerem Maße auch wegen anderer Merkmale wie Behinderung oder sexueller Orientierung. Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) wollte zunächst nur diese Vorgaben umsetzen.
Nach Jahren der Diskussion einigte sich die Koalition schließlich auf ein umfassendes ADG. Wie beim Streit um die Homo-Ehe im Jahre 2000 vermutlich zu spät; damals hatte Rot-Grün die Bundesratsmehrheit verloren, um ein wirklich umfassendes Lebenspartnerschaftsgesetz durchzusetzen - jetzt stehen Neuwahlen ins Haus, und Union und FDP sehen im umfassenden Diskriminierungsverbot einen Job-Killer. Und das, obwohl Großbritannien und die skandinavischen Staaten ebenfalls ein ADG haben und wirtschaftlich weit besser da stehen als Deutschland.
Auch wenn Kritikpunkte an der Regierung bleiben, waren sieben Jahre Schröder doch weit ergiebiger als 16 Jahre Kohl: Die einzige nennenswerte Leistung der unionsgeführten Regierung in punkto Homo-Politik war die Abschaffung des Paragrafen 175 im Jahre 1994 - allerdings nicht aus eigenem Antrieb, sondern weil nach der Wiedervereinigung das Rechtssystem Westdeutschlands mit dem der DDR angeglichen werden musste.
6. Juli 2005
Links zum Thema:
» Rot-Grün: Die Bilanz in Daten












