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Substanzgebrauch in der Community
Wieso Berlin bei der Aufklärung über Chemsex versagt
Bei einer Konferenz kamen am Wochenende Gesundheits-Experten aus ganz Europa zusammen. Sie warnen: In der Hauptstadt wird das Risiko vieler Chems unterschätzt.

Standbild aus der Dokumentation "Chemsex" aus dem Jahr 2015 (Bild: Pro-Fun Media)
- Von Markus Kowalski
25. März 2018, 11:11h 4 Min.

Martin Viehweger (Bild: Praxis Dr. Cordes)
"Natürlich gibt es Leute, die beim Chemsex einfach nur Spaß haben", sagt Martin Viehweger. "Aber es gibt eben auch Menschen, die daran sterben." Der Facharzt für Allgemeinmedizin ist einer der führenden Experten in Berlin für Chemsex. Er will, dass über die Risiken aufgeklärt wird, die Sex auf Drogen mit sich bringen. Deshalb war er am Wochenende auf dem zweitägigen Chemsex-Forum, das erstmals in Berlin stattfand. Rund 100 Experten aus ganz Europa, die für die LGBTI-Community zu gesundheitlichen Risiken beraten, aufklären und behandeln, kamen zusammen. Sie alle sind sich sicher: Ärzte, Beratungsstellen und Psychotherapeuten müssen endlich mehr für die Gefahren von Chemsex sensibilisiert werden.
Dass Sex auf Drogen zahlreiche Nebenwirkungen haben kann, ist bekannt. So ist das Risiko einer Infektion mit HIV, Hepatitis und anderen sexuell übertragbare Krankheiten höher. Es besteht außerdem die Gefahr einer Überdosierung der Substanzen, aber auch Depressionen, Vergewaltigungen und Tod sind möglich. "Ich weiß von 20 Leuten aus Berlin, die im letzten Jahr am Drogenkonsum gestorben sind", sagt Arnd Bächler, Teamleiter Beratung und Therapie der Berliner Schwulenberatung. Es bestehe viel Bedarf an Beratungsangeboten: "Die Leute rennen uns die Tür ein, wir sind total überlastet."
Gefahren von Drogenkonsum würden unterschätzt
"Der Drogenkonsum in Berlin ist verheerend", sagt Bächler. Im weltweit bekannten Club Berghain könne man jede beliebige Droge kaufen, Chemsex-Parties seien selbstverständlich. Viele Substanzen seien verführerisch, viele machten abhängig. "Bei all dem darf man nicht vergessen, wie gefährlich das sein kann", sagt er. "Viele Aktivisten wollen das nicht sehen und hören einfach weg, wenn ich davon erzähle."
Tatsächlich ist Sex auf Drogen zu einer festen Größe in der LGBTI-Community geworden. In schwulen Dating-Apps weisen Nutzer auf ihren Profilen mit Codes darauf hin, dass sie Drogen-Sex wollen: "T" für Tina, ein Synonym für Crystal Meth, aber auch "party and play" oder "chem-friendly" sind die am häufigsten benutzten Hinweise. Unter den vielen beliebten Substanzen ist neben Crystal Meth auch GBL/GHB beim Chemsex am gefährlichsten. GBL, auch "Liquid Ecstasy" genannt, fördert die Sexlust, kann aber schnell überdosiert werden und zum Atemstillstand führen.
"Ich will keine Angst schüren", sagt Bächler. Er fordert aber, dass sich die Berliner Landespolitik endlich bewegt. "Es braucht jemandem im Senat, der sich für das Thema zuständig fühlt", sagt er. Denn es müssten mehr Stellen für Beratungsangebote gefördert werden. Ebenso sei ein stationäres Angebot für Chemsex-Therapien in einer Klinik nötig, da der Entzug bei harten Drogen wie Crystal Meth ambulant nicht mehr möglich sei. Beratungsstellen müssten, wenn sie Patienten auf sexuell übertragbare Krankheiten testen, selbstverständlich auch erfragen, welche Substanzen derjenige konsumiert – natürlich vorurteilsfrei und auf Augenhöhe.
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Experten fordern bessere Zusammenarbeit der Ärzte
Ebenso sollten die Menschen über die Risiken aufgeklärt werden, beispielsweise mit einer Plakatkampagne, schlägt Bächler vor. Martin Viehweger sieht insbesondere die Ärzte in der Pflicht: "Die arbeiten noch nicht eng genug zusammen", es sei viel mehr Austausch von Wissen und Erfahrungen nötig. Außerdem gehe es bei Chemsex nicht nur die Behandlung der sexuell übertragbaren Krankheiten, sondern um die ganze Lebenssituation, die Ärzte im Blick haben müssten.

Standbild aus der Dokumentation "Chemsex" (Bild: Pro-Fun Media)
"Menschen wollen mit Substanzen ihre Grenzen austesten und überschreiten, um aus der Normalität und Abgestumpftheit des Alltags auszubrechen", sagt Viehweger. Viele wollten Intimität, Nähe und Vertrauen mit anderen Menschen herstellen oder ihre Scham überwinden. Dafür seien entaktogen wirkende Drogen besonders geeignet, da sie die eigenen Emotionen intensiver wahrnehmen lassen und die Risikobereitschaft erhöhen.
"Klar ist es dann leichter, sich endlich zu trauen, den heißen Typen an der Bar anzusprechen", so Viehweger. Schwierig werde es nur, wenn man beim Sex die Kontrolle verliere und so zum Beispiel den Schutz durch Kondom oder PrEP vergesse. Zumindest ein erster Schritt hin zu einer besseren Aufklärung und Vernetzung ist schon gemacht. Im "Chemsex Netzwerk Berlin" organisieren sich jetzt erstmals Ärzte, Suchtkliniken und Beratungsstellen. Ihr erstes Ziel wird es sein, Fortbildungen für ihre Kollegen zu organisieren.

Links zum Thema:
» Informationen zu Substanzen und Therapie-Möglichkeiten auf "Mancheck Berlin"
Da ist man schon schwul, nur wenn mich jemand gefragt hätte was "Chemsex" ist wäre ich völlig ahnungslos gewesen.
Mal wieder blickt man als Landei neidisch in die große Stadt womit sich die Brüder dort die Gehirnzellen wegballern...