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Hausbesuch in Berlin
LGBTI-Flüchtlinge: "Wenn wir zurück müssen, werden sie uns umbringen"
Vier Transfrauen flohen aus der Ukraine vor Gewalt und Hass. Zwei von ihnen wurde nun das Asyl verweigert – mit einer absurden Begründung.

Layra Martyniuk, Polina Lytrynova, Veronika Tanskaya und Natalia Smyrnova. (Bild: Markus Kowalski)
- Von Markus Kowalski
29. März 2018, 13:31h 4 Min.
"Ich konnte dort nicht länger leben", sagt Polina Lytrynova. "Ich hatte das Gefühl, dass ich in der Ukraine langsam sterben werde." Die 23-jährige Transfrau ist aus dem Land im Osten Europas geflohen, weil sie den Hass nicht länger ausgehalten hat. Als ihre Großmutter von der beginnenden Transition erfuhr, schmiss sie ihre Enkelin aus der Wohnung und tauschte das Türschloss aus. Die Nachbarn hatten Lytrynova ohnehin gedroht, die Polizei zu rufen, weil sie Trans ist und damit die Kinder gefährden würde. Es war unerträglich, sie musste weg.
Mit dem Bus fuhr sie im Februar nach Berlin, beantragte dort Asyl und wartet nun auf die Entscheidung. Sie wohnt im Stadtteil Treptow, in der "Queeren Unterkunft", die die Schwulenberatung im Februar 2016 eröffnet hat (queer.de berichtete). Dieses Haus – karge weiße Fassade, innen Leuchtstoff-Röhren und schmucklose Wände – soll ein sicherer Ort für LGBTI-Flüchtlinge sein. Also für diejenigen, die in einer Geflüchteten-Unterkunft homophoben und transphoben Anfeindungen ausgeliefert wären und sich nicht sicher fühlen.
Sicherheitsmaßnahmen sollen Geflüchtete schützen
Lytrynova fühlt sich jetzt einigermaßen sicher. Wer sie besuchen möchte, muss zuerst vorbei an Sicherheitspersonal, das jeden Besucher mit Ausweis registriert. Überwachungskameras im Außenbereich sichern das Gebäude. Die Wohnbereiche im Inneren sind provisorisch eingerichtet. Ein paar Kleiderspinde, drei metallene Betten pro Raum, ein Tisch, ein Stuhl. Polina Lytrynova teilt mit drei anderen Transfrauen aus der Ukraine nicht nur eine Wohnung, sondern auch ein ähnliches Schicksal.
"Mein Leben wurde mir in der Ukraine zur Hölle gemacht", sagte Veronika Tanskaya. Sie ist eine der Zimmergenossinnen. Blasses Gesicht, leise Stimme, trauriger Blick. Auch sie aus ihrem Elternhaus verbannt, war monatelang obdachlos, hauste in einer selbstgebauten Hütte. Sie versuchte, einen Job zu finden, doch sobald im Vorstellungsgespräch deutlich wurde, dass sie Transgender ist, wurde ihr nicht nur abgesagt – sie wurde geradezu vom Hof gejagt, wie sie erzählt.
Nachdem sie mehrmals auf offener Straße von Rechten angegriffen wurde, ging sie zur Polizei. "Doch die Beamten haben mich nur ausgelacht." Ein anderes Mal wurde ihr bei einer Personenkontrolle der Ausweis, in dem sie noch als Mann registriert ist, weggenommen. "Dann hat der Polizist die Papiere hochgehalten und den Passanten zugerufen: 'Schaut, diese Schwuchtel!'"
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Asyl-Ablehnung trotz Hass auf offener Straße
Tanskaya hat in Deutschland Asyl beantragt. Doch kürzlich erhielt sie den Bescheid vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit der Ablehnung. "Zur Begründung heißt es, dass es nicht als Asylgrund ausreiche, dass ich in der Ukraine keine Wohnung finden kann", sagt sie. "Dabei habe ich ihnen die ganze Geschichte erzählt, die Wahrheit!" Über ihr Leben wurde sogar schon im ukrainischen Fernsehen berichtet. Im Film werde gezeigt, wie ihre Eltern sie aus der Wohnung vertreiben und wie die Ärzte erklären, einer Trans-Person nicht bei der Hormonbehandlung helfen zu wollen.
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Die medizinische Versorgung sei für Transgender generell schwierig, erzählen alle vier. Eine Hormonbehandlung, die für die Geschlechtsangleichung notwendig ist, werde ihnen verweigert. Ärzte sagten, sie hätten keine Erfahrung damit und wollten sie nicht behandeln. "Niemand half mir", sagte Natalia Smyrnova, 41 Jahre. "Also habe ich selber damit begonnen und billige Hormone-Präparate, die für Tiere gedacht sind, gekauft." Doch auch das reicht offenbar nicht für politisches Asyl: Auch ihr Antrag wurde abgelehnt.
Deswegen wollen Smyrnova und Tanskaya juristisch gegen die Entscheidungen vorgehen. Ihre Anwältin Barbara Wessel hat Klagen beim Berliner Verwaltungsgericht eingereicht. Sie findet: "Die Entscheidungen sind für mich absolut nicht nachvollziehbar" Trotzdem betont sie gegenüber queer.de, dass nicht alle verfolgten LGBTI automatisch in Deutschland den Flüchtlingsschutz erhalten. "Es muss eine individuelle Verfolgung nachgewiesen werden." Eine Diskriminierung durch staatliche Behörden müsse strukturellen Charakter haben und bei einer Verfolgung oder Diskrimierung durch Dritte werde die Frage gestellt, ob staatliche Stellen der Person Schutz bieten oder nicht. Außerdem müssen die Asylentscheider die Geschichte für glaubwürdig halten.

Layra Martyniuk: "Es wurden Fotos von mir verbreitet, mit dem Hinweis 'Sie ist trans, schlagt sie!'" (Bild: Markus Kowalski)
Für einen subsidiären Schutzstatus müsse im Herkunftsland ein hohes Maß an allgemeiner Diskriminierung vorherrschen und eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung nachgewiesen werden. Immer werde auch geprüft, ob es eine inländische Fluchtalternative gibt – also ob LGBTI nicht in Großstädte ausweichen und leben könnten. Doch Wessel ist optimistisch: "Bei den Verwaltungsgerichten hat man immer wieder auch gute Chancen, einen Asyl-Prozess zu gewinnen."
Alle vier leiden sichtlich an dem Hass, den sie erleben mussten. Zwei bekommen deswegen jetzt psychologische Hilfe. So wie bei Layra Martyniuk, gegen die in den sozialen Netzwerken eine Hetzkampagne gestartet wurde, wie sie erzählt. "Es wurden Fotos von mir verbreitet, mit dem Hinweis 'Sie ist trans, schlagt sie!'", sagt die 22-Jährige.
Wegen diesem offenen Feindseligkeit, den gewaltsamen Angriffen in der Öffentlichkeit und der Ausgrenzung von Freunden und Familien haben sie alle Angst, in die Ukraine abgeschoben zu werden. "Wenn wir zurück müssen", sagt Polina Lytrynova deshalb, "werden sie uns umbringen".

Wenn die EU wirklich eine Wertegemeinschaft wäre, würde sie alle Zahlungen an Osteuropa mit der Einhaltung der Menschenrechre verknüpfen.