Die "Neue Juristische Wochenschrift" wird vor allem von Rechtsanwälten, Notaren, Richtern, Rechtspflegern, Rechtsreferendaren und Jura-Studenten gelesen (Bild: NJW)
Während die Grünen im Bundestag von den Gegnern der Ehe für alle eine Entschuldigung fordern, nachdem es auch sechs Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes weder Frösche vom Himmel geregnet hat noch weniger Ehen zwischen Heterosexuellen geschlossen wurden oder das Abendland untergegangen ist, können sich einige offenbar weiterhin nicht mit dem gesellschaftlichen Fortschritt abfinden.
In der Ausgabe 13/2018 von Deutschlands führender juristischer Fachzeitschrift, der "Neuen Juristischen Wochenschrift" (NJW), kommt dazu der emeritierte Juraprofessor Bernd Rüthers zu Wort. Er lässt es nicht bei der nach 20-jähriger politischer und fachlicher Debatte samt mehrerer Sachverständigenanhörungen im Bundestag merkwürdigen Behauptung bewenden, der Gesetzentwurf in dieser Grundsatzfrage sei im vergangenen Jahr "weitgehend diskussionslos" durchgewunken worden. Nein, Rüthers holt gleich das große Kaliber heraus. Da nach seiner Meinung eine Verfassungsänderung notwendig gewesen wäre, erinnere das Verfahren zur Eheöffnung durch einfaches Gesetz an die Parole von Carl Schmitt, der 1934 schrieb: "Wie denken die Rechtsbegriffe um. (…) Wir sind auf der Seite der kommenden Dinge!"
Rüthers wittert die Aushöhlung des Rechtsstaats
Bei Carl Schmitt, der auch als "Kronjurist des Dritten Reiches" bezeichnet wird, handelt es sich um einen antidemokratischen Vordenker der furchtbaren Juristen. Rüthers rückt das Verfahren zur Eheöffnung also ganz bewusst in die Nähe des Denkens und Vorgehens der Nationalsozialisten. Eine wahrhaft perfide und intellektuell nur dürftig verbrämte Umkehrung der Täter-Opfer-Konstellation, mit der ganz AfD-like diesmal nicht der Idee von der jüdischen, sondern von der schwulen Welt- bzw. Polit-Verschwörung das Wort geredet wird.
Doch damit nicht genug: Rüthers versteigt sich darüber hinaus zu der Behauptung, ein "Zusammenspiel der Verfassungsorgane" führe dazu, dass in dieser Rechtsfrage die Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts "ausgetrickst" werde. Worin der Trick liegen soll, beschreibt Rüthers nicht. Durch den Begriff legt er nahe, es gebe hier ein unsauberes, unredliches Zusammenwirken zwecks Aushöhlung des Rechtsstaats.
In Wirklichkeit ist allein festzustellen, dass derzeit keiner der Berechtigten (die Bundesregierung, eine der Landesregierungen oder ein Viertel der Mitglieder des Bundestages) den Antrag auf abstrakte Normenkontrolle stellt, was allerdings bei entsprechendem politischen Willen jederzeit noch fristunabhängig möglich wäre.
Bayerische Rechtsgutachten bleiben unerwähnt
Die Bayerische Staatsregierung hat viele tausend Euro in die Hand genommen, um sich durch zwei fundierte Rechtsgutachten von einem solchen Schritt abhalten lassen. Sich mit diesen Gutachten auseinanderzusetzen oder sie zu erwähnen, ist Rüthers nicht der Mühe wert. Er begnügt sich damit, die Stichworte und Argumentationsmuster der Populisten zu platzieren. Dass er dabei vergeblich eine – im Ergebnis höchst absehbare – Entscheidung ausgerechnet jenes Gerichts herbeisehnt, das sich laut seinen Thesen (vgl. Rüthers, "Die Revolution: Vom Rechtsstaat zum Richterstaat") unzulässig viele Kompetenzen bei der Rechtsauslegung anmaßt, sei nur am Rande erwähnt.
Auf kritische Nachfrage, warum die NJW ein solches Elaborat abdruckt, antwortete deren Schriftleiter Tobias Freudenberger lapidar, es handele um einen (ganzseitigen!) Leserbrief, an den man "weniger strenge Anforderungen" stelle.
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Dass es dort nicht zum besten steht, pfeifen die Spatzen schon seit Jahren von den Dächern. Anders als bei den Mediziner*innen geht ein Problembewusstsein gegen Null. Wann wird es endlich die erste große Studie dazu geben?
Danke, dass hier auf die NJW-Veröffentlichung hingewiesen wurde!