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Gutachter-Zwang aufgehoben
Portugal erlässt fortschrittliches Trans-Gesetz
Das sechste EU-Land ermöglicht es Personen, ihr offizielles Geschlecht selbst zu bestimmen – eine Regelung, die in Deutschland auf sich warten lässt.

Das portugiesische Einkammern-Parlament in Lissabon
- 14. April 2018, 11:32h 3 Min.
Das portugiesische Parlament hat am Freitag mit 109 zu 106 Stimmen ein Gesetz der regierenden "Sozialistischen Partei" (PS) verabschiedet, das es Personen vereinfacht, in offiziellen Dokumenten ihr Geschlecht und ihren Vornamen zu ändern. Dafür reicht zukünftig eine einfache Erklärung ohne weitere medizinische Gutachten aus, wie sie bisher gefordert wurden.
Die Vorlage der sozialdemokratischen Partei, die Gesetzentwürfe des Linksblocks und einer Tier- und Naturschutzpartei integrierte, gilt für Personen ab 16 Jahren, wobei bis zur Erlangung der Volljährigkeit eine Zustimmung der Eltern oder Erzierhungsberechtigten erforderlich ist. Das Gesetz muss noch vom konservativen Präsidenten Marcelo Rebelo de Sousa unterzeichnet werden.
Die Opposition kritisierte in der Debatte teilweise eine zu hohe Altersgrenze und die Nicht-Berücksichtigung von Einwanderern und Flüchtlingen in ihren speziellen Dokumenten. Die konservative "Sozialdemokratische Partei" (PSD), die größte Volkspartei im aktuellen Parlament, beklagte hingegen einen "ideologischen Radikalismus": die neue Rechtslage schaffe Unsicherheit und eine "soziale Dekonstruktion". Die rechtskonservative "Portugiesische Volkspartei" (CDS-PP) wies darauf hin, dass 16-Jährige noch nicht heiraten, Alkohol trinken oder einen Führerschein machen dürfen, aber nun diese Entscheidung treffen könnten.
Verbot für OPs an intersexuellen Kindern
Portugal hatte bis 2011 überhaupt kein Gesetz zum Umgang mit Transsexuellen – was zu der Praxis führte, dass sich diese sterilisieren lassen mussten, um dann den Staat wegen einer fehlerhaften Eintragung des Geschlechts verklagen zu können. Seit einer ersten Regelung 2011 hatten nach Angaben des Justizministeriums 485 Menschen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, durch gutachterlichen Nachweis einer "Geschlechtsidentitätsstörung" bei einem Amt die offiziellen Einträge zu Namen und Geschlecht ändern zu lassen.
Die bisherige bürokratische Regelung habe viel Zeit und Geld gekostet, kritisierte Hermínia Prata von AMPLOS, einer Organisation von Eltern von LGBTI-Kindern. "Dabei glaubte niemand ernsthaft, dass jemand einen Antrag auf Änderung des offiziellen Geschlechts stellt, ohne das ernst zu meinen." Letztlich habe die bisherige Regelung die Würde und Menschenrechte der Personen angegriffen. Die Aktivistin lobte auch die Senkung des Mindestalters von bisher 18 auf nun 16 Jahre, was gerade Schülern das Leben erleichtere.
Wie von vielen Aktivisten weltweit gefordert, verbietet das Gesetz zudem, von vereinzelten medizinischen Notfällen abgesehen, Operationen an intersexuellen Säuglingen oder Kindern, die diese auf ein Geschlecht festlegen sollen. Das Regierung betont auch hier das Recht auf Selbstbestimmung.
Langsame Fortschritte in Europa
Nach Angaben der Organisation ILGA Europe gibt es bislang in Europa nur fünf weitere Länder, die die Selbstbestimmung von Personen zum alleinigen Maßstab bei der Anerkennung ihres Geschlechts machen: Malta, Norwegen, Dänemark, Irland und Belgien. Malta war zugleich bislang das einzige Land, das Operationen an intergeschlechtlichen Babys und Kindern verboten hat.
Twitter / TGEUorgPortugal votes for self-determination in legal gender recognition! This historic decision was voted on today, read more: https://t.co/XVRAfOTKwE #legalgenderrecognition #selfdetermination #transgender pic.twitter.com/Ry4lGlxNNy
Transgender Europe (@TGEUorg) April 13, 2018
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In Deutschland hatten sich die letzten Bundesregierungen nicht an eine dringend benötigte Überarbeitung des Transsexuellengesetzes gewagt, das im Laufe der Jahre in immer neuen Bereichen vom Bundesverfassungsgericht für ungültig erklärt wurde, etwa 2011 beim Zwang zu Operationen (queer.de berichtete). In einer Entscheidung im letzten Herbst erklärten die Richter allerdings den Gutachten-Zwang vor Gericht für verfassungskonform (queer.de berichtete).
Im Februar 2017 hatte das Bundesfamilienministerium anlässlich eines wiederholten Austauschs mit Vertretern von LGBTI-Gruppen und Wissenschaft zwei Gutachten vorgestellt, die konkrete Neufassungen des Gesetzes einfordern (queer.de berichtete). Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung aus Union und SPD verspricht in dem Bereich allerdings nur eine Umsetzung der "Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts", womit wohl das Urteil zum "dritten Geschlecht" gemeint ist. Auch wolle man "gesetzlich klarstellen, dass geschlechtsangleichende medizinische Eingriffe an Kindern nur in unaufschiebbaren Fällen und zur Abwendung von Lebensgefahr zulässig sind." (nb)

de.wikipedia.org/wiki/Bloco_de_Esquerda
de.wikipedia.org/wiki/Bloco_de_Esquerda#Wahlergebnisse
"The Bloc proposed a number of important laws on civil rights and guarantees, including the protection of citizens from racist, xenophobic, and homophobic discrimination, support for same-sex marriage, laws for the protection of workers and anti-bullfighting legislation. These included Portugal's first law on domestic violence, which was then passed in parliament with the support of the Portuguese Communist Party and the Socialist Party."
en.wikipedia.org/wiki/Left_Bloc#Praxis