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Urteil
EU-Gericht schränkt kirchliches Arbeitsrecht ein
Kirchen dürfen nicht grenzenlos diskriminieren, auch wenn sie sich nicht an das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz halten müssen, so die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes.

Die Europa-Richter in Luxemburg setzen den Kirchen Grenzen beim Arbeitsrecht (Bild: Cedric Puisney / flickr / by-nd 2.0)
17. April 2018, 13:47h 4 Min. Von
Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht, das evangelischer und katholischer Kirche in Deutschland die Diskriminierung ihrer Arbeitnehmer unter anderem auch wegen der sexuellen Orientierung erlaubt, hat nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) Grenzen. In einer am Dienstag bekannt gegeben Entscheidung (C-414/16, PDF) haben die obersten EU-Richter in Luxemburg entschieden, dass eine gerichtliche Abwägung zwischen der Antidiskriminierungsrichtlinie der Europäischen Union und dem kirchlichen Privileg auf Selbstbestimmung möglich sein müsse.
Konkret geht es um den Fall der konfessionslosen Berlinerin Vera Egenberger, die sich 2012 erfolglos auf eine auf 18 Monate befristete Stelle beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung beworben hatte (Jobbeschreibung: "Parallelberichterstattung zur UN-Anti-Rassismuskonvention"). Laut der Stellenausschreibung war die Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche Voraussetzung für die Einstellung. Nachdem Egenberger nicht einmal zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden war, klagte sie wegen religiöser Diskriminierung vor Gericht auf eine Entschädigung in Höhe von rund 9.800 Euro. Sie argumentierte unter anderem, dass sie qualifizierter gewesen sei als der evangelische Bewerber, der letztlich eingestellt wurde.
Bundesarbeitsgericht bat EU-Richter um Hilfe
Der Rechtsstreit war von deutschen Gerichten unterschiedlich bewertet worden. Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt reichte den Fall schließlich nach Luxemburg weiter (queer.de berichtete). Die EU-Richter haben jetzt betont, dass in einem derartigen Fall die Erfordernis, dass ein Bewerber einer bestimmten Religion angehört, "Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein" könne. Das deutsche Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz lässt allerdings den Kirchen bislang weitgehend freie Hand bei der Diskriminierung – die Europa-Richter weisen jedoch darauf hin, dass die EU-Antidiskriminierungsrichtlinie, die Arbeitnehmer vor Diskriminierung aufgrund ihrer Religion schützt, in nationales Recht umgesetzt werden müsse.
Nationale Gerichte dürften laut der Entscheidung der EU-Richter nun überprüfen, ob eine Diskriminierung aufgrund der Religion von Bewerbern verhältnismäßig ist. Zwar sei es Kirchen erlaubt, eine "mit der Religion oder Weltanschauung zusammenhängende Anforderung" zu stellen. Dieses Recht auf Diskriminierung sei aber nur möglich, wenn diese Bedingung bei der jeweiligen Tätigkeit "eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation" darstelle.
Noch ist völlig unklar, wie weit dieses kirchliche Recht auf Diskriminierung geht. So wird allgemein akzeptiert, dass ein Pfarrer der jeweiligen Konfession angehören müsse. Ob aber beispielsweise auch Ärzte, Erzieher oder Kindergärtner in evangelischen oder katholischen Einrichtungen diskriminiert werden dürfen, ist bislang von Gerichten nicht abschließend entschieden worden.
Das Karlsruher Bundesverfassungsgericht hatte 2014 mit den diskriminierenden Ausnahmeregelungen im kirchlichen Arbeitsrecht kein Problem: Damals entschied Karlsruhe, dass die katholische Kirche "Sündern" – in diesem Fall einem Chefarzt, der erneut geheiratet hatte – kündigen darf, auch wenn ihre Arbeit aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert wird (queer.de berichtete).
Seit 2003 verbietet die EU Homo-Diskriminierung im Arbeitsrecht
Das neueste Urteil dürfte auch sexuelle und geschlechtliche Minderheiten betreffen, da nach einer EU-Richtlinie seit 2003 niemand wegen der sexuelle Ausrichtung im Arbeitsrecht diskriminiert werden darf. Auch in der Grundrechtecharta der Europäischen Union ist festgehalten, dass Diskriminierung wegen der "sexuellen Ausrichtung" verboten ist.
Zwar gibt es in der evangelischen Kirche mit LGBTI-Mitarbeitern in der Regel keine Probleme, aber die katholische Kirche feuert gerne Homosexuelle, die heiraten wollen – erst im Februar wurde der Fall einer Erzieherin eines katholischen Kindergartens in Bayern bekannt, der die Kirche androhte, ihren Vertrag nicht zu verlängern, sollte sie wie geplant ihrer Lebenspartnerin das Ja-Wort geben (queer.de berichtete). In der Vergangenheit entließ die katholische Kirche sogar u.a. die Putzfrau eines Kindergartens, weil sie mit ihrer Partnerin zum Standesamt gehen wollte.
Besonders ärgerlich an diesen Fällen ist für viele Beobachter, dass die betreffenden Kindergärten fast vollständig aus allgemeinen Steuergeldern finanziert werden – und es in manchen Gegenden wenig staatliche Alternativen zu den konfessionellen Einrichtungen gibt. Immerhin: Im Jahr 2015 gelobte die Kirche, dass eine gleichgeschlechtliche Verpartnerung nicht mehr automatisch die Entlassung bedeute (queer.de berichtete).
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes begrüßte auf Facebook die Entscheidung der EU-Richter: "Das Urteil stärkt den Schutz kirchlicher Beschäftigter vor Diskriminierung. Die Kirchen können künftig von ihren Beschäftigten nicht mehr pauschal eine bestimmte Religionszugehörigkeit verlangen", erklärte ADS-Chefin Christine Lüders. "Und: Bewerbende und auch Beschäftigte der Kirchen können Diskriminierung jetzt gerichtlich überprüfen lassen – bislang war das nur eingeschränkt möglich."
Auch Sven Lehmann, der queerpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, zeigte sich erfreut über das Urteil. "Selbtsbestimmungsrecht der Kirchen bedeutet nicht, dass Anders- oder Nichtgläubige, Homosexuelle, Geschiedene diskriminiert werden dürfen", erklärte der Abgeordnete via Twitter. Er forderte die Bundesregierung zum Handeln auf.
Twitter / svenlehmann | Tweet von Sven LehmannSehr gutes Urteil des #EuGH: Selbtsbestimmungsrecht der Kirchen bedeutet nicht, dass Anders- oder Nichtgläubige, Homosexuelle, Geschiedene diskriminiert werden dürfen. Die Bundesregierung muss dieses Urteil umsetzen + den Diskriminierungsschutz stärken! https://t.co/uJGqyXChgM
Sven Lehmann (@svenlehmann) April 17, 2018
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Der vorliegende Fall geht nun wieder zurück ans Bundesarbeitsgericht. Die Richter müssen entscheiden, ob die evangelische Kirche Vera Egenberger unzulässig diskriminiert hat. Laut dem Auftrag der EU-Richter müssen sie einen "angemessenen Ausgleich" zwischen den Rechten von Klägerin und Kirche herstellen.
Evangelische und katholische Kirche beschäftigen in Deutschland 1,3 Millionen Mitarbeiter, die meisten davon in verkündungsfernen Jobs. Nach dem Staat sind die christlichen Organisationen damit die größten Arbeitgeber des Landes.

gegen die kirchenlobby hat er nix anzurichten