LGBTI-Aktivisten am 1. Mai 2018 in St. Petersburg, die meisten von ihnen konnten trotz Regen und Polizei ein Zeichen setzen (Bild: Straights for Equality / vk)
Die Polizei in St. Petersburg hat am Dienstag wie in den letzten beiden Jahren LGBTI-Aktivisten festgenommen, die sich an der großen Demonstration von Oppositionsgruppen zum 1. Mai beteiligt hatten.
Aus einem größeren, inoffiziellen LGBTI-Block von rund 100 Menschen wurden mehrfach einzelne Personen herausgegriffen, darunter Igor Koschetkow, der bekannte Sprecher des russischen LGBT Network, und weitere Aktivisten und Aktivistinnen. "Wir wurden illegal auf dem Newski-Prospekt festgenommen", schrieb Koschetkow bei Facebook, "die Polizei versuchte, uns die Regenbogenflaggen wegzunehmen". Die Aktivisten wurden in Polizeibusse gezerrt und dann zu Wachen gefahren.
Igor Koschetkow und sein Partner Kirill Fedorow bei seiner Festnahme. Im Vorjahr war der Sprecher des LGBTI Network auf einer Wache über Nacht festgehalten worden
Nach vorläufigen Zahlen befinden sich fünf LGBTI-Demonstranten in Polizeigewahrsam, ein Großteil der queeren Demonstranten konnte die Kundgebung ungestört beenden. An anderer Stelle der 1.-Mai-Demo wurden laut der Zeitung "Fontanka" u.a. auch Menschen festgenommen, weil sie Flaggen der Europäischen Union oder Israel mitgeführt hatten. Zusammen mit dem LGBTI-Aktivisten Alexei Nazarow, der wegen einer Regenbogenflagge festgenommen wurde, wurde eine Demo-Teilnehmerin zu einer Wache gebracht, die ein Bild eines sich auflösenden Putins mitgeführt hatte.
In Moskau wurde bei der Demonstration zum 1. Mai eine Gruppe von 25 Menschen festgenommen, die Bewusstsein für psychische Erkrankungen schaffen wollte. Die Kundgebungen in diversen Städten dauern zur Stunde noch landesweit an. Bei Protesten Festgenommene werden in der Regel nach einigen Stunden auf der Wache wieder freigelassen, teilweise ist später noch ein Bußgeld zu bezahlen.
Update 19h: Am späteren Nachmittag wurden alle Festgenommenen freigelassen.
Bereits im letzten Jahr hatte die Polizei insgesamt 43 LGBTI bei verschiedenen Protesten während der Kundgebungen zum 1. Mai in St. Petersburg festgenommen und teilweise bis zum Abend, teilweise sogar über Nacht festgehalten, darunter alle Teilnehmer eines Protests, der auf die Schwulenverfolgung in Tschetschenien aufmerksam machen wollte (queer.de berichtete).
Festnahmen bei einem "Die-In" zu Tschetschenien während der 1.-Mai-Demo im letzen Jahr. Bild: Dave Frenkel / twitter
Auch 2016 hatte die Polizei einige Aktivisten gezielt aus den 1.-Mai-Protesten in St. Petersburg und Moskau herausgezogen und vorübergehend in Gewahrsam genommen (queer.de berichtete).
Keine Unterstützung der Zivilgesellschaft
In den Jahren zuvor hatte sich ein eigener LGBTI-Block bei der traditionellen Demonstration zum 1. Mai in St. Petersburg zur größten jährlichen Demo von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transsexuellen in Russland entwickelt. 2015 wurde die Teilnehmerzahl beim "Regenbogen-Block" auf über 600 Menschen geschätzt.
Regenbogenblock am 1. Mai 2015
Der traditionelle Marsch von Gewerkschaften, Oppositionsparteien und sozialen Bewegungen bot LGBTI eine rechtlich passende wie niedrigschwellige Möglichkeit zur Beteiligung. Zuletzt hatten die Behörden aber einen LGBTI-Block nicht mehr erlaubt; in diesem Jahr wurde speziell für sie etwa eine eigene Demonstration am Rande der Stadt vorgeschlagen. Auch weigerten sich in diesem Jahr alle angemeldeten Gruppen, LGBTI gezielt aufzunehmen. "Kommt, aber ohne eure Symbole", habe es bei den Organisationstreffen geheißen, berichtet die Organisation "Straights for Equality". LGBTI-Organisationen hatten dazu aufgerufen, dennoch an der Demonstration teilzunehmen.
LGBTI-Aktivist zusammengeschlagen
Boris Konakowa am Montag nach dem Angriff in einem Krankenhaus (Bild: Alek Naza)
Gründe für Kundgebungen der Szene gibt es dabei derzeit einige: So steht "Parni +", eine queere Webcommunity mit dem wichtigen Schwerpunkt HIV-Aufklärung, kurz vor einer Aufnahme auf den Sperr-Index, auf den kürzlich erst das News-Portal gay.ru gelandet ist (queer.de berichtete). Die zuständige russische Staatsanwaltschaft und Politik interessiert sich weiter nicht für eine Aufklärung der Schwulenverfolgung in Tschetschenien, während es Berichte über neue Verschleppungen speziell an lesbischen und transsexuellen Frauen gibt (queer.de berichtete).
Speziell in St. Petersburg ist die Szene zudem besorgt, nachdem der bekannte LGBTI- und Aids-Aktivist Boris Konakowa in der Nacht zum Montag in der Nähe eines Gay Clubs (der ihn nicht hereingelassen hatte) von Unbekannten zusammengeschlagen wurde. Er wachte zunächst ohne Erinnerung an die Tat im Krankenhaus auf – mit erheblichen Gesichtsverletzungen, die Operationen benötigen. "Da nichts gestohlen wurde, klassifiziere ich das als homophoben Angriff", so Konakowa.
Noch unbestätigt und unklar sind Meldungen, wonach es in der Region Ufa derzeit zu einer Jagd auf schwule Männer komme, die online in Fallen gelockt worden seien – möglicherweise in Verbindung mit einer Horrorfilm-inspirierten Webseite, in der diese Jagd unter dem Motto "Comeback von Tschetschenien" zu einem makabren Spiel erklärt worden sei. Das LGBT Network untersucht mindestens eine Gewalttat, die damit in Verbindung stehen könnte. Vor einigen Jahren hatten Neonazis in mehreren Städten eine ähnliche Jagd auf Schwule durchgeführt, die sie in Videos öffentlich demütigten (queer.de berichtete). Eine Studie ergab kürzlich, dass sich die Zahl schwerer Hassverbrechen, darunter vor allem Morde, nach Verabschiedung des Gesetzes gegen "Homo-Propaganda" regelrecht verdoppelt habe (queer.de berichtete).
Georgien: Proteste gegen LGBTI-Kundgebung
Auch in anderen Städten weltweit gingen am Dienstag queere Menschen auf die Straße. In der georgischen Hauptstadt Tiflis ist es am Dienstag zu Auseinandersetzungen zwischen LGBTI-Aktivisten und Gegenprotestlern gekommen, bei der unter anderem Eier flogen.
Die Aktivisten der Organisation "Equality Movement" hatten vor dem Parlament in einer von der Polizei geschützten Kundgebung die Gewährleistung von Menschenrechten und speziell zu einer Sitzung des Menschenrechtsausschusses die Entlassung der Vorsitzenden gefordert, da diese sich öffentlich geweigert hatte, in zwei Wochen am 17. Mai an einer Kundgebung zum Internationalen Tag gegen Homo- und Transphobie teilzunehmen – obwohl ein Aktionsplan der Regierung Unterstützung vorsehe.
2013 war es bei einer Kundgebung zum Internationalen Tag gegen Homo- und Transphobie in Tiflis zu massiven Ausschreitungen gekommen, bei der ein von orthodoxen Geistlichen angestifteter Mob u.a. einen Bus mit Teilnehmern angriff (queer.de berichtete). Die Gegenproteste an diesem Dienstag stammten Medienberichten zufolge von einer "Vereinigung orthodoxer Eltern". Die Polizei nahm drei der homofeindlichen Protestler fest, während die Aktivisten später im Parlament vor dem Komitee sprachen.
Hut ab vor soviel Zivilcourage!