Portugal hat in den letzten Jahren viele Fortschritte für LGBTI erreicht – oft gegen den jeweiligen Präsidenten (Symbolbild aus den USA: (cc) torbakhopper / flickr)
Wenige Wochen nach der parlamentatischen Verabschiedung eines fortschrittlichen Reformpakets zu den Rechten von Transsexuellen hat der portugiesische Präsident Marcelo Rebelo de Sousa sein Veto gegen die Vorlage eingelegt.
Der Mitte April mit 109 zu 106 Stimmen im Einkammern-Parlament knapp verabschiedete Entwurf hätte es in Portugal als sechstem EU-Land Personen ermöglicht, mit einem einfachen Antrag ihr Geschlecht und ihren Vornamen in offiziellen Dokumenten zu ändern (queer.de berichtete). Bislang war dies nur nach der Vorlage von medizinischen Gutachten möglich – bis 2011 hatte es sogar überhaupt keine Regelung gegeben, so dass Betroffene sich sterilisieren lassen und dann auf Anerkennung ihres Geschlechts klagen mussten.
Mit dem neuen Entwurf, der zugleich Operationen an intersexuellen Säuglingen mit Ausnahme von medizinischen Notfällen verbietet, wurde auch das Mindestalter für die rechtliche Geschlechtsanpassung gesenkt, von bisher 18 auf 16 Jahre. Bei Minderjährigen sah das Gesetz allerdings bereits die Anpassung nach Zustimmung der Eltern oder Erziehungsberechtigten vor.
Gutachterzwang bei Minderjährigen?
In einer am Mittwoch auf seiner Webseite veröffentlichten Erklärung betonte der Präsident, es gehe ihn nicht darum, Personen zu pathologisieren. Allerdings halte er es für erforderlich und sinnvoll, bei Jugendlichen ein medizinisches Gutachten zu verlangen. Das sei nicht seine persönliche Meinung, sondern greife unter anderem Vorschläge des nationalen Ethikrates auf.
Der 69-jährige Marcelo Rebelo de Sousa ist seit März 2016 der Präsident Portugals. Bild: Web Summit / flickr
Das Parlament kann den Entwurf nun ändern oder den Präsidenten mit einer absoluten Mehrheit überstimmen – wie es das etwa vor zwei Jahren bei de Sousas ebenfalls konservativen Amtsvorgänger Aníbal Cavaco Silva getan hatte, der sein Veto gegen das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare eingelegt hatte (queer.de berichtete).
Die europäischen Verbände ILGA-Europe, Transgender Europe-TGEU und OII Europe haben das Parlament in einer gemeinsamen Stellungnahme bereits dazu aufgerufen, dem Präsidenten zu widersprechen: "Gleichberechtigung nur für einige ist nicht wahre Gleichberechtigung. Junge Menschen müssen in der Lage sein, einen Zugang zu Prozeduren zur Anerkennung eines rechtlichen Geschlechts zu haben, die fair sind und darauf vertrauen, dass sie selbst wissen, wer sie sind."
Twitter / TGEUorg | Organisationen zeigten sich enttäuscht von der Entscheidung des Präsidenten
Nach Angaben der Organisation ILGA-Europe gibt es bislang in Europa nur fünf weitere Länder, die die Selbstbestimmung von Personen zum alleinigen Maßstab bei der Anerkennung ihres Geschlechts machen: Malta, Norwegen, Dänemark, Irland und Belgien.
In Deutschland hatten sich die letzten Bundesregierungen nicht an eine dringend benötigte Überarbeitung des Transsexuellengesetzes gewagt, das im Laufe der Jahre in immer neuen Bereichen vom Bundesverfassungsgericht für ungültig erklärt wurde, etwa 2011 beim Zwang zu Operationen (queer.de berichtete). In einer Entscheidung im letzten Herbst erklärten die Richter allerdings den umstrittenen Gutachten-Zwang vor Gericht für verfassungskonform (queer.de berichtete).
Im Februar 2017 hatte das Bundesfamilienministerium anlässlich eines wiederholten Austauschs mit Vertretern von LGBTI-Gruppen und Wissenschaft zwei Gutachten vorgestellt, die konkrete Neufassungen des Gesetzes einfordern (queer.de berichtete). Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung aus Union und SPD verspricht in dem Bereich allerdings nur eine Umsetzung der "Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts", womit wohl das Urteil zum "dritten Geschlecht" gemeint war. Auch wolle man "gesetzlich klarstellen, dass geschlechtsangleichende medizinische Eingriffe an Kindern nur in unaufschiebbaren Fällen und zur Abwendung von Lebensgefahr zulässig sind." Zuletzt gab es Meldungen, dass das Bundesinnenministerium einen Entwurf erarbeitet hat, der sich nur um das "dritte Geschlecht" kümmert – der Eintrag solle nur Intersexuellen und nach einem medizinischen Gutachten möglich sein und auf "anderes" zusätzlich zu "männlich" und "weiblich" lauten. Betroffene und Aktivisten hatten die Begriffe "inter" oder "divers" vorgeschlagen und ein umfassendes Selbstbestimmungsgesetz gefordert. (nb)