Was hat ein Symposium zur Geschichte der Frauen*bewegung im Schwulen Museum zu suchen?
Ein Symposium sucht selber erst mal gar nichts, das tun eher noch wir, die Kurator*innen der Veranstaltungsreihe "our own feminismS – Ein queer-feministisches Zukunftslabor", für die außer mir noch Vera Hofmann, Carina Klugbauer und Tjona Sommer zuständig sind. Diese Reihe ist Teil des von der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa geförderten Projekts "Jahr der Frau_en". Wir organisieren in diesem Rahmen u. a. eine zehnteilige interaktive queer-feministische Vorlesungsreihe mit Prof. Dr. Ulrike Auga und nun auch dieses Symposium. Wenn du fragst, warum wir dieses Symposium organisieren, so gibt es mindestens zwei wichtige Gründe: Wir feiern dieses Jahr das 100-jährige Jubiläum des Frauen*wahlrechts in Deutschland und das Schwule Museum hat 2018 das eben erwähnte "Jahr der Frau_en" ausgerufen.
Übers "Jahr der Frau_en" (JdF) ist schon viel diskutiert worden, vor allem in sozialen Medien. Worum geht es euch?
Im JdF verhandeln wir unter anderem die Frage, ob sich durch Bündnispolitiken eine Solidargemeinschaft im Schwulen Museum etablieren lässt. Wir verstehen "schwul" als einen Teil von "queer" und sehen ein großes gesellschaftspolitisches Potenzial, wenn Schwule, Lesben, Trans*personen und weitere marginalisierte Personengruppen zusammen an einer Sache arbeiten: Sichtbarkeit, Anerkennung, Abbau von Deprivilegien. Das JdF versteht sich klar als Einladung zu mehr Solidarität, denn gemeinsam sind wir stärker und können mehr voneinander lernen.
Ganz provokativ gefragt: Sind Männer ohne Sternchen auch auf dem Symposium erwünscht?
Aber klar! Es geht uns ja gerade darum, ihnen und überhaupt allen Menschen die Chance zu bieten, die Realitäten, Kämpfe und Thematiken anderer Menschen kennen und vielleicht auch verstehen zu lernen.
Und jetzt eine persönliche Frage: Bist du Feminist und, wenn ja, warum?
Ich bin Feminist, weil der Feminismus nicht nur Frauen* was angeht, sondern alle Menschen. Auch Männer sind vom Sexismus in der Gesellschaft betroffen, denn auch wir wachsen mit der Zwangsheterosexualität auf und wir werden dazu gedrillt, den Normen der Männlichkeit gerecht zu werden (der "Ernährer der Familie" zu sein, mit Gefühlen kaum umgehen zu können, sich möglichst "männlich" verhalten zu müssen usw.). Ich halte das alles für unzumutbar und glaube, dass der Feminismus im Kern Emanzipation für alle Menschen bedeutet.
Visual zum Symposium im Schwulen Museum
Wer trägt vor und worüber?
Es finden am 26. Mai von 14 bis 20 Uhr vier Vorträge statt. Erst spricht Gisela Notz über den Kampf ums Frauen*wahlrecht, dann Nello Fragner über die Abtreibungsparagrafen und körperliche Selbstbestimmung, anschließend Katharina Oguntoye über Rassismus in der zweiten Welle der Frauen*bewegung und schließlich Lisa Weinberg über die schon in der Achtzigerjahren geführte Butch/Femme-Debatte unter frauen*bewegten Lesben. Man zahlt einmal Eintritt für beliebig viele Vorträge und hat dann auch gleich Zutritt zur neuen Ausstellung "Lesbisches Sehen".
Warum sollten uns diese Themen heute interessieren? Gibt es aktuelle Bezüge?
Ja, die gibt es. In Nellos Vortrag zu den Themen "Abtreibung" und "körperliche Selbstbestimmung" denken wir beispielsweise an das Urteil gegen die Gießener Ärztin Kristina Hänel vom vergangenen Jahr, die eine Geldstrafe entrichten musste, weil sie auf ihrer Internetseite über Schwangerschaftsabbrüche aufklärte und damit laut der juristischen Instanz gegen den Paragrafen 219 verstieß. In Lisas Vortrag erfahren wir, dass die Debatte um Butch- und Femme-Lesben schon seit vielen Jahren geführt wird und woher sie kommt. Darüber hinaus ist auch Rassismus (siehe Katharinas Vortrag) ein Dauerbrenner. In Giselas Vortrag erfahren wir von der Arbeiterinnenbewegung und können vielleicht sogar Bezüge herstellen zum Kampf um die Ehe für (fast) alle, weil es in beiden Fällen um eine Art rechtliche Gleichstellung geht.
Nach welchen Kriterien habt ihr die Referent*innen ausgesucht?
Feste Kriterien hat es nicht gegeben. Wichtig war uns beispielsweise, dass die angefragten Personen in oder nicht weit von Berlin wohnen, da wir für dieses eintägige Symposium auf eine Planungssicherheit angewiesen waren. Uns war wichtig, dass marginalisierte Positionen vertreten sind, weswegen Katharina – Mitbegründerin und Leiterin des interkulturellen Berliner Netzwerks Joliba e.V. – ein großer Gewinn für uns ist. Für das Symposium konnten wir übrigens Joliba als Kooperationspartner*in ins Boot holen. Als Schwules Museum sind uns natürlich auch queere Themen wichtig, sodass das übergreifende Thema "Lesben in der Frauen*bewegung", vertreten durch Lisas Vortrag, auch ein großer Gewinn ist. Der Bezug zu proletarischen Kämpfen in Giselas Vortrag ruft uns in Erinnerung, dass solidarische Bündnisse auch über Klassenunterschiede hinweg – und nicht nur mit Blick auf die Zugehörigkeit zu sexuellen Minderheiten – erstrebenswert sind. Schließlich orientierten wir uns auch anhand von Themen, sodass Nellos Vortrag auch einen Gewinn für uns darstellt. Nicht zuletzt veröffentlichte er im letzten Jahr einen Artikel im Sammelband "Wege zum Nein: Emanzipative Sexualitäten und queer-feministische Visionen", in welchem sich die Autor*innen mit körperlicher Selbstbestimmung in allen ihren Facetten auseinandersetzen.
Was hat das Symposium mit dem "Queer History Month" (QHM) zu tun?
Der QHM findet alljährlich statt und ist ein Angebot an Schulen und Jugendeinrichtungen, kleine Projekte zu queerer Geschichte, Lebensweisen von LSBTIQ*, Antidiskriminierung und Diversity durchzuführen. In diesem Rahmen finden auch verschiedene Veranstaltungen statt, darunter unser Symposium. Beteiligt am QHM ist auch die 2016 gegründete Initiative "Museen Queeren Berlin", zu deren Partner*innen auch das Schwule Museum gehört.
Wird deiner Meinung nach durch das Symposium und das JdF das Schwule Museum gequeert?
Das Schwule Museum war schon immer queer, auch wenn es durch seine Ausstellungen und Veranstaltungen nicht immer das gesamte Spektrum von "queer" abgebildet hat. Man kann natürlich darüber streiten, ob das Museum sich des gesamten Spektrums von "queer" überhaupt annehmen muss. Ich selber glaube, dass diese Erweiterung der Perspektive keinen Verlust für das Museum bedeuten muss, denn die Angebote, Themen und das Publikum des Schwulen Museums zu erweitern, kann man doch als etwas Erstrebenswertes ansehen. Dass das Schwule Museum ein "Jahr der Frau_en" ausruft und ein Symposium zur Geschichte der Frauen*bewegung abhält, ist vor diesem Hintergrund durchaus ein Queeren des Hauses, was ich definitiv auch als eine Chance für das Haus sehe.
Was wünschst du dir vom Symposium?
Abgesehen davon, dass ich gerne etwas über die feministische Bewegungsgeschichte lernen möchte, wünsche ich mir anregende Gespräche und Diskussionen unter den Teilnehmenden und Vortragenden, ein buntes Publikum, einen gefüllten Saal und eine respektvolle Atmosphäre. Wir wollen auch einen Raum für Menschen schaffen, die sich durch in der Vergangenheit wie auch in der Gegenwart geführte Kämpfe zu eigenem Handeln inspirieren lassen möchten. Vielleicht lernen sich sogar einige Teilnehmende kennen und wollen soziale oder politische Allianzen bilden. Wir wünschen uns aber auch mehr Solidarität unter allen Queers und Nichtqueers, über jegliche Geschlechter, Begehrensformen, Klassenunterschiede und Lebensentwürfe hinweg. Dass ein Frauen*bewegungs-Symposium in den Räumlichkeiten des Schwulen Museums stattfindet, ist schon mal ein Schritt in diese Richtung.
Infos zur Veranstaltung
Das Symposium zur Geschichte der Frauen*bewegung findet am Samstag, den 26. Mai 2018 von 14-20 Uhr im Schwulen Museum, Lützowstraße 73 in 10785 Berlin-Tiergarten statt. Vier Vorträge stehen auf dem Programm: 14 Uhr, Dr. Gisela Notz, 100 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland. 15:30 Uhr, Nello Fragner, Körperliche Selbstbestimmung: Themen und Kämpfe in der deutschen Frauenbewegung in den 1970ern/1980ern. 17 Uhr, Katharina Oguntoye, Rassismus und die deutschen Frauenbewegung in den 1980er und 1990er-Jahren. Persönliche Erinnerung einer Aktivistin. 18:30 Uhr, Lisa Weinberg, Lesbian Sex Wars auf Deutsch? Lesben in der Frauenbewegung und die Diskussionen über Sexualität und Butch/Femme in den 80er- und 90er-Jahren. Die Teilnahme kostet regulär 7,50 € und ermäßigt 4 €, womit auch der Zugang zu den Ausstellungsräumen abgegolten ist.
Dazu noch so schreckliche Schreibweisen wie "Jahr der Frau_en". Kann man sich nicht einfach entscheiden zwischen "Jahr der Frau" und "Jahr der Frauen"?
Sicher ist Sprache ein kreativer Prozess und verändert sich, aber ein Verb wie "Queeren" zu erfinden, ist doch ein ziemlich fragwürdiger Fortschritt.