Gegendemonstranten des""Festivals der Gleichberechtigung"" am Samstag in Czernowitz
In der westukrainischen Stadt Czernowitz konnte am Samstag eine LGBTI-Veranstaltung nicht stattfinden, die bereits im Vorfeld öffentlich von mehreren rechten Gruppen bedroht wurde. Die Veranstalter übten scharfe Kritik an der Polizei, die das "Festival der Gleichberechtigung" nur unzureichend geschützt habe.
Teilnehmende des Festivals im Treppenhaus des Veranstaltungsortes
Die durch das Land ziehende Veranstaltungsreihe war in den letzten Jahren immer wieder Bedrohungen ausgesetzt, im März 2016 hatte ein wütender rechter Mob eine Abhaltung in Lwiw verhindert (queer.de berichtete). Am Samstag sollten in Tagungsräumen in einem Gebäude in der Innenstadt von Czernowitz, einer 242.000-Einwohner-Stadt in Grenznähe zu Rumänien und Moldawien, Vorträge und Filmvorführungen zu LGBTI-Rechten abgehalten werden.
Bereits am Morgen fanden die Veranstalter die Türöffnung zerstört vor, so dass sie die Vorbereitungen nur mit zwei Stunden Verspätung beginnen konnten. Auf der Straße versammelten sich die ersten teils vermummten Gegendemonstranten: Angehörige von bis zu fünf verschiedenen rechtsextremen Gruppen, christlich-orthodoxe Aktivisten und mehrere Priester.
Eine rechtsextreme Aktivistin der aus dem "Regiment Asow" hervorgegangenen Partei "Nationaler Korpus" streamte den Gegenprotest in sozialen Netzwerken und rief Follower lügend dazu auf, zu dem Ort zu kommen, da die "Sodomiten" bei ihrer Veranstaltung Kindern angeblich Pornos zeigen wollten.
Facebook | Eindrücke von der Lage vor dem Gebäude. Das Video hält ab ca. der ersten Minute fest, wie mitten in dem Trubel ein junge, mutige Lesbe, die nicht zum Festival vordringen konnte, mit Gitarre "Zombie" von den Cranberries anstimmt
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Während die Polizei später einige Festival-Besucher an der Tür und noch später an einer Absperrung abweisen sollte, hatte sie einige der rechten Störer in das Haus gelassen und einen Kontrollpunkt erst vor dem Eingang in den Konferenzraum in der zweiten Etage errichtet. Die Beamten ließen allerdings drei Priester in den Festival-Raum, die beteten und die Teilnehmer aufforderten, die Veranstaltung und die Stadt zu verlassen, weil sonst die Stadt "explodieren" könnte.
Später wurden die Festival-Besucher wegen einer angeblichen Bombendrohung erst widerwillig in das Treppenhaus evakuiert, wo sie aufgrund einer Rauchbombe der bereits evakuierten Neonazis kaum atmen konnten, und dann auf die Straße. Entgegen der ursprünglichen Zusicherung einer Rückkehr hätten die Beamten schließlich die Aktivisten zu Polizeibussen in der Nähe eskortiert – unter Beleidigungen, Bedrohungen und sogar dem Wurf eines Hammers durch Gegendemonstranten. Mit den Bussen wurden sie aus der Innenstadt gebracht.
Die Evakuierung der Festival-Teilnehmer
Die Veranstalter bezweifeln die Notwendigkeit der Evakuierung: Zwar seien Polizisten mit Bombenspürhunden erschienen, diese hätten aber nicht einmal andere Räume des Hauses kontrolliert oder andere Bewohner evakuiert. Möglicherweise habe die Polizei eine Absprache mit den rechten Demonstranten getroffen: Wenn ihr uns nicht angreift und eine kleine Kundgebung zum Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Trans- und Interphobie (IDAHOBIT am Donnerstag zuvor, s. Bild) stattfinden kann, unterbinden wir das "Festival der Gleichberechtigung". In sozialen Netzwerken feierten sich jedenfalls rechtsextreme Kreise dafür, die Veranstaltung erfolgreich unterbunden zu haben.
Bereits am Donnerstag hatten rechte Aktivisten versucht, eine Kundgebung in Czernowitz zum Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Trans- und Interphobie zu stören. Dieses Bild von dem geschützten Protest verbreitete eine rechtsextreme Aktivistin in sozialen Netzwerken. Es kam zu keinen Zwischenfällen: Über hundert Polizeibeamte sicherten die rund zehn LGBTI-Aktivisten
Erst vor rund einer Woche hatten rechtsextreme Aktivisten u.a. des "Rechten Sektors" eine LGBTI-Veranstaltung von Amnesty International in Kiew gestört und mit Bedrohungen eine Absage gefordert. Auch weil sich der Vermieter der Räume nicht für die LGBTI-Aktivisten einsetzte, griff die Polizei nicht direkt ein, schützte die queeren Besucher aber beim Verlassen des Gebäudes vor Angriffen. Am IDAHOBIT am letzten Donnerstag explodierten in der Großstadt Saporischschja Feuerwerkskörper am Rande einer LGBTI-Aktion in der Innenstadt; die Polizei nahm einen Mann fest, der auch eine Pistole bei sich trug (queer.de berichtete).
Ähnliche Vorfälle gibt es in diversen Städten der Ukraine immer wieder (s. Archiv). Auch in Czernowitz hatten Aktivisten des "Rechten Sektors" und des paramilitärischen "Regiment Asow" bereits im Oktober 2016 eine Vorführung des Films "This is Gay Propaganda: LGBT Rights & the War in Ukraine" verhindert (queer.de berichtete).
Polizei stoppt Gegenproteste zum CSD in Chisinau
Unterdessen konnte am Samstag die CSD-Demonstration in der Hauptstadt der benachbarten Republik Moldau, die in den drei Vorjahren aufgrund von Gegenprotesten jeweils vorzeitig abgebrochen wurde, unter Polizeischutz erstmals wie geplant in voller Länge stattfinden.
Die über 500 Teilnehmer des "Marsches für Solidarität" im Rahmen des "Moldova Pride" in Chisinau mit dem alljährlichen Motto und T-Shirt-Aufdruck "Keine Angst" ("Fara Frica"), in diesem Jahr ergänzt um die Worte "vor Liebe"
So versuchten die Beamten in diesem Jahr, überwiegend christlich-orthodoxe Gegendemonstranten nicht an die Demo-Strecke gelangen zu lassen. Einige junge Nationalisten versuchten Medienberichten zufolge mehrfach unter dem Ruf "Moldawien ist ein orthodoxes Land", die Polizeisperren zu durchbrechen, wurden aber zurückgedrängt. Zwischenzeitlich setzten die Beamten auch Reizgaz ein; eine Sitzblockade von Gläubigen wurde von ihnen aufgelöst.
Nachdem die LGBTI-Aktivisten in Bussen sicher weg gebracht wurden, ging wie in den Vorjahren ein orthoxer Priester die Strecke entlang, um die Straßen mit Weihwasser zu "reinigen". Mehr zur Lage in dem Land im Vorjahresbericht: Moldawien – CSD-Demo erneut unter Gegenprotesten abgebrochen (21.05.2017). (nb)
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