Gerhard Ludwig Kardinal Müller hat vergangene Woche in einem Interview mit der italienischen Bloggerin Costanza Miriano bestritten, dass Homophobie existiere. Vielmehr handle es sich dabei um eine totalitäre Erfindung: "Homophobie ist ein Betrug, der dazu dient, die Leute zu bedrohen", behauptete der 70-jährige Deutsche. Natürlich versuche die Kirche "mit der Gnade Gottes" auch all jene Menschen zu lieben, die sich vom gleichen Geschlecht angezogen fühlten. "Es muss aber klar sein, dass lieben nicht heißt, der Gender-Propaganda (Italienisch: 'propaganda genderista') zu gehorchen".
Laut Müller sei Homophobie "eindeutig eine Erfindung und ein Instrument der totalitären Dominanz über das Denken anderer". Er warf Aktivisten für die Gleichbehandlung von Schwulen und Lesben vor, ein wissenschaftlich nicht haltbares Konzept von Homophobie als Unterdrückungsinstrument eingeführt zu haben: "Der homosexuellen Bewegung ('movimento omosessualista') fehlen die wissenschaftlichen Argumente, weshalb sie eine Ideologie konstruiert hat, die herrschen will, indem sie sich ihre eigene Wirklichkeit konstruiert. Es ist das marxistische Schema, laut dem nicht die Wirklichkeit das Denken schafft, sondern das Denken sich die Wirklichkeit", so Müller.
Daraufhin zog der katholische Würdenträger eine Parallele zwischen LGBTI-Aktivisten und den nationalsozialistischen und kommunistischen Diktaturen des 20. Jahrhunderts: "Wer diese konstruierte Wirklichkeit nicht akzeptiert, ist als krank zu betrachten. Es ist so, als könnte man mit der Polizei oder mit Gerichten auf eine Krankheit einwirken. In der Sowjetunion wurden Christen in psychiatrische Kliniken gesperrt. Das sind die Mittel der totalitären Regime, des Nationalsozialismus und des Kommunismus. Dasselbe widerfährt heute in Nordkorea jenen, die nicht das vorherrschende Denken akzeptieren."
Müller: Papst ist der gleichen Ansicht
Anlass für das Interview war der Internationale Tag gegen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie (IDAHOBIT), der am letzten Donnerstag wie an jedem 17. Mai der letzten Jahre begangen wurde; in mehreren Ländern wurden Aktivisten dabei von Homo-Hassern – teilweise mit christlichem Hintergrund – angegriffen (queer.de berichtete). Müller beharrte auch darauf, dass Papst Franziskus seiner Meinung sei – zwar werde der Papst immer wieder mit seiner "Wer bin ich, um zu urteilen?"-Aussage zitiert, aber: "Der Papst hat dasselbe gesagt, was im Katechismus steht: Jede Person verdient Respekt, weil sie ein Ebenbild Gottes ist, und weil wir für keinen Zweck Menschen missbrauchen dürfen. Zugleich sprach Franziskus aber auch von der Homo-Lobby ('lobby gay')."
Kurz nach den Aussagen Müllers sorgte der Papst allerdings mit einer angeblich weiteren homofreundlichen Äußerung für Schlagzeilen. Wie am Wochenende bekannt wurde, soll der Pontifex einem schwulen Mann in einem privaten Treffen gesagt haben: "Dass du schwul bist, spielt keine Rolle" (queer.de berichtete). Für diese Aussage gibt es keine Bestätigung des Vatikans.
Müller war von 2012 bis 2017 Chef der katholischen Glaubenskongregation – und gehörte damit zu den mächtigsten Männern in der katholischen Hierarchie. Seine Aufgabe war es, die Glaubens- und Sittenlehre in der Kirche festzulegen. Zuvor war Müller zehn Jahre lang Bischof in Regensburg gewesen.
In den letzten Jahren hatte Müller wiederholt Schwule und Lesben attackiert: So bewertete er 2014 ausgelebte Homosexualität als "nicht akzeptabel" (queer.de berichtete). In einem Buch bezeichnete er die "sündigen Verhältnisse" von Lesben und Schwulen gar als "pervers" (queer.de berichtete). Die Ehe für alle ist für ihn zudem eine "Diskriminierung des Ehebundes von Mann und Frau" (queer.de berichtete).
Bereits 2010 verglich Müller die Medien mit den Nazis
Mit Nazi-Vergleichen ist Müller nicht zimperlich: So hatte er 2010 als Regensburger Bischof laut dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" angesichts von Berichten über den katholischen Missbrauchsskandal den Medien vorgeworfen, sie betrieben eine "Kampagne gegen die Kirche" wie in Zeiten des Nationalsozialmus.
An dem Thema Kindesmissbrauch selbst zeigte sich Müller offenbar nicht besonders interessiert: Im vergangenen Jahr wurde dem Würdenträger in einem Sonderbericht vorgeworfen, die Aufklärung des sexuellen Missbrauchs durch Pfarrer während seiner Zeit als Bischof behindert zu haben (queer.de berichtete). (dk)