Die CDU-Abgeordnete Daniela Kuge hält es für rausgeschmissenes Geld, eine Studie über die Lage von LGBTI zu erstellen
Bei einer Debatte zu den Lebenslagen queerer Menschen haben Vertreterinnen der Fraktionen der Großen Koalition im Sächsischen Landtag am Mittwoch unterschiedliche Ansichten offenbart. Während die SPD weitere Schritte für LGBTI forderte, forderte die CDU, man solle sich mit dem Status quo zufrieden geben. Zudem thematisierte sie einträchtig mit der AfD Homofeindlichkeit unter Zugewanderten – Redner beider Parteien taten so, als ob alle alt eingesessenen Deutschen schon immer Homo- und Transsexuelle in ihr Herz geschlossen hätten.
Konkret ging es in der Debatte um einen Antrag der Linksfraktion. Überschrift: "Lebenslagen von lesbischen, schwulen, bisexuellen, transgender, transsexuellen, intergeschlechtlichen und queeren Menschen (LSBTTIQ*) im Freistaat Sachsen untersuchen!" Darin wird die Staatsregierung aufgefordert, eine umfassende Studie zur Lage von sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten zu erstellen. Der Grund: Es gebe noch immer "erkennbare Lücken" bei Kenntnissen über LGBTI in Sachsen.
Als erste Rednerin trat die Linkenpolitikerin Sarah Buddeberg ans Pult. Sie legte anhand von drei ihr bekannten aktuellen Beispielen nahe, warum eine solche Studie wichtig sei. Sie erwähnte eine sächsische Transsexuelle, von der ein Richter drei teure Gutachten verlangte, damit sie in ihrem Geschlecht staatlich anerkannt wird – die Rechungen muss sie selbst bezahlen.
Buddeberg erzählte auch die Geschichte vom evangelischen Jugendwart Jens Ullrich, der wegen seiner Homosexualität ein Predigverbot erhielt und der schließlich bei seiner sächsischen Landeskirche das Handtuch warf (queer.de berichtete). Als drittes Beispiel nannte die Politikerin ein lesbisches Paar, das sich an ihr Wahlkreisbüro gewandt hatte, weil deren Krankenkasse die Familienversicherung für ihr gemeinsames Kind verweigert hatte. "Das wäre nicht passiert, wenn sie hetero wären. Das sind sie aber nicht", so Buddeberg.
Sarah Buddeberg appellierte an die anderen Abgeordneten, sich mehr um LGBTI-Belange zu kümmern
Diese Fälle zeigten, dass es noch immer Diskriminierung gebe. Buddeberg griff dabei die CDU an, die sich "ignorant und desinteressiert" beim Thema zeige. In Dresden sei die Partei etwa weder beim Tag gegen Homo- und Transphobie noch beim CSD in Erscheinung getreten.
Die 35-jährige Landtagsabgeordnete ging auch auf die Argumentation der Christdemokraten ein, das Thema LGBTI-Rechte sei nicht wichtig, da es nur wenige Menschen betreffe. Buddeberg führte dazu aus, dass es Schätzungen zufolge in Sachsen einen LGBTI-Anteil von vier Prozent gebe – dieser Anteil sei damit genau so hoch wie der der Katholiken im Freistaat. Dennoch habe der damalige CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich vergangenes Jahr den Katholikentag eröffnet, nicht aber den CSD.
CDU fordert Dankbarkeit, "dass es uns in Deutschland so gut geht"
Als nächste Rednerin machte die familienpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion deutlich, dass das Thema LGBTI-Rechte schlicht unwichtig sei. Daniela Kuge begann ihre Rede mit den Worten: "Ich mache es kurz, weil es wichtigere Themen in diesem Hohen Hause gibt. Lassen Sie uns die Menschen als Menschen betrachten und einfach mal dankbar sein. Dankbar, dass es uns in Deutschland so gut geht und jeder so leben und lieben kann, wie er will."
Dafür erntete sie Proteste von der linken Seite des Plenums. Kuge legte aber nach: "Seien Sie Frau Ministerin Petra Köpping und Herrn Frank Peter Wied als Landesbeauftragten für die Belange von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intersexuellen, transidenter und queerer Menschen einfach einmal dankbar für die Erarbeitung des Landesaktionsplanes." Dieser Plan war auf Druck der SPD 2014 im Koalitionsvertrag verankert worden, sieht aber keine umfassende Studie vor.
Derartige Studien bezeichnete die Christdemokratin schlicht als "unnötig" und zu teuer: "Jede Studie kostet Geld und es ist weder Ihr Geld noch mein Geld, sondern das der Steuerzahler." Bei der Erarbeitung des Landesaktionsplans werde es eine "Strukturanalyse" geben – diese sei ausreichend.
In AfD-Manier erinnerte die 42-Jährige dann einseitig an die Homophobie von Asylbewerbern: "Darf ich Ihnen und Ihren Genossen einen Tipp geben: Sie engagieren sich doch viel in der Flüchtlingshilfe. Sprechen Sie mal mit diesen Menschen über LSBTTIQ und Sternchen. Sie werden es ahnen. Die CDU-Fraktion lehnt diesen unnötigen Antrag ab."
SPD: Aktionsplan ist bereits "echter Kulturwechsel"
Die SPD-Politikerin Iris Raether-Lordieck verwies anschließend darauf, dass es noch "krude Vorstellungen" gegenüber sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten gebe. Diskriminierung sei noch immer weit verbreitet, die Lage in Sachsen habe sich aber seit dem Regierungseintritt der SPD vor vier Jahren verbessert. Der Aktionsplan gegen Homophobie sei ein "echter Kulturwandel und großer Erfolg für die Community".
Der Antrag der Linken sei gut und "im Prinzip unterstützenswert", so Raether-Lordieck weiter. Sie stellte die Umsetzbarkeit in Frage, gab aber gleichzeitig mit Blick auf den Koalitionspartner zu, dass sich Teile der Staatsregierung diesem Thema "zu vorsichtig" näherten.
AfD-Kritik: "Alle Schüler ordentlich durchgendern, früh sexualisieren, schöne neue Welt!"
Daraufhin knüpfte AfD-Redner Carsten Hütter nahtlos an die Rede von Daniela Kuge an. "Keinem Mensch ist es verboten zu leben, wie er will, zu lieben, wie er will. Dies gilt in Sachsen und in ganz Deutschland. Natürlich im Rahmen unserer Werteordnung", behauptete der 53-jährige Rechtspopulist – und begann mit der typisch homophobe Argumentationsweise seiner Partei: "Ich kann Ihnen sagen, was Sie erreichen, wenn Sie so weitermachen: die absolute Verwirrung. Am Ende des Tages würden die Kinder aus der Schule gehen und nicht mehr wissen, ob sie Männlein oder Weiblein sind. Alle Schüler ordentlich durchgendern, früh sexualisieren, schöne neue Welt! Vielen Dank, das brauchen wir nicht."
Carsten Hütter ist bereits in der Vergangenheit durch homophobe Äußerungen auf Facebook aufgefallen (queer.de berichtete)
Hütter warf der Linken auch Diskriminierung vor, weil sie sich um die sexuelle Identität von Menschen Sorgen mache, aber eine andere Identität ausblende: "Sie wollen etwas untersucht haben, dass sie doch sonst konsequent so ablehnen: Identität. Die nationale Identität, das Deutschsein, kommt in Ihrer Welt zum Beispiel gar nicht erst vor", so Hütter. Das sei "selektive Diskriminierung nach Art der Linken".
Auch das Thema Ausländer griff die AfD – wie schon zuvor die CDU – auf. Hütter führte aus, dass "Hass gegen Homosexuelle" durch die "Masseneinwanderung" nach Deutschland gebracht worden sei.
Umfrage zeigt: Sächsische Bevölkerung wird homophober
Die Grünenpolitikerin Katja Meier zeigte anschließend Unterstützung für den Antrag der Linken. Die Politik wisse nicht wirklich, wo Ausgrenzung und Benachteiligungen im Freistaat besonders virulent seien. Sie unterstütze eine Online-Befragung, da versteckt lebende LGBTI im ländlichen Raum nur schwer zu erreichen seien. Sie verwies auch auf die Ergebnisse des Sachsen-Monitors im vergangenen Jahr, nach dem die Homophobie im Freistaat einen Aufschwung erlebt (queer.de berichtete).
Andrea Kersten von der rechtspopulistischen "Blauen Partei", einer Abspaltung der AfD, machte anschließend ihre Ablehnung für den Antrag deutlich. Ähnliche Studien würden etwa bereits in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg vorliegen – und man müsse die ganze Frage nicht noch einmal in Sachsen untersuchen, so Kersten.
Gleichstellungs-Staatsministerin Petra Köpping (SPD) zeigte sich anschließend noch einmal offen für die Lage von LGBTI. Den Linken-Antrag werde die Koalition aber ablehnen, da die Umsetzung "finanziell eine Belastung für meinen kleinen schmalen Haushalt ist". Repräsentative Studien seien methodisch sehr aufwändig, insbesondere in einem stigmatisierenden Umfeld. "Wir wissen sehr wohl um die schwere Situation der Community in ländlichen Räumen", so Köpping. Daher würde die Regierung "effektive Beratungsstrukturen" in der Provinz fördern. Sie verwies auch darauf, dass Sachsen ein "bundesweit einmaliges" Netzwerk für queere Flüchtlinge aufgebaut habe (queer.de berichtete).
SPD-Staatsministerin Petra Köpping beklagte, dass sie kein Budget für die Erstellung einer LGBTI-Studie habe
Das Schlusswort hatte erneut Sarah Buddeberg. Sie griff die Haltung von CDU und SPD an, dass ihr Antrag unwichtig oder zu teuer wäre. Insbesondere der "diffuse" Verweis auf Flüchtlinge von Daniela Kuge könne als sehr "düster" angesehen werden. Sie verwies zudem darauf, dass LGBTI auch als Steuerzahler ein Anrecht darauf hätten, ernst genommen zu werden: "Wer wirklich der Meinung ist, dass Nichtheterosexuelle keine Steuern zahlen – ja, ich weiß nicht, was ich sagen soll, ohne dass ich dann einen Ordnungsruf bekomme. Jedenfalls stimmt das nicht."
Bei der anschließenden Abstimmung lehnte eine Mehrheit der Abgeordneten den Antrag der Linken ab, eine Studie zur Lage von sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten zu erstellen.
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