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Historische Rede
"Ihre Worte tun unendlich gut"
Reaktionen aus der Community auf die Entschuldigung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier für die staatliche Verfolgung von LGBTI in Deutschland.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seiner Rede am Berliner Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen (Bild: Bundespräsidialamt)
- 3. Juni 2018, 16:41h 3 Min.
Die Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Sonntag beim Berliner Festakt zum zehnten Jahrestag der Einweihung des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen hat in der queeren Community überwiegend positive Reaktionen ausgelöst. Das Staatsoberhaupt hatte darin LGBTI um Vergebung für die staatliche Verfolgung gebeten (queer.de berichtete).
"Ihre Worte tun unendlich gut", meinte LSVD-Bundesvorstand Günter Dworek, der ebenfalls beim Festakt sprach, abweichend von seinem Redemanuskript in einer spontanen Reaktion – offensichtlich hatte er mit einer Entschuldigung nicht gerechnet. Dies sei ein "weiterer Meilenstein" nach der Rehabilitierung der Nachkriegsopfer des Paragrafen 175. Im Manuskript zeigte sich Dworek bereits begeistert, dass Steinmeier das Homo-Mahnmal überhaupt besuchte: "Und heute ist erstmals ein deutsches Staatsoberhaupt hier bei uns. Sehr geehrter Bundespräsident, das bedeutet für uns Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen sehr, sehr viel!"
"Tagesspiegel"-Redakteur Tilmann Warnecke sprach in einem Kommentar von einem "historischen Akt" des Bundespräsidenten: "Es war tatsächlich in der Geschichte der Bundesrepublik das allererste Mal, dass das Staatsoberhaupt der Leiden der Homosexuellen so explizit gedachte. Steinmeier sprach Worte, auf die viele zu lange warten mussten, wie er selbst zugab. Er bat um Vergebung – nicht nur für das, was Homosexuellen vor 1945 angetan wurde, sondern, fast noch wichtiger, auch danach." Es sei beschämend, dass die Rehabilitierung bis 2017 dauerte, so der Journalist weiter. "Umso größer das Zeichen Steinmeiers – gerade in Zeiten, in denen die Selbstverständlichkeit von Minderheitenrechten von Populisten wieder infrage gestellt wird."
Nicht nur wegen der Entschuldigung seien die "sehr eindrücklichen und empathischen Worte" des Bundespräsidenten bemerkenswert, schrieb der Kölner Blogger Marcel Dams in einem Facebook-Post. "Ich bin jedoch auch so berührt von dieser Rede, weil wir viel daraus lernen können. Es ist nicht nur schön und angemessen, dass unser Staatsoberhaupt die oft Vergessenen nicht unerwähnt lässt", so Dams in Bezug u.a. auf lesbische, inter- und transsexuelle NS-Opfer. "Es geht nicht nur um Schwule. Es geht um das Aufbrechen heteronormativen Hasses an sich. Deshalb sollte Community trotz aller Unterschiede zusammenhalten."
"Chapeau, Herr Steinmeier", schrieb Bodo Niendel, queerpolitischer Referent der Linksfraktion im Bundestag, in einem Facebook-Post, in dem er auch an die verschämte Einweihung des Denkmals vor zehn Jahren erinnerte: "Dem LSVD wurde es nicht gestattet; zwei sich küssende Männer (die in dem Kurzfilm vorkommen, der im Mahnmal zu sehen war) auf die Einladungskarte zu drucken." Dass nun am Sonntag erstmals der Bundespräsident am Denkmal redete, sei "an sich ein wichtiges staatspolitisches Ereignis" und zeige den "Erfolg vieler Jahre emsigen Kampfes", so Niendel. "Dass er obendrein eine fulminante Rede hielt, bei der er sich für die Verfolgung und Unterdrückung von queeren Menschen (insbesondere in der Nachkriegszeit) entschuldigte und um Vergebung bat, macht diese Rede zu einer bedeutenden."
Die Aussagen des Bundespräsidenten seien "ein wenig phrasenhaft", kritisierte dagegen Jan Feddersen in einem "taz"-Kommentar. "Nichts war falsch an dieser symbolisch zutreffenden Rede. Und doch hätte sie mehr aussagen können, ja sogar müssen." So habe Steinmeier nicht erwähnt, dass der Paragraf 175 insgesamt als Strafandrohung gegen alle wirkte und wirken sollte: "Alle lernten, dass Schwules ein minderer Dreck ist, nicht liebenswert und entwertet gehört." Das Staatsoberhaupt habe nur gesagt, "was man von ihm erwarten durfte", so Feddersen. "Woran liegt es sonst, wenn nicht an den homophob vergifteten Verhältnissen in deutschen Familien seit Jahrzehnten, dass sich erst wenige Opfer des Paragrafen 175 entschlossen, das seit einem Jahr geltende Rehabilitations- und Entschädigungsgesetz in Anspruch zu nehmen? Die Furcht ist noch da."

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"Deshalb sollte Community trotz aller Unterschiede zusammenhalten."
- Deshalb sollte die Community trotz aller Unterschiede zusammenhalten.
(Ja, das sollte sie. Aber ob sie es tatsächlich tut, ist die Frage).