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Historische Rede
Homo-Orden für Frank-Walter Steinmeier
Die LGBTI-Community hat mit dem Bundespräsidenten einen neuen Verbündeten bekommen. Wir nehmen seine Entschuldigung an, ihn aber auch beim Wort.

Maxim Krylov / twitter) Am Berliner Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen verneigte sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Sonntag vor den Opfern (Bild:
4. Juni 2018, 11:55h 3 Min. Von
Als das vom Bundestag beschlossene und mit Bundesmitteln finanzierte Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen vor zehn Jahren eingeweiht wurde, war der hochrangigste staatliche Vertreter der Kulturstaatssekretär – der damalige Bundespräsident Horst Köhler blieb lieber im nahe gelegenen Schloss Bellevue. Auch Christian Wulff und Joachim Gauck hielten es in ihrer Amtszeit nicht für nötig, dort mal einen Kranz abzulegen für die ungeliebte NS-Opfergruppe. Allein für seinen Besuch am Sonntag hat Frank-Walter Steinmeier deshalb einen Homo-Orden verdient.
Als Außenminister zeigte der SPD-Politiker wenig Einsatz für die Menschenrechte von LGBTI, und nicht einmal in einem Wahlkampf ließ er sich auf einer CSD-Kundgebung blicken. Die wenigen Dutzend Menschen, die sich am Sonntagmorgen pflichtbewusst bei Nieselregen zum Festakt im Berliner Tiergarten versammelten, hatten allenfalls eine wohlmeinend-belanglose Rede des neuen Bundespräsidenten erwartet. Mit seiner Bitte um Vergebung "für all das geschehene Leid und Unrecht und für das lange Schweigen, das darauf folgte", überraschte Steinmeier mit einem in der Tat historischen Akt.
Wo Steinmeier hätte deutlicher werden müssen
Dass niemand mit dieser wichtigen und überfälligen Geste des Staatsoberhaupts gerechnet hat, sagt viel über Deutschland und seinen Umgang mit seinen sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten aus. Denn nicht alle LGBTI haben wirklich das Gefühl, dass sie "selbstverständlich unter dem Schutz unseres Staates" stehen, wie es Steinmeier in seiner Rede dankenswerterweise klarstellte, und dass ihre Würde "so selbstverständlich unantastbar" ist. Warum dann der heftige Widerstand der Union gegen einen spezifischen Diskriminierungsschutz im Grundgesetz?
Vor allem: Während Lesben und Schwule 2017 endlich rechtlich gleichgestellt wurden, ringen Trans- und Intersexuelle in Deutschland noch immer um elementare Menschen- und Bürgerrechte. Auch wenn ein Bundespräsident sich aus der Tagespolitik heraushält, hätte Steinmeier in seinem kurzen Abschnitt "Wir alle wissen: Es gibt noch einiges zu tun" in diesem Punkt viel deutlicher werden können, ja müssen. Zumal er – auch das war vorbildlich – explizit das gesamte Spektrum der LGBTI-Community ansprach und selbst das Wort "Queers" in den Mund nahm.
Rückenwind für die Queerpolitik
Wir nehmen die Entschuldigung des Bundespräsidenten an, ihn aber auch beim Wort. Nach dieser Rede kann Steinmeier sich nicht ausruhen – unser "Homo-Orden" soll Ansporn und Erinnerung sein, sich weiter für LGBTI-Rechte einzusetzen. In den aktuellen Diskussionen um Artikel drei des Grundgesetzes sowie um ein modernes Transsexuellen- und Personenstandsrecht kann sein starkes Plädoyer für Vielfalt und Akzeptanz zumindest indirekt helfen, hier endlich Fortschritte zu erzielen.
Die LGBTI-Community hat mit dem Staatsoberhaupt einen neuen Verbündeten bekommen, den sie auch dringend braucht. Wie schwer sich Deutschland noch immer mit seinen queeren Bürgern tut, zeigt allein das geringe Medienecho auf den Festakt vom Sonntag. Nicht nur in der "heute"-Sendung des ZDF um 19 Uhr kam die historische Bitte des Bundespräsidenten um Vergebung nicht vor.

Es ist ein grundlegender Unterschied zwischen
"sich entschuldigen", "um Entschuldigung bitten" und "um Vergebung bitten".
Man kann sich im Kern nicht selbst "für etwas entschuldigen", gesagt ist gesagt, getan ist getan, passiert ist passiert. - Man kann den /die anderen "um Entschuldigung" bitten, das hieße, daß man vom Gegenüber quasi "von der Schuld freigesprochen wird", also die Entschuldigung angenommen wird. Das erfordert aber immer die "Aktion" des Geschädigten oder Verletzten.
- Um Vergebung bitten" ist eine viel weitreichendere Geste. Auch hier "bittet man zwar (quasi) um Entschuldigung, verbindet das meines Erachtens aber gleichzeitig automatisch mit dem Schuldeingeständnis und der Vergebung durch den Geschädigten, also auch so etwas wie eine gegenseitige Geste der Versöhnung:
Das hat in der Tat noch nie jemand vorher in diesem Staat so deutlich und ehrlich und anerkennswert gesagt oder getan.
Hut ab!