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"Unser offizieller Standpunkt"
Indien: Homosexualität keine Geisteskrankheit mehr
Die größte Berufsvereinigung psychosozialer Fachkräfte fordert ihre Mitglieder auf, Homosexualität nicht länger als Krankheit anzusehen. Der Staat betrachtet Schwule und Lesben aber weiterhin als Kriminelle.

Vinayak Das / flickr) Trotz des Homo-Verbots gibt es in Indien CSDs, wie hier in der Millionenstadt Bangalore (Bild:
- 12. Juni 2018, 14:44h 2 Min.
Die Fachverband Indian Psychiatric Society (IPS) hat vergangene Woche eine Erklärung veröffentlicht, wonach er Homosexualität nicht mehr als psychische Erkrankung einstuft. Die Berufsvereinigung der Psychiater forderte ihre mehr als 5.000 Mitglieder auf, dass sie nicht mehr versuchen sollten, Homosexuelle zu "heilen". Die IPS hat als größte Berufsvereinigung von Medizinern, die im psychosozialen Bereich arbeiten, erheblichen Einfluss in Indien.
Die Erklärung ist das Ergebnis einer Arbeitsgruppe, die zwei Jahre lang über das Thema beraten hat. Dabei handle es sich um "unseren offiziellen Standpunkt zum Thema Homosexualität", sagte Dr. Kersi Chavda, der Chef der Arbeitsgruppe. Die IPS beziehe erstmals Stellung zum Thema.
"Natürlicher Unterschied"
IPS-Chef Dr. Ajit Bhide erklärte in einem in sozialen Netzwerken veröffentlichten Video, dass man Schwule und Lesben nach aktuellem wissenschaftlichen Stand nicht mehr pathologisieren könne. Die Anerkennung Homosexueller als gesunde Menschen sei "ein Schritt in die richtige Richtung". Er forderte von seinen Kollegen und der Gesellschaft die Akzeptanz sexueller Minderheiten: "Manche Leute sind einfach nicht heterosexuell und wir müssen sie deswegen nicht geißeln, bestrafen oder ächten." Homosexualität sei ein "natürlicher Unterschied", aber keine "Verirrung". "Was auch immer Ihre sexuelle Orientierung ist: So lange Sie niemanden schädigen, sollte jeder das tun dürfen, was er will."
Indien ist das einwohnerreichste Land der Welt, das noch am Verbot von homosexuellen Handlungen festhält. Paragraf 377 verbietet "sexuelle Handlungen wider die Natur". Zwar sind in den letzten zwei Jahrzehnten keine Verurteilungen aufgrund des Gesetzes bekannt geworden, allerdings wird es laut LGBTI-Aktivisten von Polizeibeamten eingesetzt, um Schwule und Lesben einzuschüchtern oder zu erpressen. Allein 2015 wurden 1.347 Menschen nach dem Paragrafen festgenommen.
Paragraf 377 geht auf ein 1861 von den britischen Kolonialherren eingeführtes Gesetz zurück. Es wurde zwar 2009 von einem Gericht in Neu-Delhi für verfassungswidrig erklärt und außer Kraft gesetzt (queer.de berichtete). Allerdings revidierte der oberste Gerichtshof Indiens vier Jahre später diese Entscheidung überraschend und führte damit das Homo-Verbot erneut ein (queer.de berichtete). Seither scheiterten Versuche einer Re-Legalisierung von Homosexualität im Parlament. Immerhin hat der Verfassungsgerichtshof Anfang des Jahres angekündigt, sich erneut des Gesetzes anzunehmen (queer.de berichtete).
Homosexualität ist in der indischen Gesellschaft noch immer ein großes Tabuthema, auch wenn es seit der vorübergehenden Legalisierung vermehrt in den Medien behandelt wurde. Immer wieder hetzten hochrangige Politiker gegen Schwule und Lesben. So erklärte der frühere Gesundheitsminister und heutige Oppositionsführer Ghulam Nabi Azad vor wenigen Jahren, Homosexualität sei eine "westliche Krankheit" (queer.de berichtete). (dk)
