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§175: Erst 99 Anträge auf Entschädigung

Auch ein Jahr nach Verabschiedung des Rehabilitierungs-Gesetzes melden sich kaum Betroffene beim Bundesamt für Justiz.


In der Nachkriegszeit wurden in der Bundesrepublik und der DDR rund 65.000 Männer wegen homosexueller Handlungen verurteilt (Bild: Moscas de Colores)

Am 23. Juni 2017 beschloss der Bundestag einstimmig ein Gesetz zur "strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen" (queer.de berichtete). Neben der Aufhebung der Urteile nach den Paragrafen §175 und §151 (DDR) sieht das Gesetz auf Antrag der Betroffenen oder deren Hinterbliebenen auch eine kleine Entschädigungsleistung vor.

Doch nach Auskunft des dafür zuständigen Bundesamts für Justiz kommen weiter weniger Anträge an als erwartet. Bislang habe man 99 Anträge erhalten, teilte die Bonner Behörde dem Evangelischen Pressedienst (epd) mit. Gerechnet hatte man ursprünglich mit bis zu 5.000. In der Praxis waren die Anträge seit August möglich (Infos zur Antragstellung samt Hotline).

Wie evangelisch.de aus der Antwort weiter berichtet, seien bislang rund 333.000 Euro an Entschädigungen gezahlt worden. Die meisten Anträge mit jeweils 18 Fällen stammten aus Nordrhein-Westfalen und Bayern, gefolgt von Berlin mit 14 und Baden-Württemberg mit elf Gesuchen.

Nachbesserungen erhofft

74 Anträge wurden bislang bewilligt, bei einigen stehe noch eine bei der Staatsanwaltschaft zu beantragende Rehabilitierungsbescheinigung aus, so das Amt. Drei Gesuche wurden abgelehnt; darunter ein Fall, in dem der Verfolgte "nur" in Untersuchungshaft gesessen hatte, aber nicht verurteilt wurde.

Der Fall ist bekannt: Gegenüber mehreren Personen erzählte im letzten Dezember der damals 99-jährige Wolfgang Lauinger von der offiziellen "Versagung der Entschädigung" (queer.de berichtete). Der durch ein Buch über seine Familiengeschichte bekannte Betroffene der Frankfurter Homosexuellenprozesse starb wenige Wochen später (queer.de berichtete, Nachruf).


Wie viele andere war Wolfgang Lauinger auch ohne Verurteilung vom Paragrafen 175 betroffen

Auch mit diesem Schicksal als Hintergrund hatten Grüne und FDP in den letzten Monaten Nachbesserungen an dem Gesetz angemahnt. Letzte Woche hatte zudem das Land Berlin eine entsprechende Bundesrats-Initiative angekündigt (queer.de berichtete). Für Kritik hatte im letzten Sommer auch gesorgt, dass auf Druck der Union in letzter Sekunde alle Verurteilten pauschal von einer Rehabilitierung ausgenommen wurden, deren Partner zum "Tat"-Zeitpunkt unter 16 Jahre alt waren.

Individuelle Schicksale

Das Bundesamt der Justiz vermutet sehr individuelle Gründe für die wenigen Anträge. "Nach meiner persönlichen Einschätzung sind viele Betroffene traumatisiert und wollen womöglich nicht an die Staatsanwaltschaft herantreten, die sie damals angeklagt hat", sagte Behördensprecher Thomas Ottersbach.


Die Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren (BISS) bietet eine Hotline für Betroffene an

Aufgrund Verfolgung und Stigmatisierung könnten einige Betroffene auch eine Frau geheiratet und Kinder bekommen haben und diese Identität nun wahren wollen, so Ottersbach gegenüber epd. Andere Hochbetagte könnten die Entschädigungsmöglichkeit nicht mitbekommen haben oder gesundheitlich nicht mehr in der Lage sein, sich um diese zu kümmern. (nb)

#1 JasperAnonym
  • 16.06.2018, 14:29h
  • Das wundert mich überhaupt nicht, denn eine angebliche Rehabilitierung, die einen wieder neu zum Opfer macht (z.B. indem sie zahlreiche Opfer ausschließt und andere mit Almosen abspeist, die nicht mal den Verdienst- und Rentenausfall decken) lehnen viele ja ab.

    Die wollen sich einfach nicht missbrauchen lassen um der Regierung als Marketing-Masse oder als Feigenblatt zu dienen, damit diese Polit-Clowns sich auf die Schulter klopfen können und denken, sie hätten ein tolles Gesetz gemacht, was Opfern hilft. Denn dieses Gesetz ist eigentlich ein Skandal.
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#2 YannickAnonym
  • 16.06.2018, 14:47h
  • "Drei Gesuche wurden abgelehnt; darunter ein Fall, in dem der Verfolgte "nur" in Untersuchungshaft gesessen hatte, aber nicht verurteilt wurde."

    Ist Untersuchungshaft keine Haft?

    Und hat der danach nicht gesellschaftliche Repressionen wie Verlust von Familie und Freunden, Verlust der Arbeitsstelle, etc. erfahren?

    Das zeigt nur wieder mal, wie lächerlich dieses Gesetz ist und dass das viele Opfer nochmal neu zu Opfern macht.

    Es ging der SPD niemals um die Opfer oder um echte Rehabilitierung, sondern nur um eine raffinierte Marketing-Aktionen, um wieder mal die LGBTI rechtzeitig vor der Wahl verarschen zu können. Das ist nicht das erste mal, dass die SPD solche schmutzigen Tricks anwendet, aber dass die SPD sogar Opfer für ihre Zwecke instrumentalisiert, ist wirklich der Gipfel der Perversität. Kann eine ehemals stolze Partei noch tiefer fallen?!...
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#3 YannickAnonym
  • 16.06.2018, 14:52h
  • "Für Kritik hatte im letzten Sommer auch gesorgt, dass auf Druck der Union in letzter Sekunde alle Verurteilten pauschal von einer Rehabilitierung ausgenommen wurden, deren Partner zum "Tat"-Zeitpunkt unter 16 Jahre alt waren."

    Das konnte die Union aber auch nur, weil die SPD dem zugestimmt hat.

    Dadurch wurde z.B. ein verurteilter 16-jähriger, dessen Freund wenige Wochen jünger war, ausgenommen.

    Die Union will immer noch (selbst wenn sie von Gerichten gezwungen werden) so viel Diskriminierung wie möglich rausholen. Aber das kann die Union auch nur, weil die SPD ihr regelmäßig die Mehrheiten dafür sichert und weil Andrea Nahles, Heiko Maas, Manuela Schwesig & Co brav nach Merkels Pfeife tanzen.
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#4 herve64Ehemaliges Profil
#5 JohannbAnonym
  • 16.06.2018, 15:14h
  • Wie erfahren denn die Betroffenen von der Moeglichkeit? Ob die das überhaupt wissen?
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#6 BewegungsschwesterAnonym
  • 16.06.2018, 15:21h
  • Antwort auf #1 von Jasper
  • Woher weißt Du, dass viele das ablehnen?

    Ich kann aus meiner Erfahrung nur sagen, dass ich mit mehreren nach § 175 verurteilten Männern gesprochen habe. Die empfanden das Gesetz nicht als Skandal, sondern waren sehr glücklich darüber, dass sie hochoffizell vom Makel eines Straftäters befreit waren. Was das bedeuten mag, kann man vielleicht auch nur nachvollziehen, wenn man als Betroffener seine Rehabilitierungsurkunde in der Hand hält. Die finanziellen Aspekte spielten für die alten Männer, die ich kennengelernt habe, keine entscheidende Rolle. Viel wichtiger war ihnen die Rehabilitierung als solche.

    Ich würde Dich doch bitten wollen, dass Du mit Deinem sehr scharfen Beitrag das Glück dieser Männer nicht schmälerst und sie noch in die Ecke willfähriger Marionetten stellst, die sich haben instrumentalisieren lassen, damit Politiker*innen irgendwie glänzen können. Die sind auch nicht alle doof und haben sich vor irgendeinen Karren spannen lassen. Wenn sie erneut zu Opfern gemacht werden, dann von Menschen wie Dir, denen offenbar nicht klar ist, was sie mit ihrer Sprache erreichen, wenn sie den alten Männern einreden, ihre Rehabilitierung sei lächerlich und nichts wert.
    Dass Du Dein Maul heute so weit aufreißen kannst, hast Du v.a. ihnen zu verdanken. Shame on you!
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#7 PfuiAnonym
#8 Carsten ACAnonym
  • 16.06.2018, 15:47h
  • Antwort auf #1 von Jasper
  • Dieses Gesetz war von Anfang an ein Skandal und ich konnte nie verstehen, warum so viele darauf reingefallen sind und die SPD dafür gefeiert haben.

    1.
    Viele Opfer des §175 werden weder rehabilitiert, noch bekommen sie auch nur einen einzigen Cent Entschädigung.

    Z.B. weil sie "nur" in Untersuchungshaft waren oder weil sie letztlich doch nicht verurteilt wurden (z.B. weil sie angeklagt, aber aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurden).

    Dabei haben auch diese Opfer oft ihr soziales Umfeld verloren oder mussten gar in fremde Städte ziehen, wo sie niemanden kannten. Und auch diese Opfer haben oft ihre Jobs verloren und konnten nie mehr im erlernten Beruf tätig sein. Sie mussten sich mit Hilfstätigkeiten weit unter ihrer Qualifikation über Wasser halten oder sogar von Arbeitslosengeld leben. Die sehen für Verdienst- und Rentenausfälle oder für den seelischen Schaden durch gesellschaftliche Ausgrenzung und Verlust des sozialen Umfelds keinen einzigen Cent.

    2.
    Selbst die Teilmenge der Opfer, die rehabilitiert wird, bekommt nur eine Haftentschädigung, aber genau wie die oben unter (1) genannte Gruppe weder etwas für Verdienst- und Rentenausfälle durch verlorene Jobs, noch etwas für den seelischen Schaden, der durch Verlust des sozialen Umfelds und das gesellschaftliche Stigma entstanden ist.

    3.
    Und die Haftentschädigung dieser Opfer, die überhaupt was bekommen, ist nicht mal ein Zehntel dessen, was unschuldig inhaftierte Heteros bekommen.

    4.
    Von Zinsen und Zinseszinsen, die eigentlich anfallen würden, brauchen wir gar nicht erst zu reden.

    Fazit:

    Dieses Gesetz ist zynisch und menschenverachtend, weil es ganz willkürlich manche Opfer rehabilitiert und entschädigt, während andere Opfer komplett leer ausgehen. Man unterscheidet also sehr zynisch in Opfer 1. und Opfer 2. Klasse.

    Und diejenigen, die überhaupt was bekommen, werden auch noch mit Almosen abgespeist. Ich vermute, dass die Regierung ganz makaber auf das Alter vieler Opfer setzt und darauf hofft, dass ihnen die Zeit zum Klageweg fehlt und sie deshalb diesen Almosen zustimmen statt gar nichts mehr zu bekommen. Zumal viele von denen auch (eben durch Verdienst- und Rentenausfälle) in bitterer Armut am Existenzminimum leben. Und dann nimmt man lieber ein paar Brotkrumen als nochmal länger auf das zu warten, was einem eigentlich zustünde. Und vielen fehlt auch einfach die Kraft, noch länger zu kämpfen.

    Und genau darauf haben wohl Union und SPD gesetzt und das eiskalt einkalkuliert.

    Kein Wunder, dass die Union dem zugestimmt hat. So billig kann man sich sonst nicht aus der Affäre ziehen. Und die SPD hat das entworfen.

    Eigentlich wäre es (gerade auch vor der Hintergrund deutscher Geschichte mit rosa Winkel und Schwulen, die in KZs Opfer medizinischer Menschenversuche wurden oder ermordet wurden) eine Sache staatsmännischer Verantwortung und des Gewissens alle Opfer des deutschen Staates zu rehabilitieren und wenigstens halbwegs angemessen zu entschädigen.

    Aber Gewissen findet man bei Union und SPD wohl nicht mehr. Da geht es nur noch um persönliche Vorteile und sich möglichst billig aus der Affäre zu ziehen.
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#9 Carsten ACAnonym
#10 Mein NachbarAnonym
  • 16.06.2018, 16:03h
  • Ich möchte Euch mal von meinem Nachbarn erzählen, von dem ich damals im Vorfeld der Gesetzes-Verabschiedung auch schon mal erzählt habe.

    Denn oft versteht man abstrakte Diskussionen über Gesetze besser, wenn man konkrete Folgen kennt.

    Also:
    mein Nachbar ist auch Opfer des §175. Er hat als junger Mann seinen Beruf und seine Familie verloren.

    Anfangs hat er sich noch mit Gelegenheitsjobs auf dem Bau und bei der Müllabfuhr über Wasser gehalten. Aber als dann seine Knochen kaputt waren und er aufgrund der seelischen Narben auch nichts anderes mehr fand, lebte er halt von Arbeitslosenhilfe bzw. später von Hartz IV.

    Dadurch hat er natürlich auch heute als Rentner viel weniger Rente und lebt in wirklich ärmlichen Verhältnissen.

    Als junger Mann war seine große Leidenschaft immer das Kino. Aber er hat heute nicht mal genug Geld um mal ins Kino zu gehen. Als ich ihn mal ins Kino eingeladen hat, wollte er erst gar nicht annehmen, weil er sich so schämte. Aber als er dann doch mitging, hat er vor Rührung geweint, dass er nach Jahrzehnten nochmal in einem Kino war. Er dachte schon, dass er bis zu seinem Tod nie mehr in ein Kino käme.

    Und der bekommt keinen einzigen Cent Entschädigung für die Verbrechen des deutschen Staats!!!!

    Unsere schwarz-rote Bundesregierung (und auch die Parteibasis der SPD, die das abgesegnet hat) sollte sich was schämen. Aber dafür bräuchten die Anstand und ein Gewissen.

    Für mich sind Union und SPD gestorben. Für immer.

    Ich wünschte, die ganzen Abgeordneten in ihren weichen Sesseln mit ihren hohen Gehältern und Pensionen hätten in die Augen meines Nachbarn sehen können, der wie ein Kind geweint hat, weil er nochmal nach Jahrzehnten und vor seinem Tod in ein Kino konnte, was er sich eigentlich nicht leisten kann.

    Die sollten vor Scham im Boden versinken und sich nie mehr in der Öffentlichkeit blicken lassen.
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