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Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes

Auch Österreich erkennt drittes Geschlecht an

Ein gutes halbes Jahr nach dem deutschen Bundesverfassungsgericht ordnet auch das höchste Gericht Österreichs an, dass es ein drittes Geschlecht gibt.


Alex Jürgen hat nach einer Niederlage in der Vorinstanz einen Sieg auf voller Linie vor den Höchstrichtern eingefahren (Bild: RKL)

  • 29. Juni 2018, 14:56h 3 3 Min.

Der österreichische Verfassungsgerichtshof hat in einer am Freitag bekannt gegebenen Entscheidung festgestellt, dass Standesämter in offiziellen Formularen ein drittes Geschlecht anerkennen müssen (PDF). Intersexuelle Menschen, deren biologisches Geschlecht also nicht eindeutig "männlich" oder "weiblich" ist, "haben ein Recht auf eine ihrer Geschlechtlichkeit entsprechende Eintragung im Personenstandsregister oder in Urkunden", heißt es in der Erläuterung des Urteils. Für die Anerkennung sei keine Gesetzesänderung nötig, sondern es werde lediglich eine "verfassungskonforme Interpretation des Personenstandsgesetzes" verlangt.

Geklagt hatte Alex Jürgen, eine 1976 geborene intersexuelle Person, die beantragt hatte, ihr Geschlecht auf "inter", "anders", "X" oder eine ähnliche Bezeichnung zu ändern. Das Standesamt Steyr hatte diesen Antrag aber abgelehnt. Auch in der Vorinstanz war Jürgen gescheitert; das Landesverwaltungsgericht Linz erklärte 2016, dass es "keine Bedenken an der Verfassungskonformität der Bestimmungen" gebe (queer.de berichtete). Die Höchstrichter korrigierten nun diese Entscheidung.

Richter: Europäische Menschenrechtskonvention schützt Intersexuelle

Das Urteil, das auf den 15. Juni datiert ist, ist auf Grundlage von Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention gefallen, der die Achtung des Privat- und Familienlebens gewährleistet. Darunter fiele laut den Verfassungsrichtern auch der Schutz der menschlichen Persönlichkeit in ihrer Identität, Individualität und Integrität und somit die geschlechtliche Identität.

Dieses Recht auf individuelle Geschlechtsidentität umfasse auch, dass Menschen nur jene Geschlechtszuschreibungen durch staatliche Regelung akzeptieren müssten, die ihrer Geschlechtsidentität entsprechen. Wörtlich heißt es in dem Urteil, dass intersexuelle Menschen das Recht hätten, "vor einer fremdbestimmten Geschlechtszuweisung" geschützt zu werden.

Diesem Anspruch werde das Personenstandsgesetz aus dem Jahr 2013 gerecht, das allerdings offener ausgelegt werden müsse: Das Gesetz konkretisiere den Personenstand "Geschlecht" nicht näher, gebe also keine Beschränkung ausschließlich auf männlich oder weiblich vor. Der Verfassungsgerichtshof verweist insbesondere auf die Bezeichnungen "divers", "inter" oder "offen", die verwendet werden könnten und auch von der Bioethikkommission beim österreichischen Bundeskanzleramt vorgeschlagen worden seien. Der Gesetzgeber habe das Recht, eine bestimmte Variante vorzugeben.

Auch OPs an Neugeborenen (meistens) verboten

In ihrer Entscheidung weisen die Verfassungsrichter auch unmissverständlich darauf hin, dass geschlechtszuordnende medizinische Eingriffe im Neugeborenen- oder Kindesalter möglichst zu unterlassen seien und nur ausnahmsweise bei hinreichender medizinischer Indikation gerechtfertigt sein könnten. Die Angst der Familien vor Stigmatisierung begründe keinesfalls Eingriffe in die geschlechtliche Entwicklung der Kinder, so das Gericht.

Intersexuelle Aktivisten begrüßten den Erfolg vor Gericht überschwänglich: "Endlich kann niemand mehr verleugnen, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt", erklärte Tinou Ponzer vom Verein Intergeschlechtlicher Menschen Österreich (VIMÖ). "Vielfalt ist die Norm und die Existenz von geschlechtlicher Vielfalt darf nicht länger problematisiert und pathologisiert werden! Dank dem Mut von Alex Jürgen*, einen richtigen Eintrag einzufordern, muss sich das gesamte Rechtssystem mit der Frage der rechtlichen Gleichstellung und dem Schutz aller Geschlechter auseinandersetzen." Nun sei wichtig, dass eine Option geschaffen werde, "die keine Zwangsoption ist, sondern auf Freiwilligkeit und Selbstbestimmung beruht".

Das deutsche Bundesverfassungsgericht hatte erst im November letzten Jahres der Verfassungsbeschwerde einer 27-jährigen intersexuellen Person stattgegeben, die ebenfalls in offiziellen Formularen nicht mit dem Geschlecht "männlich" oder "weiblich" eingetragen werden möchte (queer.de berichtete). Die Höchstrichter in Karlsruhe bezogen sich in dieser Entscheidung auf Grundgesetz-Artikel 2, das allgemeine Persönlichkeitsrecht.

Im Gegensatz zu Österreich ist in Deutschland eine Gesetzesänderung nötig, die bis zum 1. Januar 2019 vollzogen sein muss. Innerhalb der Großen Koalition gibt es hierzu allerdings Streit, weil das CSU-geführte Innenministerium nur eine Minimallösung durchsetzen will (queer.de berichtete). (dk)

#1 NicoAnonym
  • 29.06.2018, 15:43h
  • Und wieder mal muss ein oberstes Gericht die Arbeit der Regierung machen, weil die Politik wieder mal schläft bzw. sich bei irgendwelchen rechten Hetzern einschleimen will.
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#2 Julian SAnonym
  • 29.06.2018, 18:37h
  • Gute Entscheidung. Aber erst mal abwarten, was die konservativ-rechte Regierung Österreichs daraus macht.

    Bei der ebenfalls vom Verfassungsgericht angeordneten Eheöffnung (die bis Ende dieses Jahres erfolgen muss) überlegen die ja auch krampfhaft, wie die das doch noch umgehen oder zumindest so viel Diskriminierung wie möglich rausholen können...

    Insofern erst mal abwarten, was die Regierung aus diesem Urteil macht...
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#3 YannickAnonym
  • 30.06.2018, 14:47h
  • Antwort auf #2 von Julian S
  • Ich hoffe mal, dass falls die österreichische Regierung bei Eheöffnung und/oder Anerkennung des dritten Geschlechts irgendwas verwässern, abschwächen, etc. sollte oder irgendwie anders behandeln sollte als bei anderen Menschen, dass dann das Verfassungsgericht einschreitet und dafür sorgt, dass die Regierung ihre Urteilssprüche korrekt und vollständig umsetzt.

    Ob es der Regierung passt oder nicht: auch sie müssen sich an die Urteile des höchsten Gerichts halten und die rechtsstaatliche Gewaltenteilung achten.
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