Zunächst hatte es friedliche Szenen aus Istanbul gegeben
Die Polizei der türkischen Metropole Istanbul hat am Sonntagnachmittag den 16. "Marsch des Stolzes" teilweise mit Gewalt und einigen Festnahmen unterdrückt. Die Lage ist noch unübersichtlich, verdüstert sich aber. Mit der Demonstration wollten Schwule, Lesben, Bisexuelle, Transsexuelle, Transgender und Freunde den Abschluss der CSD-Woche begehen, die zum 26. Mal abgehalten wurde.
Auf der Unabhängigkeitsstraße in der Innenstadt konnten sich ab kurz vor 18 Uhr Ortszeit (17 Uhr deutscher Zeit) zunächst hunderte Menschen friedlich versammeln und mit Gesängen den CSD feiern. "Schulter an Schulter gegen den Faschismus!", skandierten einige Teilnehmer, "Wir gehorchen nicht, wir schweigen nicht, wir fürchten uns nicht!"
Eigentlich war eine Versammlung am Taksim-Platz in der Nähe geplant gewesen, der aber von Beamten abgesperrt wurde. Später räumten in Westen gekleidete Polizisten zunächst friedlich die Straße, während sich die CSD-Demonstration von dort auch durch die Innenstadt bewegte und dabei an manchen Stellen von der Polizei zurückgedrängt wurde. Einige Beamte in Kampfmontur setzten dabei auch vereinzelt Reizgas und Schlagstöcke ein. Obwohl Wasserwerfer und Beamten-Hundertschaften bereit standen, kam es den bisherigen Berichten zufolge aber nicht zu extremen Gewaltexzessen wie in einigen Vorjahren: Entgegen einigen internationalen Berichten scheinen etwa die Wasserwerfer nicht eingesetzt worden zu sein.
Allerdings gibt es auch einen Bericht vom Einsatz von Gummigeschossen gegen eine Gruppe von rund 30 Demonstranten – und zuletzt auch Berichte von Attacken auf CSD-Teilnehmer durch Polizeihunde. Manche Aktivisten konnten bis zum Rande des Taksim-Platz vordringen und dort eine kurze Kundgebung abhalten, an anderer Stelle wurden offenbar einzelne mutmaßliche CSD-Besucher festgenommen.
Die unübersichtliche Lage hält derzeit noch an. Im sozialen Netzwerk Twitter nimmt der CSD derzeit einen Spitzenplatz in der Türkei ein – teilweise mit Bildern und Videos aus den Vorjahren. Gegen 20.30 Uhr Ortszeit erklärten die Organisatoren den Pride in sozialen Netzwerken für beendet – Teilnehmer sollten vorsichtig bei der Abreise und später der Anreise zur Abschlussparty sein. Man könne derzeit fünf Festnahmen an drei Orten bestätigen. Später sprachen Anwälte des CSD von mindestens 11 Festgenommenen.
Wie in den drei Jahren zuvor war die Demonstration am Freitag durch den von der Erdogan-Regierung bestimmten Gouverneur verboten worden (queer.de berichtete). Das Verbot zeuge von Hass und richte sich nicht einfach gegen Aktionen, sondern gegen die Existenz von Menschen, betonten die Pride-Veranstalter in einer Erklärung, die im Rahmen des CSD vor Medien verlesen wurde. Angebliche Sicherheitsgründe seien vorgeschoben; für Unfrieden und Gewalt sorge allein das Verbot.
Slogans gegen den Machthaber
"Unser Lachen, unsere Schreie und unsere Slogans" bildeten ein Echo in den Straßen, auf denen einst – bis zum ersten Verbot – zehntausende Menschen friedlich demonstrierten, betonten die Aktivisten. Während staatliche Verbrechen immer sichtbarer würden, werde versucht, die Sichtbarkeit von LGBTI zu verkleinern. Man werde den Taksim-Platz nicht aufgeben und erinnere die Gesellschaft daran, das "der Kampf gegen das Ein-Mann-Regime nicht ohne uns gelingen kann".
Die Beamten hatten schon Stunden zuvor Teile der Innenstadt abgeriegelt und laut kaos.gl Personen abgewiesen, die vom Aussehen her CSD-Teilnehmer sein könnten. Bei der "diskriminierenden" Kontrolle sei Abgewiesenen eine Festnahme angedroht worden, sollten sie sich nicht entfernen, berichtet das Portal. In der "verbotenen" Zone hatten zugleich einige EU-Botschaften Regenbogenflaggen und CSD-Plakate angebracht.
Bereits in den letzten drei Jahren war es in Istanbul immer wieder zu Polizeigewalt mit dem Einsatz von Wasserwerfern und Gummigeschossen sowie zu Festnahmen beim Pride und beim teilweise zusätzlich abgehaltenen Trans Pride gekommen (s. Archiv). Die Aktivisten wurden in der Regel nach wenigen Stunden auf der Wache wieder freigelassen.
Während in manchen Städten auch zuletzt noch weiterhin Kundgebungen zum CSD oder Internationalen Tag gegen Homo- und Transphobie ungestört stattfinden konnten, wurde in Ankara in dieser Woche selbst eine Vorführung des Films "Pride" untersagt. Die Regionalregierung von Ankara hatte im letzten November erst die Aufführung mehrerer deutscher LGBTI-Filme im Rahmen des "KuirFest", dann alle queeren Kulturverstaltungen verboten (queer.de berichtete). Später wurde das "KuirFest" auch in Istanbul untersagt; derzeit ist es für einige Wochen in Berlin zu Gast.
Für Sonntagnachmittag hatten Aktivisten auch nach Kreuzberg zur Kundgebung "Berlin walks with Istanbul Pride March" geladen. Vom Hermannplatz aus zogen hunderte Menschen durch die Straßen.
Update 2.7.: Alle Festgenommenen freigelassen
Laut kaos.gl waren gegen 1.30 Uhr in der Nacht alle elf Festgenommenen wieder frei. Die Organisation hat einen Zeit-Überblick der Geschehnisse erstellt.
warum wollen so viele türken das?