Als das Gerücht aufkam, das Schwule Museum solle umbenannt werden ‒ irgendwas mit "queer" ‒ sind einige Schwestern protestierend ausgetreten, weil sie nach dem Entfernen des Wortes "schwul" aus dem Namen eine übermächtige Dominanz von Lesben bei künftigen Entscheidungen fürchteten. Das Wort wurde nicht entfernt, dem "Museum" aber ein Sternchen angehängt, das wie der Verweis auf eine (nicht vorhandene) Fußnote aussah. Damit wollte man signalisieren, es geht hier nicht bloß um Liebe und Sex zwischen Männern, sondern um Liebes- und Sexualitätsformen in allen denkbaren Kombinationen. Jetzt ist das Sternchen weg und das Unwort des Jahrhunderts wurde deutlich verkleinert und in den Untertitel, manchmal auch Übertitel eines Drei-Buchstaben-Logos SMU verschoben.
Die ersten beiden Buchstaben S und M wären vielleicht als Schwules Museum oder Sadismus/Masochismus zu dechiffrieren, aber was ist mit dem U? U für Unzeitgemäß? Ueberirdisch? Urningthum? Underground? Who knows… Schwul bleibt jedenfalls irgendwo in der Nähe von SMU erhalten, auf den Briefköpfen, der Website usw.
Mehr Touristen mit neuem Namen?
Wäre man dem Vorbild der "Siegessäule", dem bekannten Homoblättchen mit Westberliner Wurzeln gefolgt, das längst schon das Problemwort "schwul" von Umschlagseite und Website verbannt und mit dem voll aktuellen "queer" vertauscht hat, dann hätte man sich wenigstens dem "hegemonialen" Jargon unserer multigeschlechtlichen Kulturwissenschaftler angepasst. Stattdessen ein niedliches Sternchen, eher ein Blümchen, hinter dem nostalgischen "schwul".
Inzwischen ist das Blümchen/Sternchen auch schon wieder im Zuge der SMU-Einführung entsorgt, aber die Hoffnung wächst, mittels kreativer Namenskorrektur am immer noch anschwellenden Berlin-Touristenboom weiterhin partizipieren zu können und besonders die touristische Jugend ins Museum zu locken.
Ob ein guter Name neue Besuchergruppen anlocken kann, möchte ich bezweifeln. Marken wie Persil, Coca Cola, Tempotaschentücher oder Depeche Mode sind wohl kaum wegen ihrer bescheuerten Namen umsatzstark geworden, sondern eher trotzdem. Deshalb ist für die eingangs gestellte Frage total egal, wie das Museum heißt, LSBTTIQ wäre letztlich auch irgendwie okay, entscheidend ist auch hier, was am Ende hinten rauskommt. Und da konnte in der ewig ungelösten Frage nach dem Platz der lesbischen und der vielen anderen Sexualitäten jenseits der gewöhnlichen Heterosexualitäten in einem schwulen Museum ein schöner Fortschritt erzielt werden.
Öffnung als Erfolgsrezept
"Capri"-Herausgeber Manfred Herzer war 1971 Mitgründer der Homosexuellen Aktion Westberlin und unter dem Pseudonym Mimi Steglitz einer der Hauptkontrahenten im sogenannten Tuntenstreit
Dass eine solche Öffnung ein Erfolgsrezept sein kann, lehrt die Erfahrung der Museumsgründungsmütter in den goldenen 1980er-Jahren. Damals war es gelungen, den total normalen Direktor des Berlin-Museums in der Lindenstraße zu einer historischen Schwulenausstellung zu überreden. Jene Mütter, zu denen bald auch ich gehörte, machten sich Sorgen, ob sich wohl genügend Normalos für unser sehr abseitiges Tuntenthema interessieren würden. Der rettende Einfall kam von Käthe: Was reizt Heteros besonders und was könnte sie zur Überwindung ihrer angeborenen Scheu vor Homokram verführen? Käthes Antwort: Lesbensex.
Für diese geniale Idee kriegte sie von mir einen dicken Schmatz und ich telefonierte sofort mit meiner alten Freundin Ilse. Ilse war von dem Vorschlag sehr angetan und konnte einige ihrer Freundinnen zur Zusammenarbeit mit den Schwulis überreden. So kam es, dass am 26. Mai 1984 die Ausstellung "Eldorado" eröffnet und dem armen kleinen Berlin-Museum ein Besucher*innen-Rekod beschert wurde: "Eine der umstrittensten Ausstellungen, die jemals in Berlin gezeigt wurde, 'Eldorado ‒ Geschichte, Alltag und Kultur homosexueller Frauen und Männer in Berlin 1850-1950' im Berlin-Museum, hat am Sonntag mit einem Besucherrekord ihre Pforten geschlossen", schrieb die alte Tante "Tagesspiegel" am 31. Juli.
In unsere Freude über den erfolgreichen Lesben-Coup fiel allerdings ein Wermutstropfen. Die Lesben wollten nur mit uns zusammenarbeiten, wenn wir ihnen eine strikte Zweiteilung der Ausstellung, eine separate Damenabteilung zusicherten, die sie vollkommene autonom gestalten durften ‒ statt der von uns erhofften Kooperation bloß eine friedliche Koexistenz. Dennoch blieb die Freude über das erfolgreiche Projekt.
Als Manfred Baumgardt vorschlug, "Eldorado" in Form eines schwulen Museums bis in alle Ewigkeit zu verlängern, stellte sich für jeden von uns die Gretchenfrage: Nun sag, wie hast du's mit den Lesben? Keiner hatte Lust, noch einmal mit ihnen zu telefonieren, und lesbischerseits wurde gleichfalls kein Interesse an Zusammenarbeit signalisiert. So kam es, dass das Schwule Museum sich in den nächsten Jahren im warmen Schoß der AHA gemütlich einrichtete; die Lesben in der AHA waren schon lange vorher ausgestiegen und hatten sich zur streng separatistischen lesbischen Gruppe L74 vereint.
Der nicht ganz so strenge lesbische Separatismus
Tatsächlich aber war der lesbische Separatismus nicht wirklich streng. So vermittelte mir beispielsweise die erwähnte Freundin Ilse ein unvergessliches Gespräch mit Hilde Radusch (1903-1994), einer ehemaligen Kommunistin und Freundin Richard Linserts, die mir unter anderem erzählte, dass sie sich selbst, genau wie die anderen Lesben im Berlin der Zwischenkriegszeit so selbstverständlich wie zur Zeit unseres Gesprächs als "schwul" bezeichnete.
Ebenso unvergesslich ist mir die vom L74-Mitglied Heidi Giesenbauer (1948-2007) vermittelte Bekanntschaft mit Charlotte Wolff, der ich beim Forschen für ihre Magnus-Hirschfeld-Biografie (1986 erschienen) behilflich sein konnte. Das Verhältnis des Schwulen Museums zur Welt der Berliner Lesben war also von Anfang an recht entspannt und aufgelockert.
Bei der Eröffnung der Ausstellung "750 warme Berliner" 1987 im Schwulen Museum (Bild: Manfred Baumgardt / Schwules Museum)
Der große Sprung nach vorn gelang jedoch sowohl in schwul-lesbischer wie in finanzieller Hinsicht sowie die Zeitgemäßheit betreffend am Beginn des 21. Jahrhunderts. Der schwule SPD-Politiker Klaus Wowereit wurde damals Regierender Bürgermeister und ließ das Schwule Museum nachhaltig subventionieren. Mit meinem Rücktritt vom Museumsvorstand konnte erstmals eine Lesbe in den Vorstand gewählt werden, und seitdem entwickelt sich das Verhältnis der beiden Hälften des Dritten Geschlechts in die richtige Richtung: hin zur Parität.
Was die anderen Gruppen in der LGBTIQ-Buchstabensuppe betrifft, so sehe ich für sie alle im Schwulen Museum vollkommene Barrierefreiheit, was die Möglichkeit einer Ausstellung und sonstiger Mitarbeit betrifft. Die Gruppe T, speziell für Transzendenz der traditionellen Grenzen zwischen M + W zuständig, war von Anfang an im Schwulen Museum vertreten. Ich erinnere mich an eine Ausstellung in den späten 80ern zur total ambiguen Ausdruckstänzerin Anita Berber und in der 97er-Ausstellung zum 100. Geburtstag der Schwulenbewegung wurde an alle Arten von historischen T-Personen erinnert, etwa an die Rockey-Twins / Dolly Sisters von 1930 und an viele andere mehr.
Das Schwule Museum wird gerade wegen dieser Offenheit noch lange Jahre zeitgemäß bleiben. Die Sorge einiger schwuler Herren der Schöpfung, sie würden bei dieser Offenheit irgendwie zu kurz kommen, ist nicht wirklich zu verstehen. Es sei denn, man erkennt in dem tapferen Ignorieren von Tante Magnesias 150. Geburtstag das Menetekel einer neuen Geschichtsvergessenheit der Museums-Führungskräfte.
Dieser Text von Manfred Herzer erschien zuerst in der neuen, 52. Ausgabe von "Capri". Die "Zeitschrift für schwule Geschichte" ist im Schwulen Museum sowie in der Buchhandlung Eisenherz in Berlin erhältlich. Mitglieder des Vereins der Freunde und Freundinnen eines Schwulen Museums erhalten sie kostenlos.
allerdings bin ich dann auch dafür, dass alle, die mit billigfliegern nach gran canaria und co. reisen, die umwelt also bewusst schädigen, sich im titel des museums nicht willkommen fühlen.