Eines vorneweg: Briefmarken-Präsentationen gehören nicht zu den spannendsten Eventformaten der Republik. Da machte auch die Vorstellung des 70-Cent-Postwertzeichens zum 150. Geburtstag von Magnus Hirschfeld am Donnerstagabend im Berliner Centrum Judaicum durch Finanzstaatssekretärin Christine Lambrecht (SPD) keine große Ausnahme.
Rund 100 Gäste lauschten blumigen Begrüßungsphrasen, pflichtbewussten Grußworten und bestellten "Kurz"-Vorträgen, die sich teils leider wiederholten, vor einem übergroßen Modell des "nassklebenden" Originals, und am Ende wurden einige mehr oder weniger Verdiente nach vorn gerufen, denen feierlich ein Markenbogen wie ein Abizeugnis überreicht wurde. Dass hier nicht die ebenfalls neue Sondermarke "Gartenreich Dessau-Wörlitz" präsentiert wurde, merkte man nur an der grandiosen Sigrid Grajek, die zwischendurch das "Lila Lied", "Hannelooore" und den Hirschfeld-Song in den Saal schmetterte.
Deutschlands erste queere Briefmarke
Das eigentliche Thema, das viele Gäste beschäftigte, fand auf dem Podium kaum statt: Wurde bei Deutschlands erster queerer Briefmarke, gedruckt immerhin in einer Auflage von 4,2 Millionen Exemplaren, eine Riesenchance vertan? Ist das ausgewählte Motiv, für das über 20 Jahre gekämpft wurde, gar ein Schlag ins Gesicht der LGBTI-Bewegung? "Wenn ich das richtig sehe, wird Magnus Hirschfeld gerade mit einer bunten Heterobriefmarke geehrt", ätzte Nollendorfblogger Johannes Kram live aus dem Saal auf Facebook.
In der Tat springen einem bei dem Postwertzeichen für den Mitbegründer der ersten deutschen Homosexuellenbewegung ausgerechnet überlappende Gender-Symbole für Frau und Mann – das Zeichen für Heterosexualität – entgegen. Man sei "nicht ganz glücklich" gewesen mit dem siegreichen Wettbewerbsentwurf der Wuppertaler Designerin Andrea Voß-Acker, räumte Ralf Dose, Geschäftsführer der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, in seinem Grußwort ein. Erst nach Intervention habe Voß-Acker, die bereits 50 Briefmarken für die Deutsche Post entworfen hat, darunter "Ferien in Deutschland" oder "10 Jahre Vertrag von Maastricht", das Hetero-Symbol zumindest in Bewegung gesetzt.
Ausdruck von Hirschfelds Theorie der sexuellen Zwischenstufen
Alle Gäste der Briefmarkenpräsentation fanden einen Ersttagsbrief auf ihrem Platz: Der Berliner Ersttagsstempel wurde deutlicher als die Hirschfeld-Marke (Bild: Micha Schulze)
Für Staatssekretärin Lambrecht ist die Marke dagegen gelungen. Die SPD-Politikerin lobte das "lebhafte Bildmotiv" als Ausdruck von Hirschfelds Theorie der sexuellen Zwischenstufen und verwies auf die verwendeten Regenbogenfarben als weltweites Symbol der Homosexuellenbewegung. Dass sich der Kunstbeirat des Finanzministeriums gegen ein Porträt und damit "gegen das Naheliegende" entschieden habe, findet Lambrecht nicht schlimm: "Die Symbole machen neugieriger auf den Namen Hirschfeld." Wenn jetzt über das Motiv diskutiert werde, habe man ein Ziel schon erreicht, nämlich ein Zeichen für LGBTI-Akzeptanz auch in der heutigen Zeit zu setzen.
Was die Staatssekretärin übersieht: Außerhalb der queeren Fachpresse und einigen Wuppertaler Regionalblättern (dank Andrea Voß-Acker) wurde die Hirschfeld-Marke bislang kaum wahrgenommen. Eine Meldung der Nachrichtenagentur epd lief weitgehend ohne Beachtung über den Ticker, und nicht einmal die AfD oder die "Demo für alle" haben sich bislang über die "Homopropaganda" der Deutschen Post aufgeregt. Vielleicht sollte man ihnen einfach mal einen Brief schreiben…