Zu Update springen: Lob von SPD, FDP und Grünen für Spahn-Entscheidung (14.00 Uhr)
Die gesetzlichen Krankenkassen sollen die Kosten für die Präexpositions-Prophylaxe (PrEP) übernehmen. Das hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt angekündigt. Demnach wolle er dafür sorgen, "dass Menschen mit einem erhöhten Infektionsrisiko einen gesetzlichen Anspruch auf ärztliche Beratung, Untersuchung und Arzneimittel zur Präexpositionsprophylaxe erhalten", kündigte er im Vorfeld der 22. Internationalen Aidskonferenz an, die am Montag in Amsterdam beginnt. Das Vorhaben solle noch in diesem Monat auf den Weg gebracht werden.
Laut Studien senkt die Pille das Risiko für HIV-Negative, sich mit dem Virus anzustecken, bei korrekter Einnahme praktisch auf Null. Details, wer genau zum Empfängerkreis gehöre, nannte Spahn nicht. Das sollen der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen und die Organisation der ärztlichen Selbstverwaltung, die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), innerhalb der nächsten Monate in ihrem paritätisch besetzten Bewertungsausschuss aushandeln.
Zu den Hauptabnehmern werden wohl Männer, die Sex mit Männern haben, gehören – sie machen rund zwei Drittel der Neuinfektionen in Deutschland aus (queer.de berichtete). Für einen Teil von ihnen ist die PrEP als Alternative zu den anderen Präventionsmethoden wie Kondomen sinnvoll.
Die PrEP-Ausgabe soll einhergehen mit einer ausführlichen ärztlichen Beratung und Untersuchung, bei der die Nutzer regelmäßig auf HIV und andere Geschlechtskrankheiten getestet werden. Die PrEP kann die Zahl der HIV-Infektionen in Deutschland nach einer Studie der Universität Rotterdam bis 2030 um rund 9.000 verringern. Andere europäische Länder, wie etwa Belgien, haben die PrEP bereits in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufgenommen (queer.de berichtete).
DAH: Kostenübernahme wird "zahlreiche Infektionen verhindern"
Die Deutsche Aids-Hilfe begrüßte am Freitagvormittag die Ankündigung des Gesundheitsministers: "Die neue Regelung ist ein Meilenstein für die HIV-Prävention in Deutschland", erklärte DAH-Vorstandsmitglied Winfried Holz. "Die Kassenfinanzierung wird Menschen den Zugang zur HIV-Prophylaxe eröffnen und damit zahlreiche Infektionen verhindern. Sie ist der entscheidende Schritt, um das Potenzial dieser Maßnahme auszuschöpfen."
Bisher müssen PrEP-Nutzer die Kosten selber tragen. Die Medikamente, die einmal täglich eingenommen müssen, schlagen dabei mit 50 bis 70 Euro zu Buche, hinzu kommen ärztliche Beratung und die erforderlichen Begleituntersuchungen. Menschen mit geringem Einkommen sind damit praktisch ausgeschlossen.
Schätzungsweise 5.000 Menschen lassen sich bisher die PrEP bislang in Deutschland verschreiben – laut einer Studie der Universität Essen überwiegend Besserverdienende. Schutz vor HIV dürfe aber nie am Geldbeutel scheitern, betonte Holz. "Es ist dringend an der Zeit, diese Lücke in der HIV-Prävention zu schließen." Aufgrund der hohen Kosten bezögen zurzeit "nicht wenige Menschen" die Medikamente kostengünstig aus dem Ausland – teils ohne ärztliche Begleitung. Auch wegen der damit verbundenen Risiken sei die Initiative Spahns begrüßenswert.
PrEP seit 2012 in den USA erhältlich
Die Erfolgsgeschichte der PrEP begann 2012, als die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA erstmals das Medikament, eine Kombination der Wirkstoffe Emtricitabin und Tenofovirdisoproxil, nicht nur zur Behandlung einer bereits vorliegenden HIV-Infektion, sondern auch zur Vorbeugung zugelassen hatte. Die Gesundheitsbehörde CDC hat 2015 empfohlen, dass Menschen mit besonders hohem Risiko das Medikament einnehmen sollten – darunter laut CDC rund ein Viertel der sexuell aktiven schwulen und bisexuellen Männer, die HIV-negativ sind (queer.de berichtete). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stimmt inzwischen dieser Einschätzung zu und hat deshalb im Juni 2017 die PrEP-Wirkstoffe in die Liste der "unentbehrlichen Arzneimittel" aufgenommen (queer.de berichtete).
Die Europäische Kommission ließ die Nutzung für Erwachsene im Sommer 2016 zu. Seit letztem Jahr ist auch für Erwachsene in Deutschland ein Generikum erhältlich, das die Kosten des Medikaments von 800 auf knapp über 50 Euro pro Monat senkte (queer.de berichtete). (dk)
Update 14.00 Uhr: Lob von SPD, FDP und Grünen für Spahn-Entscheidung
Politiker aus Regierungs- und Oppositionsfraktionen haben die Ankündigung von Gesundheitsminister Spahn, die PrEP zu einer Kassenleistung zu machen, begrüßt. "HIV & AIDS haben das Sexleben vieler Menschen grundlegend verändert. Kondome, Therapie und PrEP haben wiederum die Lust gerettet. Deswegen ist es längst überfällig, die HIV-Prophylaxe PrEP gesetzlich über die Krankenkassen abzusichern", erklärte Sven Lehmann, der Sprecher für Queerpolitik der grünen Bundestagsfraktion. Die eigenen finanziellen Spielräume dürften nicht entscheidend sein, ob man sich vor HIV wirksam schützen könne.
Jens Brandenburg, Sprecher für LSBTI der FDP-Fraktion, ergänzte: "Gesundheitlicher Schutz darf nicht vom eigenen Geldbeutel abhängen. Eine Kostenübernahme der PrEP wäre eine hervorragende Chance, Neuinfektionen mit HIV deutlich zurückzudrängen." Das sei eine "gute Nachricht für die schwule Szene", die leider immer noch zu den Hochrisikogruppen für HIV-Neuinfektionen zähle. "Wir sollten jetzt aktiv für die PrEP werben und vorhandene Vorurteile abbauen. Wer sich und andere schützt, handelt verantwortungsvoll. Das verdient nicht nur auf Grindr Anerkennung."
Die SPD-Gesundheitsexpertin Hilde Mattheis begrüßte die Ankündigung auf Twitter als "wichtigen Schritt in die richtige Richtung!". Die Bundestagsabgeordnete aus Ulm zollte auch dem Koalitionspartner Anerkennung: "Überraschend, dass die Union mal ohne ideologische Scheuklappen bei dem Thema Politik machen will."